Kulturgrüsse aus Moskau

Putin, Postsowjetismus und Pussy Riot – davon wird am diesjährigen Basler Kulturfestival Culturescapes genügend die Rede sein. Mit Moskau setzt die Festivalreihe in ihrer zehnten Ausgabe erstmals einen Städteschwerpunkt.

Szene aus dem Film «Winter Go Away», realisiert von zehn Abschlussschülern der Dokumentarfilmakademie Moskau. (Bild: zVg)

Putin, Postsowjetismus und Pussy Riot – davon wird am diesjährigen Basler Kulturfestival Culturescapes genügend die Rede sein. Mit Moskau setzt die Festivalreihe in ihrer zehnten Ausgabe erstmals einen Städteschwerpunkt.

In seiner zehnten Ausgabe bleibt das Festival Culturescapes seiner Linie der politisch kontrovers diskutierten Brennpunkte treu. Nach China, Israel, der Türkei und Aserbaidschan konzentriert sich Culturescapes dieses Jahr auf den Schwerpunkt Moskau. Durchaus gewollt, sagte Festivalleiter Jurriaan Cooiman der Programmvorstellung in der Gare Du Nord: «Der Anspruch, gesellschaftliche Bruchlinien und ihre Reflexion in der gegenwärtigen Kultur sichtbar zu machen, gehört zentral zu Culturescapes.» Ein Leitgedanke, der in naher Zukunft des Festivals seiner Fortsetzung erfahren wird: 2013 sind die Länder des Balkan das Thema, 2014 die libanesische Hauptstadt Beirut, sofern es die Sicherheitslage erlaubt.

Solidaritätskonzert mit Pussy Riot

Nun also Moskau. In der Schneise von Politik, Gesellschaft und Kultur stellt die Stadt ein reichhaltiges Reservoir dar: die noch anstehende Aufarbeitung der Sowjetzeit, die schockartig verlaufenen Transformationsprozesse nach der Wende, der Aufstieg einer Wirtschaftsoligarchie und die Zementierung einer autokratisch geführten Behelfsdemokratie – an künstlerisch verwertbarer Gesellschaftspolitik mangelt es der Stadt an der Moskva nicht. Culturescapes hält, das zeigt ein Blick ins Programm, dabei Schritt mit der Aktualität. Für das politische Punktrio Pussy Riot, vor kurzem in einem Aufsehen erregenden Prozess nach einem Guerilla-Konzert in der Moskauer Erlöserkirche zu einer Haftstrafe verurteilt, ist im Rahmen des Festivals ein Solidaritätskonzert mit Basler Musikern in der Kaserne geplant.

Eine tiefere politische Auseinandersetzung versprechen hingegen andere Aspekte des Gesamtprogramms: Am Thementag «Demokratien in Europa in Stresstest» bringt das Moskauer Offspace-Theater Joseph Beuys eine demokratische Versuchsanordnung mit Interaktion mit dem Publikum auf die Bühne, die bereits im Moskauer Kellertheater «teatr.doc» grossen Zuspruch erfuhr: 80 Vorstellungen waren komplett ausverkauft. Ein Diskussionsforum sowie der Film «Winter Go Away», eine schonungslose Dokumentation über den Winter 2011/12, als Bürger Moskaus mit Grossdemonstrationen die Präsidentschaftswahl Putins verhindern wollten, runden den Thementag ab.

Sorokin lädt zur Lesung

Schwächer besetzt als noch an der Israel-Ausgabe vor einem Jahr ist der Literaturschwerpunkt, ein Name ragt jedoch heraus: Vladimir Sorokin, einer der schärfsten Kritiker der politischen Eliten Russlands und umstrittener Autor, Konzeptkünstler und Parodist der sowjetrealistischen Ästhetik, liest im Literaturhaus aus seinem neuen Werk «Der Schneesturm» vor. Im Filmbereich ist ausserdem «Bitte liebt mich!» von Valery Balayan über die junge Journalistin Anastasia Baburova, die im neonazistischen Milieu Russlands recherchierte und 2009 zusammen mit einem Menschenrechtsanwalt auf offener Strasse erschossen wurde, hervorzuheben. Begleitet wird das politische Segment des Festivals von der universitären Ringvorlesung «Moskau – Metropole zwischen Kultur und Macht» sowie vom Dokumentationsband «Moskau. Schauplatz der Erinnerungen», herausgegeben vom Christoph Merian Verlag und fokussiert auf die – auch historische –  Verwebung von Kultur und Politik in der russischen Metropole.

Skurriler Humor

Dieser schweren politisch Schlagseite stellt Culturescapes jedoch beachtenswerte Kontrapunkte entgegen. Das Stück «Tod einer Giraffe» vom Dmitry Krymov Theaterlaboratorium verspricht einen Abend voll skurrilem Humor, absurder Tragik und melancholischer Rückbesinnung auf traditionelle Familienstrukturen, Fotoausstellungen in der Galerie Oslo8 im Basler Dreispitz zeigen Moskauer Stadtansichten aus dem Alltag ausserhalb der boomenden Glitzerboulevards. Und im Musikbereich verdienen die Kooperationen zwischen dem Sinfonieorchester Basel mit Yuri Bashmet an der Viola und Sopranistin Elena Vassilievna, der Altro Coro bringt mit der «Liturgie des Heiligen Johannes Chrysostomos» ein bedeutendes Chorwerk der Moderne nach Bern und Lörrach, altrussische Gesänge werden bei den Konzerten in Genf und Basel des ehrwürdigen Moskauer Patriarchenchors zu hören sein. Und im Basler Bird’s Eye Jazz Club sind Kooperationen von Schweizer Jazzformationen und den Werken zeitgenössischer russischer Komponisten zu hören sein. 

Zahlreiche Kooperationen

Um Kooperationen geht es also ganz besonders an der diesjährigen Ausgabe von Culturescapes, nicht nur auf der Ebene der Kultur, sondern auch der Organisation: Festivalleiter Cooiman konnte sich auf die vertieften städtepartnerschaftlichen Strukturen zwischen Basel und Moskau verlassen, die vor allem von der Regierung und dem Stadtmarketing Basel vorangetrieben wurden.

Das Festival ist ausserdem eingebettet das Aufbauprojekt «Swiss Russian Cultural Cooperation» von Pro Helvetia, die für 2014 die Eröffnung eines Verbindungsbüros in Moskau plant. Ein dichtes Geflecht also aus politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verbindungen, an das Culturescapes anknüpfen konnte – eine Gefahr für die Gestaltungsautonomie? «Nein», sagt Cooiman bestimmt, «in der Programmation war das Festival immer autonom, das wird auch so bleiben.» Die russischen Finanzierungsquellen für das Festival scheinen dies zu belegen:  Unterstützung kommt einzig von der Stadt Moskau selbst sowie von der russischen Botschaft in Bern, nicht jedoch von der Privatwirtschaft oder von einzelnen politischen Exponenten. Und der grösste Anteil an Supportgeldern fliesst weiterhin aus der Stammregion von Culturescapes: Aus den Kantonen Basel-Stadt und Baselland.  

  • Eröffnung: Mi, 17. Oktober, 19.30 Uhr. Stadtcasino Basel. 
  • Das komplette Programm finden Sie hier.

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