Mit Mini-Reformen reagiert der jordanische König auf den arabischen Frühling. Die Muslimbrüder boykottieren deshalb die Wahlen vom Mittwoch, aber die Bevölkerung hat wenig Lust auf Revolution.
Die Hauptprobe ist missglückt. Geplant war am Freitag ein Grossaufmarsch im Stadtzentrum von Amman. Islamisten, Linke und Stammesangehörige, vertreten durch mehrere Dutzend Gruppierungen, hatten unter dem Motto «Legitimität des Volks» zum Protest aufgerufen. Gekommen sind überraschend wenige, gerade 3000 Menschen. Kein Vergleich mit den Demonstrationen im November gegen den Abbau von Subventionen auf Gas und Benzin, als mindestens 20’000 Jordanier und Jordanierinnen auf die Strasse gingen.
Gesellschaftsvertrag hält
«Boykott» stand auf ihren gelben Plakaten und sie warnten, mit roten wiederzukommen. Boykottiert werden sollen die Parlamentswahlen vom kommenden Mittwoch, die die Kritiker von König Abdullah als Farce bezeichnen. Er spricht dagegen von einer Krönung des Reformprozesses.
Als vor zwei Jahren in Tunesien und Ägypten der arabische Frühling ausbrach, gab es auch in Jordanien Demonstrationen, organisiert von der Islamischen Aktionsfront (IAF), dem politischen Arm der Muslimbrüder, und der Reformbewegung Herak. Die Forderungen tangierten aber nicht die Monarchie, sondern beschränkten sich auf eine Reform der Regierung und Einschränkungen der Machtbefugnisse des Königs sowie einen effizienten Kampf gegen die verbreitete Korruption.
Kleine Zugeständnisse
Der König reagierte mit kleinen Zugeständnissen, berief etwa Minister ins Kabinett, die der Opposition nahe stehen und setzte ein neues Wahlrecht in Kraft, das an den verzerrten Stimmenverhältnissen aber nur wenig änderte. Auch das neue Wahlgesetz garantiert den Loyalisten des Königs eine Mehrheit.
Die Loyalisten sind vorwiegend die Einwohner des Ostteils, meist Beduinen, die vor 1948 dort lebten, als palästinensische Flüchtlinge in grosser Zahl in Jordanien angesiedelt wurden. Die Palästinenser, die hauptsächlich in den grossen Städten im Westen des Landes wohnen, machen heute die Mehrheit der jordanischen Bevölkerung aus. Dass sie ihre Überzahl nicht ausspielen können, dafür sorgt eine Art Gesellschaftsvertrag, den der König mit den «richtigen Jordaniern» geschlossen hat. Sie werden bei der Vergabe von Staatsstellen bevorzugt, so werden die Sicherheitskräfte praktisch ausschliesslich unter ihnen rekrutiert und in ihren Regionen braucht es für ein Parlamentsmandat nur etwa ein Drittel der Stimmen verglichen mit den Städten.
Die Muslimbrüder, die ihren Rückhalt vor allem in den Städten haben, verlangen seit langem einen Ausgleich dieses Ungleichgewichtes. Weiter fordern sie, dass das Parlament mehr Befugnisse erhält, etwa selbst über den Regierungschef bestimmen kann. Der König hat aber nur vage versprochen, dass dies das Ziel des Reformprozesses sein könnte. Deshalb wollen die Islamisten weiter auf der Strasse kämpfen. Die jordanische Bevölkerung, abgeschreckt von den Bürgerkriegen in den Nachbarländern Syrien und Irak, hat aber wenig Lust auf Revolution und setzt auf Stabilität.
Boykott entwertet Ergebnisse
In Jordanien ist die IAF ein wichtiger Trend in der politischen Arena und ihr Wahlboykott auch ein Problem für die Regierung, denn das neue Parlament wird die Bevölkerung noch weniger repräsentieren als das alte. Bassam Haddadin, der Minister für Parlamentsangelegenheiten, hat in einem Interview eingestanden, der Boykott lege einen Schatten auf das Ergebnis.
In einem komplizierten System werden 150 Abgeordnete gewählt, 27 auf Parteilisten, 108 in Einzelbezirken, 15 sind für Frauen reserviert. Personen und ihre Plakate mit meist inhaltslosen Parolen dominieren die Wahlkampagne. Es treten viele reiche Geschäftsleute an. Mehrere Kandidaten wurden bereits wegen des Vorwurfs, Stimmen zu kaufen, verhaftet. Zum ersten Mal sendet die EU Wahlbeobachter nach Jordanien.