Legionäre im Heiligen Krieg

Ausländische Dschihadisten und syrische Rebellen kämpfen gegen Baschar al-Assad zwar an einer Front, aber nicht unter dem gleichen Banner.

Mitten im Krieg: Zwei Kämpfer der Freien Syrischen Armee (FSA) im Einsatz in Aleppo. (Bild: CARLOS PALMA)

Ausländische Dschihadisten und syrische Rebellen kämpfen gegen Baschar al-Assad zwar an einer Front, aber nicht unter dem gleichen Banne.

Soldaten! Soldaten, schreit der Mann im Vorbeirennen, zwei Kugeln, die ein Scharfschütze der Regierungsarmee abgefeuert hat, peitschen den Staub auf. Abu Omar hat genug. Seine zusammengewürfelte Truppe aus ausländischen Kämpfern kauert gedrängt an der Tür eines ausgebrannten Wohnhauses im Universitätsviertel von Aleppo. Einer von ihnen – ein Türke – liegt tot auf der Strasse, ein zweiter gleich neben ihm ist so schwer verwundet, dass er sich nicht mehr bewegen kann. Scharfschützen machen es unmöglich, ihn zu bergen. Kommandant Abu Omar gibt einen Befehl auf Arabisch, der gleich in mehrere Sprachen übersetzt wird – ins Tschetschenische, Tadschikische, Türkische, Französische und in einen saudischen Dialekt. Danach verschwinden die Männer zwischen Haufen aus schwelendem Müll und ziehen sich in ein Gebäude hinter der Frontlinie zurück, in dem sich bereits andere Kämpfer um ihren syrischen Betreuer geschart haben. Nur zwei Männer bleiben freiwillig in der vorderen Stellung und sollen versuchen, irgendwann den jungen Verwundeten doch noch zu retten.

Tausende nicht-syrischer Kombattanten sind in den syrischen Bürgerkrieg eingesickert. Viele davon jugendliche Idealisten, die eine romantische Vorstellung von Revolution angetrieben hat. Bei anderen handelt es sich um Veteranen des Dschihad im Irak, in Jemen oder Afghanistan. Um sich an den Kriegen in diesen Ländern beteiligen zu können, mussten die Legionäre Grenzen mit gefälschten Pässen überqueren und Geheimdiensten ausweichen. Die Front in Syrien war da viel leichter zu erreichen: ein Flug in den Süden der Türkei und dann per Anhalter über die Grenze.

Kommunikations- statt Schiessübungen

Ein saudischer Dschihadist in Aleppo erzählt, er sei nach der Grenzpassage zu Fuss in die kleine syrische Stadt Atmeh gewandert und habe sich in einem Olivenhain rekrutieren lassen. Im dortigen Camp seien dann Kampfeinheiten formiert worden. Jede Gruppe bekam einen Sprecher, der sie durch eine zehntägige Grundausbildung lotste. Es sei nicht darum gegangen, schiessen zu lernen, sondern zu erproben, wie man miteinander kommunizieren könne. Später wurden die Kämpfer zu verschiedenen dschihadistischen Verbänden geschickt – zu den Ahrar al-Sham (Freie Männer Syriens) oder zur Jabhat al-Nusra (Hilfsfront für das Volk der Levante). Einigen wie Abu Omars Tschetschenen wurde eine eigene Einheit zugestanden. Man nennt die Dschihadisten Muhajiroun (Einwanderer) oder die Internationalen.

Unterschiedliche Kampferfahrungen der Männer lassen sich schwerlich übersehen. Die Tschetschenen sind älter, grösser, stärker, sie tragen Wanderschuhe und Kampfhosen. Ihr Umgang mit der Waffe ist selbstbewusst. Zu syrischen Kombattanten gehen sie auf Distanz.

Die Pakistani scheinen arm zu sein, ihre Hosen sind zu kurz, ihre Schuhe alt und zerschlissen. Den Syrern gegenüber sind sie verschlossen. Als einer fragt, woher sie kämen, antwortet einer von ihnen auf Französisch, sie seien Marokkaner. Die Tschetschenen erklären, sie seien Türken, und die Tadschiken geben sich als Afghanen aus. Nur die Libyer machen kein Geheimnis daraus, woher sie kommen. Einer von ihnen beklagt sich über den Mangel an Munition. «Das ist eine armselige Revolution, wirklich sehr arm. Wir befinden uns im zweiten Jahr, und sie haben noch immer nicht genügend Waffen und Munition.»

