Klicks und Likes sind die Währung des Internets – und es wird gefälscht wie bei richtigem Geld

Likes sind heutzutage zu einem Handelsgut geworden. Doch immer mehr Stars und Unternehmen frisieren die Zahlen ihrer Fans und Follower – und unterminieren damit Facebook. Sind soziale Netzwerke überbewertet?

Former U.S. Secretary of State Hillary Clinton speaks during a Gates Foundation event in New York, in this file photo taken March 9, 2015. Clinton took the number two spot in the 'World's Most Powerful Women 2015' in Forbes Magazine annual ranking released Tuesday. REUTERS/Lucas Jackson/Files (Bild: REUTERS/Lucas Jackson)

Likes sind heutzutage zu einem Handelsgut geworden. Doch immer mehr Stars und Unternehmen frisieren die Zahlen ihrer Fans und Follower – und unterminieren damit Facebook. Sind soziale Netzwerke überbewertet?

2009 erfand Facebook den Gefällt-mir-Button. Dieser simple Daumen nach oben ist nicht nur zu einer Art Ikonografie unseres Zeitalters geworden, er hat auch die Internetwirtschaft nachhaltig verändert. Klicks sind zur Währung im World Wide Web geworden, Facebook-Likes und -Fans lassen sich kapitalisieren.

Laut einer Studie der Social-Marketing-Firma Syncapse ist ein Facebook-Like 174 Dollar wert. Der Fussballstar Cristiano Ronaldo hat auf Facebook allein 102 Millionen Fans – ein riesiges Kapital. Stars, Unternehmen, Marken nutzen soziale Netzwerke, um mit ihren Fans und Kunden in Kontakt zu treten. Und sie alle streben danach, die Zahl ihrer Fans und Follower zu maximieren. Denn je mehr Leute eine Seite liken, desto mehr (potenzielle) Adressaten hat man für seine Werbebotschaften.

Allein, nicht hinter jedem Profil verbirgt sich ein echter Nutzer. Immer mehr Profile sind Fake-Accounts. Auf Seiten wie buylikesandfollowers.com (inzwischen gramlikes.com) kann man Likes wie T-Shirts kaufen, wahlweise im 1000er- oder 10’000er-Paket (für 10 Dollar). Man gibt einfach die URL des Facebook-Accounts an, schon steigt auf wundersame Weise die Zahl der Fans. Bezahlt wird bequem per Kreditkarte.

Klickfarmen sind die Textilfabriken des 21. Jahrhunderts.

Für Start-ups oder Künstler, die ihre Reichweite erhöhen wollen, besteht ein Anreiz, die Fanbasis aufzumotzen. Denn an der Zahl der Likes lesen wir die Popularität eines Produkts ab.

Längst werden Likes in grossem Stil montiert, automatisch per Bots (Softwareprogramme) oder manuell. In Dhaka und Manila gibt es zahlreiche Klickfarmen, in denen Tagelöhner die Facebook-Likes von Popstars oder Unternehmen hochschrauben. Stundenlang sitzen sie vor flimmernden Bildschirmen in dunklen Fabrikhallen und klicken im Akkord auf Seiten oder Fotos. Für 1000 Likes oder Follower bekommen die Arbeiter einen Dollar. Ein Bettel. Die Klickfarmen sind die Textilfabriken des 21. Jahrhunderts.

Hillary Clinton und die falschen Fans

Der Betrug betrifft auch Prominente. Laut der Analytics-Firma Social Bankers sollen 2013 gut die Hälfte der damals 35 Millionen Facebook-Fans von Katy Perry fingiert gewesen sein. 2012 berichtete die «New York Times», dass 70 Prozent der insgesamt 19 Millionen Follower Obamas auf Twitter Fakes waren. Und vor Kurzem ergab eine Analyse von StatusPeople.com, einem Audit-Tool für Twitter, dass von den 3,6 Millionen Twitter-Followern von US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton 41 Prozent inaktiv und 15 Prozent gar Fakes sind.

Man kann sich natürlich fragen, was ihr solche Follower bringen. Vorstellbar wäre, dass das US-Publikum an der Zahl der Follower die Popularität eines Politikers oder einer Politikerin abliest. Wenn also Hillary Clinton mehr Follower hat als etwa Jeb Bush, kann das von Vorteil sein. Sie wird damit für Twitter-User interessanter und der virale Effekt grösser, mit dem sich ihre Botschaften verbreiten.

 

 



Die Top-10 der Popsternchen mit den meisten Followern auf Twitter.

Die Top-10 der Popsternchen mit den meisten Followern auf Twitter. (Bild: socialbakers.com)

Clintons Anhängerschaft im Netz steht auf tönernen Füssen. Das Landgericht Stuttgart hat vor Kurzem ein Unternehmen auf Unterlassung verurteilt, das 14 500 Likes im Internet gekauft hatte. Die dahinter steckenden Personen kamen überwiegend aus Indonesien, Indien und Brasilien – Länder, in denen das Unternehmen gar nicht aktiv war. Nach Ansicht des Gerichts handelte es sich um irreführende Werbung. Die Facebook-Likes würden auf ein Gefallen an der Firma bzw. deren Produkten schliessen lassen, obwohl dieses tatsächlich gar nicht vorhanden war. 

