Kroatien droht ein Rechtsruck, wie er sich bereits in Ungarn und Polen vollzieht. Wegen einer Regierungskrise ist der Premierminister Andrej Plenkovic auf die Unterstützung von rechtsextremen Abgeordneten angewiesen. Auch in der kroatischen Gesellschaft rumort es wieder gewaltig.
Kritiker nennen es «das grösste Neonazi-Treffen in Europa»: Diesen Samstag reisen rund 15’000 Besucher ins österreichische Bleiburg, um «ihren kroatischen Opfern» des Zweiten Weltkriegs zu gedenken. Bei «ihren» Opfern handelt es sich nicht um Opfer der Nationalsozialisten und ihrer Kollaborateure, sondern eben um jene Nationalsozialisten und Ustascha-Kollaborateure, die zum Ende des Zweiten Weltkriegs als Racheakt von jugoslawischen Partisanen ermordet wurden.
Dass in Bleiburg faschistische Symbole zur Schau gestellt werden, gehört quasi zum Programm. «Hier dürfen wir alles bis auf den Nazi-Gruss», titelte die österreichische Tageszeitung «der Standard» ihre Reportage zum letztjährigen Treffen. Es ist das Zitat eines Teilnehmers.
Das entsprechende Geschichtsbild vertreten nicht nur die Besucher in Bleiburg. Der Ustascha-Gruss «Za dom Spremni» («für die Heimat bereit»), das kroatische Pendant zum deutschen «Sieg Heil», ertönt regelmässig in kroatischen Fussballstadien. Ein Regisseur, der den Holocaust relativiert, erhält in Zagreb einen Preis, und der «Unabhängige Staat Kroatien», in dem zwischen 1941 und 1945 Hunderttausende Juden, Roma, Serben, Partisanen und andere Oppositionelle vernichtet wurden, gilt für manche Kroaten als positiver Bezugspunkt der eigenen Geschichte.
Regierung und Gesellschaft driften nach rechts
Kroatien wird derzeit von einer Regierungskrise erschüttert, ausgelöst durch die drohende Pleite des Lebensmittelriesen Agrokor. Rechte Abgeordnete versuchen nun, die Krise für sich zu nutzen. Wenn der gemässigte Premierminister Andrej Plenkovic an der Spitze bleiben will, ohne Neuwahlen auszurufen, muss er im Juni neue Minister und eine Parlamentsmehrheit präsentieren. Dabei ist er auf drei Abgeordnete angewiesen, die weit rechts aussen stehen:
- Zlatko Hasanbegovic: Er wäre der wichtigste Verbündete für den gemässigten Premierminister Plenkovic. Der ehemalige und 2016 heftig umstrittene Kulturminister war an der Organisation der Gedenkveranstaltung in Bleiburg beteiligt, hat eine klar rechtsextreme Vergangenheit und fällt auch in jüngster Vergangenheit regelmässig mit Sympathien für den Nazi-Staat der Ustascha auf. Weil ihn Plenkovic nicht als Minister haben wollte, gab es Streit in seiner Partei HDZ, der vor einigen Tagen gar zum Rauswurf Hasanbegovics führte.
- Bruna Esih: Die revisionistische Historikern gilt als Anhängerin Hasanbegovics und stellt für die Rechte in Kroatien eine wichtige weibliche Identifikationsfigur dar.
- Zeljko Glasnovic: Der ehemalige General, ein nationalistischer Hardliner und Geschichtsrevisionist, besuchte wiederholt Gottesdienste, die den Nazikollaborateuren der Ustascha gewidmet waren, und hetzt regelmässig gegen die serbische Minderheit in Kroatien.
Ausgerechnet auf diese drei Parlamentarier ist Premierminister Andrej Plenkovic nun also angewiesen. In der Vergangenheit waren alle drei entweder Mitglied der Regierungspartei HDZ oder sie wurden zumindest von der Partei aktiv unterstützt. Zum Bruch kam es, weil der gemässigte Plenkovic keinen extremen Rechtskurs seiner Regierungskoalition wollte.
Die HDZ deckt als grösste Partei einerseits das Mitte-Rechts-Spektrum in Kroatien ab, andererseits hat sie aber auch viele Anhänger am rechten Rand. Wenn Plenkovic auf die Rechtsaussen-Parlamentarier setzt, dann wird sich ein klarer nationalistischer Kurs der neuen Regierung nicht vermeiden lassen. Rückt die Stimmung in Kroatien nach rechts, rückt traditionell auch die HDZ nach rechts.
