Dieses Jahr ist die Niere dran. Bis Mitte März können Kundinnen und Kunden in ausgewählten Apotheken einen vergünstigten Nierentest machen. Denn, so warnt der Schweizerische Apothekerverband Pharmasuisse, «Nierenleiden werden noch viel zu oft erst spät erkannt, mit fatalen Folgen für die Betroffenen». Im internen Sprachgebrauch von Pharmasuisse heissen diese Sensibilisierungsaktivitäten «Kampagnen».
Pro Jahr lancieren die Apotheker eine bis zwei solcher Kampagnen, meist zu «Zivilisationskrankheiten» wie erhöhtem Blutzucker, Bluthochdruck oder Blutfett. Angesichts der vielen Gesundheitsrisiken, denen der Jetztzeitmensch ausgesetzt ist, könnte man schon fast vergessen, dass es uns gesundheitlich noch nie so gut gegangen ist wie heute, dass wir immer älter werden und immer länger fit bleiben.
An dieser Stelle soll den Apothekern und der Pharmaindustrie nicht unterstellt werden, ihnen ginge es nicht ums Wohl der Bevölkerung. Tatsache ist aber: Dank der vielen Tests lässt sich viel Geld verdienen. Unter dem Motto «Prävention» werden immer mehr Menschen auf Risikofaktoren untersucht – und krankgeschrieben. Oder wie es der Präventivmediziner und FDP-Ständerat Felix Gutzwiller einmal gegenüber der Zeitschrift «Beobachter» formuliert hat: «Bei fast jedem Menschen lassen sich irgendwelche Werte im Grenzbereich feststellen.» Je früher diese Abweichungen von der Norm diagnostiziert werden, desto früher geraten wir ins Räderwerk der Gesundheitsindustrie, die uns bereits im Kindesalter – Stichwort Hyperaktivität – ins Visier nimmt.
Wir sind in unserer Titelgeschichte (ab Seite 6) dem Geschäft mit der Gesundheit auf den Grund gegangen – und auf Skurriles gestossen. So soll etwa auch das Trauern nach dem Tod eines geliebten Menschen für krank erklärt werden, wenn der Zustand der Niedergeschlagenheit länger als zwei Wochen dauert. Der deutsche Psychiater Klaus Dörner brachte den modernen Gesundheitswahn einmal so auf den Punkt: «Je mehr ich für meine Gesundheit tue, desto weniger gesund fühle ich mich.» Es scheint, dass die Gesundheitsindustrie alles dafür tut, dass es bei diesem Unwohlsein bleibt.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09.03.12