Das Hochwasser überspült in Teilen Deutschlands auch den Sportbetrieb. Ganze Arenen und Hallen stehen unter Wasser. Für viele Sportler eine prekäre Situation.
Wie gut, dass Thomas Röhler seinen besten Speer vor diesen dramatischen Tagen mit nach Hause genommen hat. Sonst wäre er wie all die anderen Speere, Kugeln, Hammer und Diskusscheiben im Wurfhaus des LC Jena unter Wasser geraten – und damit nahezu unbrauchbar geworden.
Das Hochwasser der Saale hat in Thüringens zweitgrösster Stadt keinen Bogen um einen der wichtigsten Vereine der deutschen Leichtathletik gemacht. Darum muss der 21-jährige Athlet, der im vergangenen Jahr deutscher Meister wurde, genau wie alle anderen Aktiven improvisieren.
Im Stadion paddeln Enten
Röhler wirft nun mit Bällen statt mit Speeren, wenn er in Jena trainiert. Und fährt mehrmals die Woche nach Erfurt, wenn er sich professioneller vorbereiten will. Seit er zum Monatsanfang die Norm übertroffen hat, sind die Weltmeisterschaften in Moskau Mitte August sein ganz persönlicher Saison-Höhepunkt. Da kann er sich grössere Ausfälle in der Vorbereitung kaum leisten. Obwohl der begeisterte Naturfotograf auf der Clubanlage jetzt fündig würde: Auf der sumpfigen Wiese im Stadionrund paddeln Enten; in der Hürdengrube sind allerlei tote Fische und Kleintiere zu entdecken.
Humor hilft durchaus in prekären Zeiten, wo Jenas Leichtathleten sonst wenig zu lachen haben. Was sie sich hier für dieses Jahr vorgenommen haben, ist soeben den Bach runter gegangen, wie man so sagt. Vor zwei Wochen musste das internationale Leichtathletik-Meeting wegen der Überflutungen abgesagt werden, Einnahmen in fünfstelliger Höhe fielen dadurch aus.
Seither funkt der LC Jena auf seiner Homepage SOS. Alles in allem sei die Zukunft des Vereins «bedrohlich in Gefahr», heißt es da. Es steht schliesslich immer weniger Geld zur Verfügung, um immer mehr Schäden an den Anlagen auszubessern.
Ganze Arenen und Hallen sind überschwemmt
Ausfälle und Einbrüche, Absagen und Hilferufe: Die akuten Folgen der jüngsten Hochwasserkatastrophe im Osten und Süden Deutschlands bilden sich mit erbarmungsloser Logik auch im Sportbetrieb unübersehbar ab. Nicht nur historische Ortskerne, auch Arenen und Hallen sind zwischen Elbe und Donau überschwemmt worden. Parallel zum übrigen Leben geraten damit auch der Sport und seine Aktivitäten in den betroffenen Gebieten ins Stocken – vom Leistungs- bis zum Breitensport sowie der Nachwuchsarbeit.
In Magdeburg (Sachsen-Anhalt) zogen die Handballer vom SC für die letzte Bundesliga-Partie gegen Frisch Auf Göppingen letzten Samstag nach Aschersleben, in eine kleinere Halle um. Die Anfahrt von 6000 erwarteten Zuschauern hätte die Wege der vielen Einsatzfahrzeuge in die überschwemmte Innenstadt, wo auch die Getec-Arena liegt, empfindlich gekreuzt. Nachwuchskanuten und –ruderer konnten alle Trainingspläne über den Haufen werfen: Ihr Olympia-Stützpunkt lag mitten im Evakuierungsgebiet.
