Kein Urlaub von der Politik

Angela Merkel und Theresa May sind in die Sommerferien verreist. Den Streit mit Parteikollegen und Koalitionspartnern nehmen sie dabei mit.

Der Gatte kann dieses Jahr nicht mit in die Sommerferien, wir wünschen der deutschen Kanzlerin trotzdem gute Erholung.

Kanzlerin Merkel ist in die Sommerferien gefahren. Vorher hat sie noch eine anderthalbstündige Pressekonferenz absolviert. Von einem Journalisten wurde sie gefragt, mit wem sie lieber in den Urlaub fahren würde: mit Trump, Putin oder Seehofer.

Offensichtlich mit keinem der Genannten. Aus familiären Gründen ausnahmsweise auch nicht mit ihrem Mann, dem Quantenchemiker Joachim Sauer. Fest steht: Die Kanzlerin hat drei Wochen frei, wenn auch nicht gerade Totalurlaub, denn im Dienst ist sie immer. Sie freue sich jedoch auf ein paar freie Tage und etwas mehr Schlaf, sagte sie. Aufenthaltsort unbekannt. Früher gings ins Südtirol oder auf Ischia.

Die Medienleute wollten freilich noch anderes hören. Insbesondere, wie sie zum jüngsten Streit zwischen CSU und CDU stehe. Mit der Unaufgeregtheit, die eines ihrer Markenzeichen ist, erklärte sie, dass Streit zur Demokratie gehöre und das primäre Ziel nicht darin bestehen könne, Streit à tout prix zu verhindern.

«Prozess der Verwahrlosung»

Die Art der Streitaustragung bezeichnete sie jedoch als zum Teil sehr «schroff». Sie fügte eine Mahnung bei, die in unseren Tagen besonders ernst genommen werden muss: Die politische Kultur verändere sich in unguter Weise. Von den sozialen Medien getrieben, habe ein «Prozess der Verwahrlosung» um sich gegriffen. Dies sei darum problematisch, weil Sprache das Denken und die Wahrnehmung präge und so auch künftiges Handeln mitbestimme. Sie versuche, dieser «Erosion» entgegenzuwirken, indem sie speziell auf ihre Sprache achte und sich an die Fakten halte.

Merkel liess sich in der besagten Pressekonferenz zu keiner Bemerkung verleiten, die den Konflikt weiter hätte verschärfen können. Darum gab es auch über Trump kein schlechtes Wort, obwohl ausgerechnet er, der in sonderbarer Weise mit Russland verstrickt ist, Deutschland vorgeworfen hat, ein «Gefangener Russlands» zu sein. Darauf hatte sie bereits am Nato-Gipfel in Brüssel repliziert und dabei betont, dass Deutschland eine «eigenständige Politik» zu betreiben in der Lage sei. Was politische Fremdbestimmung sei, erklärte die in der DDR aufgewachsene Kanzlerin, habe sie selber erlebt, als die Sowjetunion einen Teil Deutschlands kontrollierte.

Politik wird mehr und mehr, was sie in Teilen schon immer war: Ringen um Machtgewinn und Machterhaltung. Fragt sich, wie dies geschieht. Einige Mittel scheinen sich – unter dieser Zielsetzung – besser zu eignen als andere. Schnellen Erfolg versprechen nationalistische und fremdenfeindliche Parolen. Manchmal kann das erfreulicherweise aber auch daneben gehen. Der von den Grossen der CSU angezettelte Streit mit CDU-Chefin Merkel ist ein Lehrstück dazu.

Die radikale Konkurrenz mit deren eigenen Waffen zu schlagen versuchen – das funktioniert in der Regel nicht.

Die Hauptfunktion der in den letzten Wochen betriebenen Konfrontation mit der Schwesterpartei bestand offensichtlich darin, die politischen Anhängerschaften im Hinblick auf die bayerischen Landtagswahlen im Herbst so einzustimmen, dass die CSU über ihr aktuelles Tief von rund 38 Prozent hinauskommt und als starke Kraft der Rechten der AfD (Alternative für Deutschland) möglichst keinen Platz lässt.

Wie jüngste Umfragen zeigen, ist die CSU mit ihrer rechtsnationalen Akzentuierung diesem Ziel aber überhaupt nicht nähergekommen. Ihr wird ein «Sturzflug» vorausgesagt, und die AfD scheint mit ihren derzeitigen Umfragewerten von 15 Prozent weit über die Landtags-Sperrklausel von fünf Prozent hinauszukommen.

Wenn bürgerliche Parteien ihre radikale Konkurrenz mit deren Waffen zu schlagen versuchen, dann geht diese Rechnung in der Regel nicht auf. Das wäre eine Einsicht, die sich in der Schweiz auch FDP und CVP zu eigen machen könnten.

In populistischer Manier schüren Kräfte, die auf ihre Weise ja ebenfalls «Elite» sind, Ressentiments gegen andere «Eliten».

Eine schonungsvolle Interpretation geht davon aus, dass die CSU nur in der guten Absicht handle, der radikalen Rechten das Wasser abzugraben. Eine schonungslosere Deutung muss hingegen zum Schluss kommen, dass sich massgebende Kräfte der CSU von der äusseren Rechten angezogen fühlen und Taktik bloss ein Vorwand ist, um dahin zu streben, wo man aus eigenen Motiven gerne hingelangen möchte.

Dies zeigt sich, wenn der CSU-Bundestag-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt die Wahlerfolge des ungarischen Regierungschefs Victor Orban als Ergebnis klassisch «bürgerlicher-konservativer» Politik feiert, wenn er das Ende der «linken Revolution der Eliten» und den Anfang der «konservativen Revolution der Bürger» verkündet und wenn er beansprucht, mit unbürgerlicher Politik im Namen der Bürger zu handeln.

