Zuerst eine entscheidende Frage, dann eine Stimmung wie bei einer Tupperware-Party und schliesslich viel Lob von der Ausbildnerin: Das erlebte unsere Reporterin bei ihrer Undercover-Teilnahme an einem Schiesskurs für Frauen in den USA.
«Fotografieren verboten», steht an der Türe. Im Inneren tragen die Empfangsdamen Pistolen am Holster. Der lang gestreckte verglaste Raum hinter ihnen sieht aus wie eine Bowlingbahn, aber statt der Kegel gibt es Papierbögen, auf denen Konturen von menschlichen Oberkörpern gezeichnet sind. Am Schwarzen Brett werden gebrauchte «Bushmaster» und «Sig Sauer» angeboten – die Schnellfeuerwaffen, die auch die Mörder im Kino von Aurora, in dem Tempel von Oak Creek und in der Grundschule von Newtown benutzt haben.
Der Schiesskursus, an dem ich teilnehmen werde, ist «Ladies Only». Theorie am ersten Abend. Schiessen am zweiten. Elf Teilnehmerinnen sind gekommen. Die Jüngste von uns darf mit 19 noch nicht legal Bier trinken. Die Älteste ist seit mehr als einem Jahrzehnt in Rente.
Eine Pistole als Geschenk vom Partner
Treffpunkt ist die Schiessanlage der «National Rifle Association» (NRA) in Fairfax. Sie ist neben der Tiefgarage untergebracht. Aus den darüberliegenden Etagen des rundum schwarz verglasten Büroblocks am Highway 66 organisiert die NRA ihr Lobbying, mit dem sie den Kongress der USA erfolgreich vor sich hertreibt. An den Wänden unseres Seminarraums hängen ausgestopfte Bären- und Hirschköpfe.
Aber für das Jagen interessieren sich die Teilnehmerinnen nicht. Sie sind um ihre private Sicherheit besorgt. Die meisten haben Kinder. Leben in Einzelhäusern im Grünen. Eine hat einen Mann mit einem Safe voller Schusswaffen. «Er ist ein Sammler», sagt sie, «hat mir auch schon mehrere Pistolen geschenkt.»
Eine andere ist als Kind von ihrem Polizisten-Vater an Waffen herangeführt worden. Mehrere Teilnehmerinnen sind mit schmalen Hartschalenköfferchen gekommen. Darin liegen Pistolen in Schaumstoff gebettet. Wir anderen, die keine eigene Waffe haben, werden eine ausleihen. Vor Kursbeginn untersuchen Empfangsdamen die Köfferchen. Ausserhalb des Schiessraumes dürfen Waffen nicht geladen sein. «Ist das leer?», werde ich gefragt und soll von hinten durch einen zum Boden gerichteten Pistolenlauf schauen. Ich sehe nichts.
Etwa so wie Autofahren
«Weigere dich, ein Opfer zu sein», lautet ein an Frauen gerichteter Werbeslogan der NRA. Die USA sind das höchstbewaffnete Land der Welt. Sie haben fast genau so viele Schusswaffen in privater Hand wie Einwohner. Aber bislang besitzen nur 15 Prozent der Frauen in den USA Schusswaffen. Das macht den weiblichen Teil der Bevölkerung zur Hoffnung der Branche. Der «Ladies Only»-Kurs ist Teil einer Charme-Offensive. In Zeiten nach tödlichen Schiessereien ist der Zulauf zu diesen Kursen immer besonders gross.
«Schiessen ist so einfach wie Autofahren», sagt unsere Ausbildnerin:«Am Anfang verspannen sich ein wenig die Schultern. Aber das geht schnell vorbei.» Wir stehen mit hüftweit aufgestellten Beinen, leicht angewinkelten Knieen, ganz leicht vorgebeugtem Oberkörper und nach vorne ausgestreckten Armen in einer Reihe vor der Wand. Mein rechter Zeigefinger liegt ausgestreckt am Lauf einer Pistole, darunter greifen die anderen drei rechten Finger von vorne um den Pistolengriff. Die vier Finger meiner linken Hand wickeln sich von links über die rechten Finger und den Griff. Meine beiden Daumen liegen übereinander auf der linken Seite der Pistole. Dann schiebe ich mit dem vordersten Teil meines rechten Zeigefingers den Auslöser bis zum Widerstand. «Gute Position», lobt die Ausbildnerin eine Teilnehmerin. Sie tippt eine andere an die Schulter, um ihr zu zeigen, dass ihr Stand noch zu wackelig ist.
«Frauen wie geschaffen fürs Schiessen»
Die Biologie von Frauen ist wie für das Schiessen geschaffen, erklärt sie. Der Grund: Wir haben mehr Gewicht in der unteren Körperhälfte. Das gibt Stabilität. Unsere Ausbildnerin ist ein paar Minuten zu spät gekommen. Und entschuldigt sich mit den beiden Bomben, die am Nachmittag in der Zielgeraden des Boston Marathons geplatzt sind. In einer Bundesbehörde, sagt sie, gibt es nach Bomben immer besonders viel Arbeit.