Mythos Falludscha

In einer geräumten Schule von Aleppo führt ein säkularer Jordanier das Kommando, der für seine belgische Pistole nur noch elf Patronen hat. Früher diente er in der Armee seines Landes, heute betreibe er in Osteuropa ein Import-Export-Geschäft, erzählt er. Nach Aleppo sei er gegangen, ohne seiner Frau und den Kinder zu sagen, wohin er «verreise». «Es ist meine Pflicht, hier zu sein. Ursprünglich komme ich aus Palästina. Ich weiss, was das syrische Regime den Palästinensern angetan hat, einst wurden ihre Lager im Libanon bombardiert. Die Hälfte des Leids, das unser Volk erdulden muss, kommt von den Israelis, und die andere Hälfte von diesem Regime. Seit 20 Jahren ist es dabei, die arabische Welt zu zerstören.»

So haben sie alle ihre Geschichte und leben in ihrer Welt. Auch der Iraker Abu Salam, der eine schwarze Kufiya um seinen Kopf und sein abwesendes Gesicht geschlungen hat. Schon als junger Mann habe er in Falludscha gegen die Amerikaner gekämpft und sich dann im Irak al-Qaida angeschlossen, bevor er nach Syrien ging, um einer drohenden Verhaftung zu entgehen. Jetzt kommandiere er eine der Muhajiroun-Einheiten.

Inzwischen hat ein Angriff der Regierungstruppen begonnen. In den umliegenden Strassen explodieren Granaten, hallt Maschinengewehrfeuer wider. Abu Salam lässt sich von herabregnenden Glas- und Betonsplittern nicht aus der Ruhe bringen. Ein schwer atmender Syrer sagt, er habe dreimal auf den Panzer gefeuert, und die Panzerfaust sei nicht losgegangen. «Sag nicht, sie sei nicht losgegangen», schreit Abu Salam. «Sag, dass du nicht weisst, wie man sie bedient. Mit den gleichen Panzerfäusten haben wir in Falludscha Abrams-Panzer der Amerikaner zerstört. Wo bitte ist der Unterschied zwischen einem T 72 und einem Abrams? Wir müssen uns jetzt besonders auf die Heckenschützen konzentrieren», erklärt er seinem Trupp noch. «Jagt sie in die Gassen und schiesst dann mit Maschinengewehren um die Ecken.»

«Die Armee wird uns überrennen»

Als die Männer ausschwärmen, raunt Abu Salam: «Das Problem ist nicht die Munition, sondern die Erfahrung. Hätten wir so wie in Aleppo gegen die Amerikaner gekämpft, gäbe es uns nicht mehr. Sie hätten uns mit ihren Drohnen getötet, und dafür noch nicht einmal einen Panzer schicken müssen. Die Männer sind tapfer, aber sie kennen noch nicht einmal den Unterschied zwischen der Kugel einer Kalaschnikow und der eines Heckenschützen. Heute früh legten sie sich plötzlich schlafen. Als sie aufwachten, waren die Scharfschützen der Armee herangerückt. Jetzt ist es zu spät. Die Armee wird uns überrennen.»

Die Aussicht auf eine Niederlage scheint Abu Salam sportlich zu nehmen. «Es ist offensichtlich, dass Assad die Schlacht um Aleppo gewinnt. Aber das sagen wir den Syrern nicht. Wir wollen ihre Moral nicht brechen. Wir sagen ihnen, dass wir die Stellung halten, solange Allah uns die Kraft dazu gibt – bis uns vielleicht eine der ausländischen Mächte zu Hilfe kommt.» Abu Salam ist die Ironie nicht entgangen, dass Dschihadisten und US-Amerikaner nach einem Jahrzehnt erbitterter Feindschaft wieder gemeinsam kämpfen.

