Kobane ist frei und konnte am 21. März neben dem kurdischen Neujahrsfest Newroz einen grossen Sieg feiern. Zu Tausenden kehren die Flüchtlinge zurück. Doch die Stadt ist zerstört und belagert, ein Aufbau aus eigener Kraft nicht möglich.
Auf der Fahrt vom türkischen Suruç zum Newroz-Fest im Grenzgebiet zwischen dem syrischen Kobane und der Türkei sehen wir Rauchwolken hinter den Hügeln aufsteigen. «Du kannst dir das Gefühl nicht vorstellen», sagt Fahrer und Dolmetscher Jack Shahine. «Im Januar hätten wir gedacht, der Rauch käme von Granateneinschlägen. Jetzt sind es kurdische Freudenfeuer. Wir sind frei.»
Wirklich frei sind Kobane und die türkische Nachbarstadt Suruç freilich nicht. Noch immer stemmt die Stadtverwaltung in Suruç die Last, etwa 40’000 Flüchtlinge zu versorgen. Die Türkei weigert sich nach wie vor, Hilfsgüter ausser (begrenzt) Nahrungsmitteln über die Grenze zu lassen. «Seit zwei Wochen stehen mehrere Lastwagen voller dringend benötigter Kompressoren nutzlos herum», erzählt Suhal Ekmez, Co-Stadtpräsidentin von Suruç und Mitglied der prokurdischen Partei HDP.
Von der UNO kaum eine Spur
Bizarrerweise sieht man keine UNO-Mitarbeiter. Aber die Passierscheine über die Grenze stellt ein ominöses UNO-Büro aus. Ekmez: «Die UNO ist per türkischem Gesetz, wie auch NGOs, gezwungen, mit dem türkischen Katastrophenhilfswerk Afad zusammenzuarbeiten. Und die Afad bekommt alle Hilfsgelder, doch sie behindert unsere Arbeit, wo sie kann.»
Von der vielzitierten Soforthilfe, von der immer die Rede ist, sei in Suruç keine Lira angekommen, ärgert sich Suhal Ekmez. «Und obwohl ich die zuständige Ansprechperson bin, hat nie ein UNO-Mitarbeiter eine Silbe mit mir gewechselt.»
Wie ernst die Lage ist, wird uns klar, als wir die zentrale Brotfabrik besichtigen. Vor dem Eingang drängelt sich eine Menschenmenge. Das Schiebetor wird von älteren Männern mit Kalaschnikows bewacht. Beim Rundgang durch die schon antike Brotfabrik erklärt uns Fatihi Misiru, Koordinator der Kobaner Infrastruktur, dass ihnen bei der aktuellen Versorgungslage in zehn Tagen Mehl und Öl ausgehen werden. «Die 52 Mitarbeiter der Bäckerei arbeiten übrigens ehrenamtlich. Selbst wenn wir sie bezahlen wollten, könnten wir das nicht, weil wir gar kein Geld haben.»
An der gewöhnlichen Bevölkerung geht der Krieg der Diplomaten weitgehend unbemerkt vorbei. In den Trümmerhalden von Kobane herrscht reges Treiben. Überall wird geklopft, gehämmert, geschweisst. Sogar einzelne Lebensmittelläden und Teehäuser haben geöffnet. Obwohl die meisten Menschen bewaffnet sind, herrscht eine friedliche und fast fröhliche Stimmung.
Haben Kinder Leichen wegschleppen gesehen: Hasan Ali (45, links) und Habesh Weys (50). (Bild: Zöhre Kül)
Zwei Männer schrauben an einem merkwürdigen Apparat herum. Hassan Ali (32) und Habesh Weys (50), beide Hilfsmechaniker, versuchen eine alte Wasserpumpe zum Laufen zu bringen. «Die haben uns die Araber vorbeigebracht. Erst haben wir den Arabern geholfen, jetzt helfen sie uns», erklärt Ali ihre Bastelei.
Ali ist Vater von vier Kindern und schon vor drei Monaten zurückgekommen, um zu kämpfen. Weys hat sechs Kinder und ist seit drei Tagen in Kobane. Haben sie keine Angst vor Minen und Sprengfallen? «Wir haben uns vor Hunderten von Granaten nicht gefürchtet. Warum sollen wir jetzt Angst vor ein paar Dutzend haben?» Und die Probleme mit der Infrastruktur? «Das Wasser pumpen wir mit dem Ding da hoch, Strom machen wir mit Generatoren, und was nicht zu haben ist, schmuggeln wir eben. Wir haben gesehen, wie Kinder Leichen weggeschleppt haben. Was soll uns noch erschüttern?»
Glücklich in Trümmern
Betreten ziehen wir weiter zum Treffpunkt für den Rückweg. Unaufgefordert nimmt uns ein junger Mann in seinem Pickup mit. Der 22-jährige LKW-Chauffeur Rezyd Bozar hat den Einsatz an der Front unbeschadet überlebt. Aber als er versuchte, seine Familie heim in ein leerstehendes Haus zu holen, haben ihm türkische Soldaten die Hand gebrochen und den Arm ausgekugelt. Anschliessend luden sie ihn wissentlich auf einem Minenfeld ab. Wenn die Verletzungen verheilt sind, will er es erneut versuchen.
Schliesslich treffen wir auf einen Mann, der die Ziegel seines zerbombten Hauses sortiert. Sabhey Hodin (45) ist Gasflaschenhändler. Auch er ist, wie so viele, hier, um sein Heim wiederaufzubauen, damit seine Familie heimkehren kann. Was ist das für ein Gefühl, sein Haus in einem solchem Zustand vorzufinden? «Das ist kein schöner Anblick. Aber trotzdem. Vor allem fühle ich mich frei, stolz und glücklich.»
«Frei, stolz, glücklich»: Sabhey Hodin baut aus Trümmern sein Haus wieder auf. (Bild: Zöhre Kül)