Die Mitgliedstaaten der Genfer Konventionen haben am Mittwoch bekräftigt, dass das humanitäre Völkerrecht für die besetzten Palästinensergebiete weiterhin gilt. Mehr als ein Signal zur Einhaltung des Rechts ist die Erklärung der Konferenz zunächst nicht.
126 Mitgliedstaaten der Genfer Konventionen haben am Mittwoch bekräftigt, dass das humanitäre Völkerrecht in den besetzten Palästinensergebieten, einschliesslich Ostjerusalems und des Gazastreifens, weiterhin eingehalten werden muss. Die Konferenz befasste sich insbesondere mit der 4. Genfer Konvention, welche den Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegen betrifft und unter anderem auch verbietet, dass die Besetzungsmacht Siedlungen in besetzten Gebieten baut.
In ihrer in Genf durch Konsens verabschiedeten Erklärung hielt die Konferenz zudem fest, dass das humanitäre Völkerrecht von allen Konfliktparteien, auch nichtstaatlichen Akteuren, eingehalten und zwischen zivilen sowie militärischen Zielen unterschieden werden muss. Sie erinnerte daran, dass die «Besetzungsmacht die Bedürfnisse der Bevölkerung in den besetzten Palästinensergebieten berücksichtigen muss und auch zur die Versorgung der Bevölkerung verpflichtet ist».
Besorgt über Besetzung der Palästinensergebiete
Weiter hoben die Teilnehmer der Konferenz hervor, dass Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht untersucht und die Verantwortlichen vor Gericht gebracht werden müssen. Die Konferenz erklärte sich sehr besorgt über die anhaltende Besetzung der Palästinensergebiete sowie über die Abriegelung des Gazastreifens und bekräftigte, dass die israelischen Siedlungen völkerrechtlich illegal sind. Sie erinnerte daran, dass Israels Mauerbau zumindest dort, wo dieser von der Grenzlinie von 1967 abweicht, das humanitäre Völkerrecht verletzt.
Anlass für die Konferenz in Genf war der Krieg im Gazastreifen im vergangenen Sommer, bei dem auf palästinensischer Seite mehr als 2000 Menschen ums Leben kamen, die meisten von ihnen Zivilisten, darunter über 500 Kinder. Auf israelischer Seite wurden rund 70 Menschen getötet, mehrheitlich Soldaten. Die Hamas geriet in Kritik wegen wahlloser Raketenangriffe auf israelisches Gebiet und Israels Armee wegen Angriffen auf Schulen und Spitäler.
«Es ist wichtig, den Palästinensern zu zeigen, dass sich die Regierungen mit ihrem Leid befassen und die Respektierung des Rechts verlangen.»
Dem Wunsch der Palästinenser, eine periodische Prüfung der Einhaltung des humanitären Völkerrechts einzurichten, wurde an der Konferenz nicht entsprochen, was die islamischen Staaten kritisierten. Eine Mehrheit der Konferenzteilnehmer lehnte jedoch die Schaffung neuer Bestimmungen ab, unter anderem, weil sie bei neuen Verhandlungen eine Verschlechterung der bisherigen Regeln befürchten.
Die Mitgliedstaaten der Genfer Konventionen sind zwar verpflichtet, für die Einhaltung dieser Abkommen zu sorgen – deshalb wurde die Konferenz auch einberufen. Über einen eigentlichen Kontrollmechanismus verfügen die Genfer Konventionen bisher jedoch nicht. Die EU hielt in ihrer Stellungnahme fest, eine Zweistaatenlösung sei weiterhin das Ziel. Der palästinensische Botschafter Ibrahim Khreshe bezeichnete die Konferenz als ein starkes rechtliches und moralisches Signal, selbst wenn sie vor Ort zunächst nicht viel ändere. «Es ist wichtig, den Palästinensern zu zeigen, dass sich die Regierungen mit ihrem Leid befassen und die Respektierung des Rechts verlangen», sagte er nach dem Treffen.
Die Konferenz war Teil verschiedener diplomatischer Vorstösse Palästinas. So will die PLO dem Uno-Sicherheitsrat eine Resolution vorlegen, die eine Beendigung der Besetzung der Palästinensergebiete und den Abzug der israelischen Armee innert zwei Jahren fordert. PLO-Chefunterhändler Sajeb Erakat hatte am Dienstag mit US-Aussenminister John Kerry in London verschiedene Resolutionsentwürfe beraten. Die USA haben jedoch ein Veto angekündigt. Nach palästinensischen Angaben hiess es, Erakat habe erklärt, in einem solchen Fall die Mitgliedschaft beim Internationalen Strafgerichtshof zu beantragen, um juristisch gegen Israel wegen Kriegsverbrechen vorgehen zu können. Ein solches Vorgehen lehnen die USA ab.
Für Schutz der Bevölkerung
Als Depositarstaat der vier Genfer Konventionen hatte die Schweiz zu der Konferenz eingeladen. Sie stützte sich dabei auf eine Resolution der Uno-Generalversammlung von 2009, die von 114 Staaten verabschiedet worden war. Im letzten Juli hatte die Schweiz Konsultationen für eine Konferenz wieder aufgenommen, nachdem diese 2011 suspendiert worden waren.
Konferenzen über die 4. Genfer Konvention fanden bereits 1999 und 2001 statt. Thema war eine neue Konferenz im August auch bei einem Treffen von EDA-Staatssekretär Yves Rossier mit einer Delegation der Arabischen Liga in Bern. Der Delegation gehörten der Generalsekretär der Arabischen Liga Nabil al-Arabi sowie der palästinensische Aussenminister Riad al-Maliki an.
Der Schweizer Botschafter und Leiter der Konferenz in Genf, Paul Fivat, sagte nach dem Treffen, es sei um eine Stärkung des humanitären Völkerrechts zum Schutz der Zivilbevölkerung gegangen und nicht um gegenseitige Anschuldigungen. Den Vorwurf Israels, die Schweiz habe mit der Einberufung der Konferenz ihre Neutralität aufgegeben, liess Fivat nicht gelten. Der Vorwurf sei «absolut nicht gerechtfertigt», sagte er. Die Schweiz habe als Depositarstaat die Pflicht, Konsultationen mit den Staaten durchzuführen. Es seien aber die Mitgliedstaaten der Genfer Konventionen, die über das Abhalten der Konferenz entschieden.
Für die Einberufung einer Konferenz waren vor allem die islamischen und die blockfreien Staaten. Klar dagegen waren neben Israel, das ebenfalls Mitglied der Genfer Konventionen ist, auch die USA, Kanada, Australien und Ruanda. Die USA teilten am Mittwoch mit, sie beteiligten sich nicht an der Konferenz, weil sie eine Politisierung der Genfer Konventionen befürchteten. Die USA hielten die Konventionen jedoch für bedeutend, wollten aber Aktionen vermeiden, die deren Einhaltung untergraben könnten, hiess es weiter. Aus Europa waren alle Länder vertreten.