Für Facebook sind die Manipulationen ein grosses Ärgernis, denn sie unterminieren die Werbekraft des Konzerns. Mehr als 90 Prozent von Facebooks Einnahmen (rund 12,5 Milliarden Dollar) speisen sich aus Anzeigenerlösen. Gleiches gilt für Twitter. Facebooks Algorithmen durchforsten die Seiten nach verdächtigem Nutzerverhalten und sperren Fake-Accounts. Einen Anhaltspunkt liefern Abweichungen von der durchschnittlichen Zahl der Freunde (ca. 200) und gelikten Seiten. Im Februar liess Facebook mitteilen, dass sieben Prozent der 1,39 Milliarden Profile Fake-Accounts oder Duplikate sind – das wären 97 Millionen.

Experten gehen davon aus, dass die Zahl in Wahrheit weit höher liegt. Ein internationales Forschungsteam, das in einem Experiment die Online-Anzeigen auf Facebook untersuchte, fand heraus, dass 1867 von 2767 Likes – also zwei Drittel – manipuliert waren. Wissenschaftler des Cyber Physical System Lab der McGill University in Montreal demonstrierten jüngst in einer Studie, wie man mit einem Spam-Account 20-Facebook-Likes pro Minute generieren kann.

Manipulateure können sich einen Fehler im System von Facebook (sog. Flaws) zunutze machen: Durch mehrfaches Kommentieren eines Artikels auf einer Facebook-Seite erhöht sich die Like-Zahl entsprechend. Das Ergebnis ist verzerrt. Mehrere Nachrichtenseiten wie Yahoo, abcNews, HuffingtonPost, FoxNews und ESPN hätten so falsche Social-Media-Kennzahlen, schreiben die Forscher in ihrem Paper.

Die Ergebnisse werfen kein gutes Licht auf Facebooks interne Kontrollmechanismen. Der Konzern aus Cupertino spielt die Problematik herunter. Doch wenn soziale Netzwerke kein valides Marketinginstrument sind, weil sie in noch höherem Masse von Fake-Accounts unterwandert werden, könnte das gesamte Geschäftsmodell infrage gestellt werden. Welcher Anzeigenkunde will schon, dass seine Werbung von digitalen Pappkameraden gelesen wird? 

Die Werbebranche wird unruhig

Laut einer Studie von Ogilvy erreichen Posts grosser Marken nur zwei Prozent der Fans auf Facebook. Unternehmen treibt die Sorge um, wie sie in sozialen Netzwerken effektiv mit Kunden interagieren können. Der Analyst Nate Elliott von der Marktforschungsgesellschaft Forrester appellierte in seinem Blog: «Hören Sie auf, Facebook zum Zentrum Ihrer Marketingbemühungen zu machen.» Marken, so Elliott, würden auf Facebook und Twitter finanzielle Ressourcen verschwenden.

Das sagte sich auch der Start-up-Unternehmer Raaj Kapur Brar, der eine Reihe von Online-Fashion-Magazinen im Netz betreibt. Brar nutzte Facebook als Werbekanal für seine Marketingkampagnen. Als der Entrepreneur jedoch bemerkte, dass seine Facebook-Seite einen ungewöhnlich hohen Like-Zuwachs verzeichnete und viele der neuen Fans nur ein paar wenige Facebook-Freunde hatten, wurde er stutzig. Offensichtlich war seine Facebook-Seite von Fake-Accounts überschwemmt worden. Laut Facebook erreichten seine Anzeigen 606’000 Klicks. Brar selbst registrierte allerdings nur 160’000 Klicks auf seinen Seiten. Der Werbeeffekt war also deutlich reduziert. Der Unternehmer weigerte sich, eine ausstehende Zahlung an Facebook von 370’000 Dollar zu begleichen.

Das Problem ist, dass Facebook keine Überprüfung seiner Klickzahlen durch unabhängige Institute oder Wirtschaftsprüfer zulässt, so wie das eigentlich üblich ist in der Branche. Werbekunden fordern von Facebook schon länger eine Offenlegung der genauen Metrics und Eckdaten. In seinem Bericht an die US-Börsenaufsicht SEC gab der Konzern 2014 bekannt, dass zwischen 5,5 und 11,2 Prozent der damals 1,23 Milliarden registrierten Facebook-Profile Fake-Accounts sind. Das ist eine äusserst grosse Spanne und vage Information. Im schlimmsten Fall würden 140 Millionen Nutzer für Werbezwecke wegfallen. Konsequenz: Die Anzeigentarife müssten einer Neubewertung unterzogen werden. Was Facebook natürlich nicht will. In der Zwischenzeit hat sich das Problem verschärft. Die Online-Community droht sich in ein Potemkinsches Dorf zu verwandeln – und der Like-Button zur Farce.

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