Schulterschluss mit Rechtsextremen: Für den kroatischen Premierminister Andrej Plenkovic ist das eine realistische Option. (Bild: Keystone/Domenic Aquilina)
Ein solcher Rechtsruck vollzieht sich gegenwärtig in der kroatischen Gesellschaft. Exemplarisch zeigten dies Ende April Vorkommnisse um die Aufführung eines Theaterstücks. «Unsere Gewalt und eure Gewalt» des bosnischen Regisseurs Oliver Frljic wurde in der konservativen Hochburg Split aufgeführt. Die katholische Kirche in Kroatien richtete eine Protestnote an die Veranstalter und forderte, die Aufführung zu verbieten.
Vor dem Theater hielten Demonstranten Schilder hoch: «Dieses Stück beleidigt unsere religiösen Gefühle». Später störten einige die Aufführung. Einer von ihnen trug ein Hitlerbärtchen, einen Seitenscheitel und einen Schal in den kroatischen Nationalfarben um seinen Hals. Die Polizei führte die Störer schliesslich ab.
Das Stück von Oliver Frljic beinhaltet in der Tat starken Tobak. So steigt Jesus von Nazareth vom Kreuz, um eine Muslima mit Kopftuch zu vergewaltigen. Das Stück mag ein Angriff auf religiöse Gefühle (oder auch die Intelligenz) sein. Aber die Forderung, ein Theaterstück zu verbieten, wirkt doch rückständig und alles andere als liberal.
Breite konservative Kreise bekämpfen ein Recht auf den eigenen Körper, auf eine andere sexuelle Orientierung – oder auch unpässliche Theaterstücke.
Anhänger der katholischen Kirche oder rechten Gruppen bekämpfen längst nicht nur Theateraufführungen. Sie schiessen auch gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und gegen die Ehe für alle.
Die Hälfte der rund 380 befugten Ärzte in Kroatien weigert sich, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Ähnlich wie in Polen dachten Parlamentarier laut über ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen nach. Im katholisch geprägten Split mit seinen knapp 200’000 Einwohnern ist gerade mal einer von 25 Gynäkologinnen und Gynäkologen bereit, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Behörden und Ärzte behaupten gegenüber Rat suchenden Schwangeren schlicht, in Split sei ein Schwangerschaftsabbruch gar nicht möglich.
Als noch Kroatiens damalige sozialdemokratische Regierung über eine Einführung der Ehe für alle nachdachte, rief dies sofort ein breites Bündnis aus Katholiken und rechten Gruppen auf den Plan. Der Verein «U ime obitelj» («Im Namen der Familie») mobilisierte für ein Referendum, um die Ehe als Ehe zwischen Mann und Frau ein für alle mal in der Verfassung zu verankern.
Kritische Medien bangen um ihre Existenz
Im Fadenkreuz der kroatischen Rechten befinden sich auch kritische Medien. Die investigative Wochenzeitung «Novosti» sieht sich gegenwärtig in ihrer Existenz bedroht. In der jüngeren Vergangenheit deckte «Novosti» Manipulationen und Lügen im Film «Jasenovac – die Wahrheit» auf. Der Regisseur Jakov Sedlar behauptet darin, das Vernichtungslager Jasenovac, in dem zwischen 80’000 und 100’000 Juden, Serben, Roma und Oppositionelle vernichtet wurden, sei nur ein Arbeitslager mit hohem Freizeitfaktor gewesen. Trotz dieser Relativierung der Schoah erhielt Sedlar jüngst den Preis der Stadt Zagreb für seine Arbeit.
Die «Novosti» legt den Finger in die Wunden und ist bei der kroatischen Rechten entsprechend unbeliebt. Dies auch deshalb, weil sie vom serbischen Minderheitenrat in Kroatien herausgegeben wird. Damit sind die Journalisten das ideale Feindbild für die kroatische Rechte.
Sogar in Ungarn steht es besser um die Pressefreiheit als in Kroatien.
In der aktuellen Rangliste von «Reporter ohne Grenzen» fiel Kroatien um 11 Plätze auf Rang 74. Damit hat sich das Land von allen EU-Staaten am meisten verschlechtert und liegt nun sogar hinter Ungarn, wo Präsident Viktor Orban kritische Medien systematisch mundtot macht.
Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird von den Regierungsparteien gegängelt. Kritische Journalisten werden mit regierungstreuen ausgetauscht. Diese setzen ein verstärkt «patrotisch geprägtes» Programm um. Kritischen wurden die Mittel bereits gekürzt oder gestrichen. Hauptverantwortlich dafür war im letzten Jahr Zlatko Hasanbegovic – eben jener rechtsextreme Parlamentarier, der sich seine Feinde von der kritischen Presse vom Hals schaffen wollte.
Das wird der Preis sein, wenn sich Premierminister Plenkovic auf eine neue Regierung mit den rechten Abgeordneten einlässt: ein massiver Rechtsruck in Politik und Gesellschaft. Und Minderheiten, die darunter noch mehr leiden, sowie kritische Stimmen, die nach und nach verstummen.