Konsequent rechts

Frankreich hat genug von Nicolas Sarkozy. Ausser die Elsässer – sie tanzen wieder mal aus der Reihe.

Frankreich hat genug von Nicolas Sarkozy. Ausser die Elsässer – sie tanzen wieder mal aus der Reihe.

Wahlplakate im Elsass: Noch hat Staatspräsident Nicolas Sarkozy die Nase vor Marine Le Pen, der Chefin vom Front National.

Wahlplakate im Elsass: Noch hat Staatspräsident Nicolas Sarkozy die Nase vor Marine Le Pen, der Chefin vom Front National. (Bild: Mark Niedermann)

Frankreich steht am Sonntag wohl eine Wende bevor: Nach fünf Jahren dürfte der Sozialist François Hollande die Spitze der Grande Nation besetzen. Die Franzosen haben genug von Nicolas Sarkozy. Das Elsass aber dürfte einmal mehr anders ticken. In den beiden Départements Haut-Rhin und Bas-Rhin wählt man traditionell rechts.

Im ersten Wahlgang vor zehn Tagen kam UMP-Kandidat Sarkozy auf 33 Prozent der Stimmen, Marine Le Pen vom Front National (FN) auf 22 und der nationale Favorit Hollande auf bloss 19 Prozent. In der Grenzregion Sundgau war die Abneigung gegen den Sozialisten noch grösser: Auf Hollande entfielen nur gerade 13 Prozent der Stimmen, auf Le Pen 24 und auf Sarkozy gar 37 Prozent.

Neu ist das nicht: Seit Jahren gilt das Elsass als rechte Hochburg. Schon 1995 hatte Jean-Marie Le Pen, Vater der aktuellen FN-Kandidatin und jahrelang Kopf der Rechtsaus­senpartei 25 Prozent der Elsässer Stimmen erobert und lag damit vor allen anderen Kandidaten. Sozialisten hingegen haben es im Elsass seit jeher schwer: Einzig in den Städten Strassburg und Mülhausen sind sie mehrheitsfähig. In Mülhausen lag Hollande vor zehn Tagen mit 31 Prozent an der Spitze.

Über die Gründe für die Rechtslastigkeit des Elsass und die grossen Sympathien für den Front National zerbrechen sich Politologen seit Jahren die Köpfe. Einfache Erklärungen gibt es nicht. So ist das Elsass in Frankreich eine vergleichsweise wohlhabende Region, die weniger Immigration kennt als etwa der Süden Frankreichs mit dem Schmelztiegel Marseille, wo der FN ebenfalls stark ist. Auffallend ist auch, dass der Front National nicht etwa in Mülhausen oder Strassburg besonders beliebt ist, wo viele Einwanderer wohnen und es auch zu sozialen Spannungen kommt, sondern in den Dörfern, wo kaum Immigranten leben.

Ducken statt aufmucken

Die Anziehungskraft rechtsnationaler Ideen für viele Elsässerinnen und Elsässer ist am ehesten historisch zu erklären: Seit Jahrhunderten waren sie ein Spielball fremder Mächte, fremdbestimmt. Allein zwischen 1871 und 1945 wechselte die Herrschaft über die Re­gion viermal. Anpassung an die Obrigkeit war stets die Devise, die am besten das Überleben sicherte.

Anders als der Rest Frankreichs hat das Elsass deshalb keine lange demokratisch-republikanische Erfahrung. Ein aktives, selbstbewusstes Mitwirken in öffentlichen Angelegenheiten ist wenig verbreitet. Ganz speziell gilt das für den noch heute ländlich geprägten Sundgau, wo «Abstention» (Enthaltung) bei den seltenen öffentlichen Abstimmungen bereits als Beweis von Zivilcourage gilt.

Die offene politische Konfrontation gilt als verpönt. So ging etwa auch der Mai 1968 am Elsass weitgehend vorbei, und gestreikt wird hier im Vergleich zum Rest des Landes wenig.

