Baselbieter Kontrolleure überführen oft Arbeiter, die zu Dumpinglöhnen arbeiten. Doch auf den Baustellen des Kantons kontrolliert keiner.
Die Kontrolleure des kantonalen Amtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Kiga) müssten eigentlich glücklich sein. Letztes Jahr mussten sie kein einziges Mal ausrücken, um eine Baustelle des Kantons oder der Gemeinden zu kontrollieren. Nie mussten sie dort prüfen, ob Mindestlöhne eingehalten werden, kein einziges Mal kontrollieren, ob Billigarbeiter zu Dumpinglöhnen arbeiten, wie das Kiga bestätigt.
Ist die öffentliche Hand als einziger Auftraggeber verschont von dem Phänomen, dass auf den ersten Blick saubere Firmen Subunternehmen anstellen – diese wiederum die nächsten Subunternehmen, bis am Ende einer Kette oft osteuropäische Arbeiter für ein paar Euro pro Stunde arbeiten?
Nur durch Zufall deckte die Zentrale Paritätische Kontrollstelle (ZPK) vor zwei Jahren massive Verstösse auf einer Baustelle des Kantonsspitals Liestal auf. Auftragsvolumen: knapp zehn Millionen Franken. Die «Basler Zeitung» berichtete damals von Angestellten mit Stundenlöhnen von sieben Euro. Tatsächlich waren die Zustände noch viel schlimmer. Gemäss Unterlagen, die der TagesWoche vorliegen, wiesen die Kontrolleure bei einem halben Dutzend Firmen Verstösse nach. Das Kiga musste später mehrere Betriebe büssen, gegen eine Firma gar beinahe die Höchststrafe verhängen.
Kiga bleibt Antworten schuldig
Aufgedeckt hatte all diese Fälle die ZPK. Sie prüft im Auftrag des Staates, der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, ob die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten werden, die flankierenden Massnahmen zum freien Personenverkehr greifen. Doch nicht etwa die ZPK, sondern das Kiga selbst ist verantwortlich für die Kontrolle von Baustellen der öffentlichen Hand. So steht es im Submissionsgesetz.
Seit dieses Gesetz vor rund zehn Jahren in Kraft trat, haben Gemeinden und Kanton rund 30 000 Aufträge ausgeschrieben. Gerne hätten wir vom Kiga gewusst, wie viele dieser Aufträge das Amt kontrolliert hat. Doch auch die Nachfrage beantwortete das Kiga nicht. Stattdessen schiebt es die Verantwortung auf die privaten Kontrolleure: Seit Einführung der flankierenden Massnahmen würden die paritätischen Kontrollorgane wie die ZPK die Baufirmen kontrollieren – «unabhängig davon, ob diese im Rahmen einer Submission tätig sind oder nicht». Wie viele Baustellen der öffentlichen Hand dabei kontrolliert würden, erfasse das Kiga nicht.
Verstösse per Zufall aufgedeckt
Weil das Kiga den Beweis schuldig bleibt, dass das Amt tatsächlich auch auf Baustellen der öffentlichen Hand kontrolliert, fragt die TagesWoche einen, der es wissen muss: Daniel Münger ist SP-Landrat, Gewerkschafter und Präsident der ZPK. «Mir ist keine Kontrolle des Kiga auf Baustellen des Kantons oder von Gemeinden bekannt», sagt Münger. Noch nie habe das Kiga die ZPK damit beauftragt, eine bestimmte Baustelle der öffentlichen Hand zu kontrollieren.
Wenn die ZPK Verstösse aufdeckt, dann also nur aus eigenem Antrieb wie auf der Baustelle der Swiss Indoors. Dort stiessen die Kontrolleure der ZPK auf ungarische Arbeiter, die sie verdächtigten, die Infrastruktur des Tennisturniers zu Dumpinglöhnen aufzubauen. Dies machte die TagesWoche in ihrer ersten Online-Ausgabe publik. Zwar ist der Kanton hier nicht direkter Auftraggeber. Trotzdem ist er betroffen, denn er unterstützt die Veranstaltung mit Steuergeldern.
Doch auch hier sieht sich das Kiga nicht in der Pflicht. Die ZPK habe das Kiga zwar telefonisch über Verdachtsfälle bei Swiss Indoors informiert, bis jetzt seien aber noch keine offiziellen Meldungen beim Kiga eingetroffen. «Das Kiga konnte deshalb (noch) keine Beurteilung und keine Sanktionierung vornehmen», schreibt der Regierungsrat auf eine Interpellation von SVP-Landrat Georges Thüring. «Abwarten und Tee trinken» scheint die Devise für die Kiga-Kontrolleure zu lauten.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11/11/11