Frankreich hat einen neuen Präsidenten: François Hollande besiegt im zweiten Wahlgang Amtsinhaber Nicolas Sarkozy. Auf den neuen französischen Präsidenten wartet eine Menge Arbeit: Nicht nur diplomatisch, sondern auch wirtschafts- und europapolitisch wird er sofort voll beansprucht.
Es war ein harter, ein langer Wahlkampf, doch der frisch gekürte Staatschef François Hollande wird «keine Sekunde» Verschnaufpause haben, wie der Radiosender RTL am Wochenende kommentierte. Im Juni folgen in Frankreich noch Parlamentswahlen; erst danach weiss der Herrscher im Elysée-Palast, ob ihm die Franzosen auch eine Parlamentsmehrheit mit auf den Weg geben werden. Doch bis dahin braucht Frankreich bereits eine Regierung – und die muss schnell handeln.
Schon am Montag muss der Präsident beginnen, eine Regierung zu bilden. Denn ungefähr in einer Woche, wenn er das Mandat antritt, muss alles bereit sein – politisch, diplomatisch, ökonomisch. Mitte Mai wird er beim G8-Gipfel in Camp David (USA) die – zum Teil neuen – französischen Standpunkte einbringen müssen. Anschliessend folgt der Nato-Gipfel in Chicago, wo Frankreich einen frühzeitigen Rückruf seiner Truppen aus Afghanistan bekanntgeben könnte. Auch das G20-Treffen im Juni in Los Cabos (Mexiko) will angesichts der weltwirtschaftlichen Spannungen genaustens vorbereitet sein.
Am 17. Mai kommt es zum Test
Nicht nur deshalb wird in der neuen Agenda des französischen Präsidenten zweifellos schon im Mai ein Treffen mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel vorgesehen sein. Zusammen werden sie vor allem den nächsten EU-Gipfel von Juni vorbereiten. Dabei geht es um die höchst umstrittene Frage des Wirtschaftswachstums; Berlin will keine zusätzlichen Milliarden lockermachen, während Paris im Einklang mit Südanrainern wie Spanien oder Griechenland europaweit neue Impulse verlangt, um die drohende Rezession abzuwenden.
Ein erster Test von europäischer Tragweite kommt am 17. Mai: Dann muss Frankreich 12 Milliarden Euro aufnehmen. Gelegenheit für die Finanzmärkte, ihre Meinung zum neuen Präsidenten in Paris zu äussern. Klettern die Zinsen hoch, wie das in Spanien unlängst der Fall war, könnte Frankreich – das heute noch zu relativ tiefen Zinssätzen von drei Prozent Geld borgt – rasch einmal in die Schuldenfalle geraten. Und damit der ganze Euroraum: Denn Frankreich ist neben Deutschland der wichtigste Nettozahler der EU; fällt Paris aus, bleiben im Euroraum nicht mehr viele Pfeiler übrig. Der 17. Mai wird damit zum ersten Glaubwürdigkeitstest für den neugewählten Präsidenten, für Frankreich und ganz Europa.
Sarkozy hat Entlassungswelle zurückgehalten
Daneben wird der neue Staatschef aber auch sozialpolitisch sofort absorbiert sein. Nach Meinung vieler Ökonomen ist für die Zeit nach den Präsidentschaftswahlen in Frankreich mit einer Entlassungswelle zu rechnen. Nicolas Sarkozy versuchte in den Monaten vor der Wahl alles, um drohende Sozialpläne zu vermeiden; in diversen Firmen wie Photowatt, SeaFrance oder Sernam wurden diese Vorhaben aber nur aufgeschoben, weil ihnen der Präsident Übergangshilfe versprach.
Jetzt werden die Unternehmen nicht mehr länger zuwarten. Eine Fabrik des Konzerns Peugeot-Citroën (PSA) in Aulnay-sous-Bois bei Paris ist von der Schliessung bedroht. Die Supermarktkette Carrefour könnte bald 3000 Stellen streichen. Auch der Telekombetreiber Orange, die Fluggesellschaft Air France oder der Atomkonzern Areva wollen Personal abbauen.
Es drohen Streiks und Blockaden
Das wird natürlich die Arbeitslosigkeit erhöhen, die jetzt schon bei 9,8 Prozent liegt. Ein Überschreiten der 10-Prozent-Schwelle wäre für den neuen Präsidenten ein denkbar schlechter Start in ein Fünfjahresmandat, in dem auch finanzpolitisch der Kampf gegen die Rezession zuoberst steht: Die Staatskasse ist schon leer, und beide Präsidentschaftskandidaten haben versprochen, das Budgetdefizit spätestens bis 2017 auf Null zu reduzieren, das heisst also, die Staatsausgaben zu senken. Deshalb besteht konjunkturpolitisch kaum Handlungsspielraum.
Grossen Nachholbedarf hat die französischen Volkswirtschaft hingegen strukturell: Da der Arbeitsmarkt zu wenig flexibel und die Unternehmens-Abgaben im europäischen Vergleich zu hoch sind, hat der Werkplatz Frankreich in zehn Jahren viel von seiner Konkurrenzfähigkeit verloren. Die nötigen Strukturreformen sind aber politisch schwierig durchzusetzen; in jedem Fall drohen Streiks und Blockaden. Auch diesbezüglich wird der neue Präsident sofort mit der harten Realität der Wirtschaftskrise konfrontiert sein, ob es der neue, alte Präsident Nicolas Sarkozy oder worauf alle Prognosen hindeuten, François Hollande sein wird.