Wenn die Kirche wettert

Eine wichtige Rolle für das wenig ausgeprägte politische Selbstbewusstsein der Elsässerinnen und Elsässer spielt bis heute auch die Kirche. Zwar trennt Frankreich als streng laizistisches Gemeinwesen Staat und Kirche offiziell streng. Doch im tief katholischen Elsässer Hinterland, zu dem der Sundgau gehört, ist der Einfluss der Kirche bis heute gross. Bei einer Umfrage vor einigen Jahren erwiesen sich die Elsässer national als regelmässigste Kirchengänger.

Findet in einer Sundgauer Gemeinde eine Beerdigung statt, platzt die Kirche aus allen Nähten, und einen Parkplatz im Dorf sucht man vergeblich. Von den Kanzeln aber wird sozialistisches Gedankengut bis heute als kirchenfeindlich diskreditiert.

Geprägt wird die Elsässer Identität auch durch das Gefühl, im Zentralstaat schlecht vertreten und nicht vollwertig anerkannt zu sein. Tatsächlich werden die Elsässer von den übrigen Franzosen bis heute gerne ein wenig belächelt. Nicht nur ihrer Sprache wegen, die übrigens trotz neuer, gegenteiliger Bestrebungen am Aussterben ist. Bei französischen Beamten etwa gilt eine Versetzung ins Elsass als Strafe. Nur ein Posten in Korsika ist noch schlimmer.

Grenzgänger sind Einzelkämpfer

Gefühle der Unsicherheit, der Schwäche gibt es auch gegenüber den wirtschaftlich stärkeren Nachbarn in Deutschland und der Schweiz: Über 60’000 Grenzgänger fahren täglich in die Schweiz und ins Badische zur Arbeit. Ohne die Elsässer Grenzgänger blieben die Kassen und Regale bei Migros und Coop in Basel leer, die Handwerksbetriebe und KMU der Nordwestschweiz gerieten in Personalnot.

Für die klassischen französischen Gewerkschaften, bis heute neben den vergleichsweise privilegierten Beamten die treuste Klientel der Sozialisten, sind diese Arbeitnehmer weitgehend verloren. Sie sind kaum zu mobilisieren, fühlen sich als einzelkämpferische, fleissige Kleinbürger, die sich dank den höheren Einkommen jenseits der Grenzen ihr Häuschen leisten können. Aber sie leben immer etwas im Ungewissen. Mit Verwunderung und Empörung nimmt man im Elsass jeweils zur Kenntnis, wie schnell und leicht Schweizer Firmen Arbeitsplätze abbauen können.

Durch ihren persönlichen beruflichen Aufstieg bekräftigt, wählen die meisten Grenzgänger zwar eher Sarkozy als den Front National: Sarkozys Versprechen, dass, wer hart arbeite, es zu etwas bringe, geht für sie individuell oft in Erfüllung. In typischen Grenzgängergemeinden wie Hegenheim oder Leymen, wo fast alle in der Schweiz arbeiten, erreichte Sarkozy vor zehn Tagen fast 50 Prozent der Stimmen, der FN nur 17 bis 19 Prozent, Hollande gerade einmal 10 Prozent. Daran wird sich am kommenden Sonntag kaum etwas ändern.

Absenz der Grünen

Blosse Randfiguren auf der politischen Bühne sind im Elsass trotz Fessenheim einmal mehr die Grünen. Trotz dem grünen Einfluss aus der deutschen und der Schweizer Nachbarschaft gelang es den Grünen im Präsidentschaftswahlkampf nie, eigene Schwerpunkte zu setzen.

Obwohl regional der Widerstand gegen Fessenheim inzwischen längst über das links-grüne Lager hinausgeht, war die französische Atompolitik kaum ein Thema: Sarkozy jettete zwar zu einem Blitzbesuch nach Fessenheim, um zu versichern, dass das Werk am Netz bleibe und Frankreich mit ihm weiter auf die Atomenergie setze. Und Hollande rang sich unter dem Druck der in ganz Frankreich immer noch atomfreundlichen Gewerkschaften mühevoll zum Versprechen durch, wenigstens Fessenheim abzustellen. National aber wurde Frankreichs Atompolitik kaum problematisiert. Dazu mag die unglückliche Kandidatinnenwahl der Grünen beigetragen haben: Eva Joly schaffte es nie, im Chor der Tenöre wirklich ernst genommen zu werden – auch nicht im Elsass.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 04.05.12

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