Sie ist eine drahtige, kleine Frau. Bei der Ankunft in unserem Seminarraum zieht sie als erstes ihre Jacke aus. Darunter kommt eine Pistole in einem Leder-Holster zum Vorschein, die sich über einen Gürtel und in ihre Taille schmiegt. Damit sind wir bereits mitten im Thema. Mit dem Fachvokabular sind die meisten Kursteilnehmerinnen längst vertraut. Aber unsere Ausbildnerin geht über den Jargon hinaus. Sie verniedlicht mit Kurzformen. Sagt «ammo» für Munition und nennt und ihre Pistole: «meine semi-auto».
Alles ganz einfach
An diesem ersten Abend werden wir uns viel mit Accessoires befassen. Im Prinzip gilt die Regel, dass «eine Schusswaffe, die zu Hause liegt, nicht hilft, wenn Du sie brauchst», sagt unsere Ausbildnerin. Sie selbst besitzt offenbar ein ganzes Arsenal von Schusswaffen. Und sie scheint sicher zu sein, dass wir ihr bald auf diesem Weg folgen werden. Denn verschiedene Orte – zu Hause, im Coffee-Shop, im nachts geöffneten Supermarkt – verlangen nach verschiedenen Waffen.
Eine Frage muss jede von uns mit sich selbst klären, sagt unsere Ausbildnerin: «Kann ich töten?» Wir sollen sorgfältig in uns hineinhorchen. Falls wir die Frage mit «ja» beantworten, wird sich der Rest fast von selbst ergeben. Wir werden einen Antrag auf verdecktes Waffentragen stellen. Wir werden eine Waffe kaufen. Und wir werden entscheiden, wie wir sie tragen wollen. Auch dafür gibt es beinahe unbegrenzte Möglichkeiten.
Unsere Ausbildnerin ist kein Fan von Pistolen-Holstern, die am BH, direkt auf dem Bauchband, am Oberschenkel oder am Fussgelenk befestigt sind, «weil der Zugriff umständlich ist». Aber sie führt sie uns alle vor. Holster, die im Hoseninneren getragen werden, hält sie für eher männertauglich, «weil sie auftragen». Und falls wir eine Handtasche mit einem Mittelfach für eine Pistole anschaffen wollen, sollen wir darauf achten, dass diese eine harte Schale hat, damit wir uns beim Griff nach der Waffe nicht verheddern. Schliesslich muss es schnell gehen, wenn wir sie brauchen.
Vermutlich werden wir auch unsere Kleidung dem neuen Lebensstil anpassen. Möglicherweise kaufen wir unsere Kleider künftig eine Nummer grösser und entscheiden uns für festeren Stoff, weil sich Pistolen darunter nicht abzeichnen. Lediglich ein Outfit hält unsere Ausbildnerin für schwer vereinbar mit der Pistole: Das hautenge, kleine Schwarze. «Wenn bei einer Party Schusswaffen nötig sind, würde ich erwägen, nicht hinzugehen», sagt sie.
Die Teilnehmerinnen klatschen
Wir sitzen im Halbkreis auf Stühlen vor ihr, während sie vor uns am Boden kniet und ihre «semi-auto» in Windeseile in vier Einzelteile zerlegt. Uns zeigt, wie wir sie mit Watte, Bürsten und Q-Tipps reinigen können. Und uns versichert, dass wir alle anderen Wartungsarbeiten ohne Gesichtsverlust den Fachleuten überlassen können: «Dafür sind die da.» Mehrere Teilnehmerinnen klatschen, als sie sehen, wie einfach das Zerlegen ist. Die Stimmung ist wie bei einem Tupperware-Treffen. Ich erfahre die Namen von besonders guten Accessoire-Herstellern. Und die Adressen der besten Waffenhändler in Virginia. Es sind Geschäfte, die Frauen genauso wie Männer behandeln. Anderswo würde unsere Ausbildnerin niemals einkaufen.
Todes-Drama ist kein Thema
Wenige Tage vor dem Kurs hat ein vierjähriger Junge beim Spiel im Elternhaus einen Sechsjährigen erschossen. Das in den USA nicht seltene Drama hat Schlagzeilen gemacht. Aber in unserem Kurs kommt es nicht vor. Wir befassen uns weder mit Schlagzeilen, noch mit Politik, noch mit Moral. Wir lernen schiessen. Das ist Technik. Zum Thema Gefahren sagt die Ausbildnerin lediglich einen Satz aus dem NRA-Repertoire. Der ist so bekannt, dass mehrere Teilnehmerinnen ihn laut mitsprechen: «Schusswaffen töten nicht – Menschen töten.»