In populistischer Manier schüren Kräfte, die auf ihre Weise ja ebenfalls «Elite» sind, Ressentiments gegen andere «Eliten». Die CSU macht (wie die SVP) als Regierungspartei in den vergangenen Wochen hemmungslos in radikaler Opposition. Dabei ist die sogenannte Flüchtlingsfrage das zentrale Thema. Alles andere, etwa die möglichen Haltungen in Fragen wie Steuern, Verkehr oder Sozialversicherungen, erscheint im Kampf um Wähler sonderbar sekundär.

Für Bayern, gegen die EU

Neben dem Hauptziel, mit einer in Berlin angerichteten Regierungskrise zu Hause im Freistaat Bayern zu punkten, verfolgt die CSU tendenziell zwei weitere Ziele: Sie würde sehr gerne auch im «restlichen» Deutschland politisches Terrain erobern. Das ist allerdings kein neues Ziel. Bereits in den 1970er-Jahren musste (und konnte) die CDU dieses Ansinnen mit der Drohung parieren, ihrerseits in bayerischen Gefilden fischen zu gehen.

Das andere Ziel ist der Rückbau der EU. Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident, diagnostiziert, dass der «Multilateralismus» heute durch die Einzelländer abgelöst werde und trägt mit seinem Kurs gleich selber dazu bei, dass seine Diagnose in Erfüllung geht.

Horst Seehofer, Bundesinnenminister und noch immer CSU-Vorsitzender, drohte mit dem Bruch des CSU/CDU-Bündnisses, falls es der Kanzlerin Merkel nicht in wenigen Tage gelinge, die EU zu einer gemeinsamen Haltung in der Flüchtlingspolitik zu bringen und sie sich weiterhin weigere, zu einer dezidierten Politik des nationalen Alleingangs überzugehen, wie sie beispielsweise vom ungarischen Ministerpräsidenten Orban betrieben werde. Merkel konnte in der gesetzten Frist nur wenig bewirken, der angedrohte Bruch blieb jedoch aus und Seehofers Demission ebenfalls.

Beste Feinde

Bei alldem spielen, wie so oft, auch innerparteiliche Rivalitäten und Ambitionen eine Rolle. Die Frage, ob man auf der gesamtdeutschen Bühne oder gar auf der Bühne der EU als Störfaktor erfolgreich auftreten kann, ist in der Partei-Innenpolitik ein wichtiges Überlebenskriterium geworden.

Markus Söder, der im März 2018 von Horst Seehofer das Ministerpräsidium erben konnte, würde von ihm gerne auch den CSU-Vorsitz übernehmen. So ist es nicht verwunderlich, dass er den Horst im Berliner Regen stehen liess und dessen erpresserische Politik ostentativ nicht unterstützte. Seit Längerem decken sich Söder und Seehofer gegenseitig mit spitzen Bemerkungen ein und sind so etwas wie «beste Feinde».

Theresa May macht die Erfahrung, dass man oft nur neue Probleme schafft, wenn man die alten zu lösen versucht.

Zum Schluss noch ein Blick auf die britischen Inseln, von wo uns täglich Meldungen über den neuesten Stand zum Brexit-Drama erreichen. Hier hat die momentane Regierungschefin nicht mit einer CSU zu kämpfen. Hier operierten die innerparteilichen Gegner unter dem unverdächtigen Kürzel ERG (European Research Group).

Hier wird nicht die Flüchtlingsfrage (und schon gar nicht das marode Eisenbahnsystem), sondern die Gestaltung des künftigen Verhältnisses zur EU zum Hauptpunkt der Innen- und Parteipolitik gemacht.

Theresa Mays Lage ist komplizierter als diejenige Angela Merkels. Erstens hat sie mit der Labour Party einen stets stärker werdenden ausserparteilichen Gegner. Und zweitens hat sie in der eigenen Tory-Partei eine doppelte Gegnerschaft. Dem einen Flügel ist ihre mittlere EU-Exit-Strategie zu schwach, dem anderen zu stark.

Das von ihr vorgelegte Weissbuch wurde von ihrem Parteikollegen und ehemaligen Aussenminister Boris Johnson vor allem darum schwarzgeredet, weil er Mays Nachfolge anstrebt.

Welcher Brexit nützt wem?

Vergangene Woche ist May den Hardlinern im Unterhaus punktuell entgegengekommen und hat damit wiederum die Moderaten verärgert. Diese Sitzung überstand sie nur knapp, aber es wird nach einer Schlaufe im Oberhaus zu einer weiteren Runde kommen. Die arme Frau macht die nicht untypische Erfahrung, dass man oft nur neue Probleme schafft, wenn man die alten Probleme zu lösen versucht.

Wie bereits die von Mays Vorgänger, dem damaligen Ministerpräsidenten David Cameron, angesetzte Brexit-Abstimmung von Juni 2016 nur die Funktion hatte, widerspenstige Parteifreunde auf die Linie zu bringen, wird auch jetzt jede mögliche oder unmögliche Variante einer Brexit-Realisierung fast nur unter dem Aspekt betrachtet, ob sie dieser oder jener Partei und dieser oder jener Fraktion innerhalb der Parteien nützt.

Am 25. Juli begannen auch auf der britischen Insel für sechs Wochen die politischen Ferien. Bestimmt werden auch britische Politiker diese nutzen, um sich für die Zeit danach in Stellung zu bringen.

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