Kein Ausgang aus dem Tal der Tränen

Schlechte Konjunkturprognosen für Griechenland: In diesem und im nächsten Jahr wird die Wirtschaft weiter schrumpfen. Strukturreformen könnten die Konjunktur zwar ankurbeln, aber gerade damit zögert die Athener Regierung.

«In sieben Monaten mit ihm sind wir elf Jahre zurückgeworfen worden»: Premierminister Alexis Tsipras steht unter Druck.

(Bild: ALKIS KONSTANTINIDIS)

Schlechte Konjunkturprognosen für Griechenland: In diesem und im nächsten Jahr wird die Wirtschaft weiter schrumpfen. Strukturreformen könnten die Konjunktur zwar ankurbeln, aber gerade damit zögert die Athener Regierung.

Krise? In Ländern wie Spanien, Portugal und Irland gehört dieses Wort der Vergangenheit an. Auch Zypern, das im Frühjahr 2013 als fünftes und letztes Land Schutz unter dem Euro-Rettungsschirm suchen musste, lässt die Krise hinter sich: Die Inselrepublik wird das Anpassungsprogramm früher als erwartet abschliessen und die Hilfsgelder nicht in vollem Umfang in Anspruch nehmen müssen. Nur Griechenland kommt nicht auf die Beine.

In vier der fünf Euro-Krisenländer seien die Rettungsprogramme eine «Erfolgsstory» gewesen, sagte diese Woche Klaus Regling, der Chef des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Griechenland sei «ein Sonderfall», räumte Regling ein – eine eher freundliche Umschreibung der desaströsen Lage, in der sich das Land befindet.

Vier internationale Institutionen – die EU-Kommission, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) – haben jüngst Prognosen zur wirtschaftlichen Entwicklung Griechenlands vorgelegt. Sie ergeben ein düsteres Bild. Die Wirtschaft wird in diesem und im kommenden Jahr weiter schrumpfen. Die Arbeitslosigkeit steigt, und die Schuldenquote wird einen neuen Rekord erreichen.

Wirtschaft wird erst 2031 wieder das Niveau von 2008 erreichen

Dabei war Griechenland 2014 auf einem guten Weg. Erstmals nach fünf Jahren Rezession legte das Bruttoinlandprodukt wieder zu, wenn auch nur leicht von 185,1 auf 186,5 Milliarden Euro, ein Plus von 0,8 Prozent. Damit lag die Wirtschaftsleistung zwar immer noch um 23 Prozent unter dem Vorkrisenniveau von 2008, aber immerhin schien Griechenland das Tal der Tränen hinter sich zu lassen. Auch die allmählich sinkenden Arbeitslosenzahlen und das verbesserte Wirtschaftsklima, dessen Index Mitte 2014 ein Sechsjahreshoch erreichte, deuteten eine Wende an.

Im ersten Halbjahr 2015 zogen Privatkunden mehr als 40 Milliarden Euro von den Banken ab.

Mit dem Wahlsieg des radikalen Linksbündnisses Syriza Ende Januar 2015 platzten die Konjunkturhoffnungen wie eine Seifenblase. Monatelang rang die neue Regierung mit den Geldgebern um die Konditionen für ein neues Rettungspaket. Aus Angst vor einer Staatspleite und der Rückkehr der Drachme zogen Firmen und Privatkunden im ersten Halbjahr mehr als 40 Milliarden Euro von den Banken ab. Um den Zusammenbruch des Finanzsystems abzuwenden, liess die Regierung Ende Juni die Banken für drei Wochen schliessen und Kapitalkontrollen einführen.

«In sieben Monaten mit Tsipras sind wir elf Jahre zurückgeworfen worden», titelte kürzlich die Zeitung «Proto Thema». So sieht die Rechnung aus: Während der Internationale Währungsfonds (IWF) noch im Oktober 2014 veranschlagte, Griechenlands Wirtschaftsleistung werde 2020 das Vorkrisenniveau von 2008 erreichen, geht man jetzt davon aus, dass dies bis 2031 dauern wird.

Schuldenquote erreicht 2016 neuen Rekord

Nicht zuletzt die Kapitalkontrollen bremsen jetzt die Wirtschaft aus. Die EU setzte noch in ihrer Frühjahrsprognose für dieses Jahr ein Wachstum von 0,5 Prozent und für 2016 ein Plus von 2,9 Prozent an. Jetzt erwartet sie für 2015 und 2016 ein Minus von 1,4 und 1,3 Prozent. Zu ähnlichen Vorhersagen kommt die OECD. Die EBRD und der IWF sind sogar noch pessimistischer. Sie erwarten für dieses Jahr einen Rückgang um 2,4 beziehungsweise 2,3 Prozent. Wegen der neuen Hilfskredite und der schrumpfenden Wirtschaft wird die Schuldenquote Griechenlands nach Berechnungen der EU im kommenden Jahr mit 199,7 Prozent einen neuen Rekord erreichen.

Griechenland braucht Strukturreformen. Doch genau da hadert die Regierungspartei.

Nahezu alle Experten sind sich einig: Um zu einem nachhaltigen Wachstum zurückzukehren, braucht Griechenland Strukturreformen. Sie sind Voraussetzung für Investitionen. Doch gerade bei den Reformen hapert es. Die meisten der geforderten Massnahmen, wie der Abbau von Wettbewerbshindernissen, die Reform des Arbeitsrechts, die Öffnung des Energiemarktes und die Privatisierungen, gehen der Linkspartei Syriza ideologisch völlig gegen den Strich. Weil Athen mit der Umsetzung der vereinbarten Reformschritte im Verzug ist, blockierten die Geldgeber diese Woche die Auszahlung einer Kreditrate von zwei Milliarden Euro.

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