Abu Omar, der Kommandeur des tschetschenischen Korps, hat seinen Männern befohlen, gegen die naturwissenschaftliche Fakultät der Universität vorzurücken, um verlorene Stellungen wieder einzunehmen. Die Gelegenheit scheint günstig, die Regierungstruppen haben ihren Vorstoss unterbrochen, Panzer zurückgezogen, nur Heckenschützen zurückgelassen. Vor Abu Omars Trupp liegt das noch immer brennende Wrack eines Busses und bietet eine trügerische Deckung. Doch als der Vorstoss beginnt, werden drei Angreifer von Scharfschützen getroffen. Einer hat versucht, eine Panzerfaust abzufeuern, und wird von Kugeln durchsiebt. Zwei Tschetschenen liegen in der Mitte des Platzes vor der Universität hinter einer Steinmauer und sind wie festgenagelt, die anderen ebenfalls.

In klassischem Arabisch mit starkem Akzent streitet Abu Omar mit einem Offizier der Freien Syrischen Armee (FSA) – er will wissen, wie er seine Männer retten kann. Gerade noch befehligte er 40 Muhajiroun – geblieben sind ihm 30. In zwei Tagen zehn Gefallene. Abu Omar stellt seinem syrischen Verbindungsmann ein Ultimatum: Sollte er nicht unverzüglich genügend Leute ausheben, um ihn zu unterstützen, würden seine Muhajiroun die Sachen packen und gehen. Als aus der Verstärkung nichts wird, hauen die Tschetschenen ab. «Lasst sie doch gehen», schäumt ein syrischer Kommandeur. «Ich habe sie nicht darum gebeten, nach Aleppo zu kommen und an dieser Front Verantwortung zu übernehmen.»

Entführt und getötet

Ein paar Tage später bahnt sich am Grenzposten von Bab al-Hawa zwischen der Türkei und Syrien ein ähnlicher Konflikt zwischen Dschihadisten und syrischen Rebellen an. Kämpfer der Farouq-Brigade – eine der am besten ausgerüsteten Einheiten der FSA – schlafen im Schatten eines grossen Betonbogens. Sie tragen Militäruniformen und grüne T-Shirts, die mit den Emblemen der Brigade versehen sind – im Chaos des Bürgerkrieges eine beachtliche Leistung. Am Grenzposten haben sie gepanzerte Fahrzeuge abgestellt, die von der Regierungsarmee erbeutet wurden.

In der Nähe des Camps der Farouq-Brigade sammeln sich etwa 20 Dschihadisten um einen korpulenten Ägypter mit bis auf die Brust reichendem grauen Bart. «Ihr steht im Kampf mit zwei verfeindeten Armeen», erzählt er den Männern und meint die Armee Assads und die Freie Syrische Armee. «Wenn ihr mit der einen fertig seid, dann nehmt euch die andere vor!»

Die Konfrontation begann Anfang September, als ausländische Dschihadisten über dem Grenzposten eine schwarze Al-Qaida-Flagge hissten. Die Farouq-Brigade verlangte, das Banner sollte wieder eingeholt werden, um die türkische Armee auf der anderen Seite nicht zu brüskieren. Ein Kämpfer der Farouq-Brigade – selbst ein Salafist, meint – er habe die Dschihadisten gedrängt, auf ihre Fahne zu verzichten. Würden sie ihre Präsenz so herausstellen, könnte das die NATO davon abhalten, Nachschub zu schicken. «Da sagten sie mir, sie seien da, um die NATO aufzuhalten. Dazu kann ich nur sagen, der Islam des Assad-Regimes ist entstellt, aber der Islam dieser Leute ist es auch. Wir erlauben es nicht, dass Dschihadisten das Kommando haben.»

Einen Tag, nachdem der Kommandeur der Farouq-Brigade die ausländischen Kämpfer vor die Alternative gestellt hatte, zu verschwinden oder getötet zu werden, traf ich im Grenzgebiet den Arzt Abu Mohamad, der lebhaft beklagte, dass die Freie Syrische Armee nur aus übergelaufenen Offizieren bestehe, die bis vor kurzem noch dem Regime gedient hätten. Er hingegen stehe seit 1992 im Widerstand gegen den Assad-Clan. Der Arabische Frühling sei nicht irgendwelchen Überläufern zu verdanken, sondern der islamischen Leidenschaft. «Wir werden unsere Stellungen hier nie verlassen», meinte er mit ruhiger Stimme. «So Gott will, werden wir siegen.» Kurze Zeit später fand man Abu Mohamad in einem Graben – entführt und getötet.

Copyright: Guardian News & Media Ltd 2012; Übersetzung:Holger Hutt, «der Freitag»

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