Kinder und Schusswaffen sind für sie kein Problem. Immer vorausgesetzt, die Eltern machen die Erziehung richtig. Vor allem müssen sie Kindern beibrigen, dass sie sich von Waffen fernhalten. Möglichst schon im Vorkindergartenalter. Zusätzlich können sie ihre Kleinen ab drei in die «sichere Schusswaffen»-Kurse der NRA schicken. Da lernen sie mit dem als Adler verkleideten «Eddie Eagle», was sie tun sollen, wenn sie eine Schusswaffe sehen: «Nicht herangehen. Nicht anfassen. Weggehen. Einen Erwachsenen verständigen.»
Etwas länger als mit Kindern halten wir uns mit der Frage auf: Was tun im Ernstfall? Unsere Ausbildnerin empfiehlt die Aufbewahrung von Schusswaffen in einem Safe im Schlafzimmer. Wenn wir «den Kriminellen» hören, sollen wir drei Dinge tun: «911» wählen und die Polizei verständigen. Die Schusswaffe aus dem Safe holen und laden – und zwar möglichst laut hörbar. Anschliessend rufen wir dem Kriminellen zu, dass wir bewaffnet sind und schiessen. «Das ist auch eine rechtliche Absicherung», rät unsere Ausbildnerin. Eine Teilnehmerin fügt hinzu, dass eine solche Vorwarnung in Texas unnötig ist, wenn jemand unerlaubt Privatbesitz betritt.
Das Waffenrecht in den USA ist eine komplizierte Sache. Jeder Bundesstaat hat unterschiedliche Gesetze. Und überall versucht die NRA, die Grenzen zu ihren Gunsten zu verschieben. Eine Teilnehmerin will wissen, wie sie den Nachbarstaat Maryland mit ihrer Pistole durchqueren kann, obwohl sie dort kein Recht auf Waffentragen hat. «Leg sie in den Kofferraum», rät unsere Ausbilderin. «Und wenn mich die Polizei kontrolliert?» Breites Grinsen: «Persönlich würde ich nichts sagen.»
«Sehr gut!»
Tags darauf händigt mir eine der bewaffneten Damen am Empfang Ohrschützer, eine Schutzbrille und eine halbautomatische Pistole aus. Ich bekomme eine Glock 19. Die Dame rät mir zum Kauf einer Grosspackung Patronen – «ist günstiger». Aber ich bleibe bei 50 Stück.
Für diesen praktischen Teil des Kursus wird jede von uns von einer Lehrerin in die Schiessbox begleitet. Ich drücke Patronen ins Magazin. Meine Lehrerin schickt die Zielscheibe per Knopfdruck auf die Bahn vor mir. Ich gebe meine ersten Schüsse im Sitzen ab. Die Pistole auf einen Aufsetzer auf dem Tisch vor mir gestützt. Ich richte Kimme und Korn aus. Ziele. Treffe. Meine Lehrerin nimmt den Tisch weg. Ich stehe an der roten Linie und schiesse. Anfangs bin ich benommen von jedem Knall. Und schockiert darüber, wie einfach es ist. Dann ballere ich eine kleine Serie. Wieder gehen alle Schüsse in die beiden innersten Kreise.
Zum Schluss bekomme ich ein Zertifikat, mit dem ich eine Genehmigung für verstecktes Pistolentragen in Virginia beantragen kann. Und die Frage, ob ich NRA-Mitglied werden möchte. Meine Lehrerin umrandet meine Einschüsse mit einem breiten roten Filzer. «Sehr gut», sagt sie und überreicht mir die durchlöcherte menschliche Zielscheibe als Souvenir: «Du solltest wieder kommen».
Seit dem Massaker an der Sandy Hook Grundschule werben Schusswaffenorganisationen in den USA verstärkt um Mitglieder und um die Bewaffung von Privatleuten. Unter anderem wollen sie Lehrer bewaffnen. Zugleich haben sie zusätzliche Schiesskurse für besondere Zielgruppen eingerichtet.
Wir wollten wissen, wie es dabei zugeht. Aber der Versuch, einen solchen Kursus journalistisch zu beobachten, scheiterte an den Organisatoren: Die in Ohio ansässige Gruppe «Buckeye Firearms Association», die «active-killer»-Kurse für Lehrer organisiert, lehnt die Teilnahme von Journalisten mit der Begründung ab, teilnehmende Lehrer wollten anonym bleiben und Killer sollten nicht erfahren, welche Techniken in den Kursen gelehrt werden.
Die NRA hat nicht auf die Anfrage reagiert. Die Reporterin hat sich daraufhin als gewöhnliche Teilnehmerin für einen Schiesskursus bei der NRA eingetragen. Weil sie dort inkognito war, kann sie niemanden namentlich zitieren.