Faustkämpfer helfen beim Sandschaufeln
In Weissenfels (Sachsen-Anhalt) wurde eine größere Boxgala um mehrere Wochen und etliche Kilometer nach Halle/Saale verlegt, als der Keller der dortigen Stadthalle unter Wasser stand. Am neuen Austragungsort konnten die Faustkämpfer um Supermittelgewichts-Champion Robert Stieglitz statt mit markigen Worten gleich durch Taten auf sich aufmerksam machen: Drei Stunden lang halfen sie den Hallensern, mit der Schaufel zusätzliche Sandsäcke zu füllen. So handfest hat der SES Boxstall vielleicht noch nie für sich geworben.
Nun sind der Schlamm auf dem Rasen und die Sorgen geblieben, wie es weiter geht.
Spül- statt Spielbetrieb auch in Gera, im ostthüringischen Hügelland. Mit dem Stadion am Steg und dem Stadion der Freundschaft sind die beiden größten Fußballplätze von der aus ihrem Flussbett gesprungenen Weißen Elster geflutet worden.
Das hat der wöchentlich erscheinenden Sport-Bild eine doppelseitige Luftaufnahme vom Stadion der Freundschaft beschert, wie es bis auf die obersten Zuschauerränge unter Wasser steht. Nun sind der Schlamm auf dem Rasen und die Sorgen geblieben, wie es weiter geht.
Eine Welle der Solidarität
Das letzte, neulich verschobene Heimspiel der Verbandsliga-Auswahl von BSG Wismut Gera soll irgendwo anders nachgeholt werden; dann ist erstmal Sommerpause. Aber in den Funktionsgebäuden an den Stadien müssten elektrischen Leitungen und modrige Fussböden erneuert werden. Das wird schwierig ohne öffentliche Gelder, sagt ein Sprecher, «die Stadt Gera ist ja selber klamm.» Also beginnt die Homepage des Vereins in diesen Tagen nicht mit einem Spielbericht, sondern dem Spendenaufruf samt Kontoverbindung, denn «jeder Euro hilft!»
Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Nach diesem aus einem Hölderlin-Vers entlehnten Motto hat sich im deutschen Sport mittlerweile eine große Welle der Solidarität in Gang gesetzt. Vereinsbosse, Sportstars und Funktionäre werden dabei zu Nothelfern – und nutzen über Spenden und Fundraiser ganz nebenbei die Chance, sich vor aller Öffentlichkeit einmal sozial zu engagieren.
Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsboss des FC Bayern München, will seine Triple-Helden in Kürze zu einem Benefiz-Spiel gegen Amateure aus dem von der Donau überschwemmten Passau beordern. So hat er es dem bayrischen Ministerpräsidenten Seehofer in die Hand versprochen. Sein ehemaliger Angestellter Michael Ballack hat bei seinem Abschiedskick in Leipzig 100’000 Euro von den Einnahmen für Soforthilfe abgezweigt. Marco Huck, frisch bestätigter Boxchampion im Cruisergewicht, legte nach seinem Sieg letzten Samstag in Berlin 10’000 Euro von seiner Börse für Maßnahmen in den Krisengebieten zur Seite.
Schnell und unbürokratisch helfen
Systematischer will der deutsche olympische Sportbund (DOSB) an die Sache heran gehen. Unter der Führung seines Präsidenten Thomas Bach ist ein Hilfsfond für hochwassergeschädigte Vereine aufgelegt worden. Das Startkapital in Höhe von 100’000 Euro kam von der verbandseigenen Stiftung deutscher Sport. So will Deutschlands oberster Olympionike «in Härtefällen schnell und unbürokratisch helfen» und «an die Solidarität des deutschen Sports» appellieren, wie er streuen ließ.
Nun bleibt abzuwarten, welche Vereine und Aktive sie konkret erreicht. Beim LC Jena haben sie sich unter der Woche schon mal gefreut, dass ihr bester Speerwerfer sich durch die desaströsen Umstände kaum irritieren ließ. Am Donnerstag warf Thomas Roehler sein rostfreies Sportgerät beim Diamond-League-Meeting in Oslo auf 82,83 Meter – dritter Platz in einem absoluten Weltklasse-Feld.