Erst zum Regenbogen, dann unterm Sternenhimmel: Portugals Fadostar Carminho fesselt im Römertheater Augusta Raurica.
«Quando eu canto e a chuva cai» – «wenn ich singe und der Regen fällt», so die ersten Silben, die sich ihrer Kehle entringen und in den Abendhimmel über Augusta Raurica steigen. Und tatsächlich fällt aus diesem Himmel wie so oft während Konzerten im Römertheater reichlich Nasses. «Lágrimas Do Céu», diesen schmerzensreichen Fado, in dem sich die Tropfen von oben mit den eigenen Tränen mischen, hat Carminho als Eingang ausgesucht. Doch schon im nächsten Lied wandelt sich die schwere Bitternis in eine grazile Stimmung, wenn sie von der anmutigen, schelmischen Malva-Rosa erzählt.
Die Sonne strahlt dem Schauer entgegen und Carminho tanzt mit dem Regenbogen. Nicht schöner hätte das Wetter der musikalischen Darbietung entgegnen können: Im portugiesischen Fado siedeln Weinen, Sehnsucht und dunkle Herzenswolken oft eng bei der Leichtigkeit und dem Licht der Hoffnung.
Fado wie ein Theaterstück
Niemand verkörpert das Nationalgenre der Portugiesen momentan so intensiv wie die 29-jährige aus Lissabon. Binnen weniger Jahre hat sie einen Weg von kleinen Fadohäusern auf die großen Bühnen der Welt beschritten. Doch geht das überhaupt, Fado, dieses Genre, das aus den Tavernen stammt, in einem so großen Open Air-Rahmen? Carminho lässt vom ersten Takt keinen Zweifel daran. Sie nutzt den weiten Raum, um die kleinen und großen Dramen mit atemberaubender Wirkung wie in einem Theaterstück zu entfalten.
Mit ihrem klassischen schwarzen Kleid und streng zurückgesteckter Frisur könnte sie einem antiken Schauspiel entsprungen sein, oft zeigt sie sich den Zuhörern im Profil, singt ein imaginäres Gegenüber an. Selbst wer nicht hören kann, vermag in ihrem Gesicht wie in einem Buch zu lesen, erspürt alle Facetten von tiefer Pein, Verzweiflung, Unbeugsamkeit und Ironie bis hin zu Leutseligkeit. Sie greift sich mit zitternder Hand ans Herz, breitet die Arme wie eine Siegesstatue aus – auch die Gestik unterstützt das.
Täuschung der Seele, Hunger der Sinne
Doch natürlich ist es in erster Linie ihre Stimme, die fesselt, und die Carminho mit solcher Wucht einsetzt, dass immer wieder ihre Halsschlagader bedrohlich hervortritt. Man ist fast bange, dass die Emotionen sie zerreißen könnten, wenn sie in «Folha» von der unglücklichen Liebe zu einem Poeten berichtet. Und wenn sie in «Talvez» erzählt, dass sie, unerhört vom Liebsten, mit der grausamen Täuschung der Seele und ewigem Hunger der Sinne leben muss, geht das nicht nur in die Ohren, sondern auch direkt in die Eingeweide. Es fließen gar Tränen im Publikum.
Dass ein Fado-Abend jedoch nicht zum Melodram wird, dafür sorgen die vielen Geschichten der kleinen Leute, die fast bukolischen Charakter haben: Wie ein fröhliches Tanzfest kommt «A Bia Da Mouraria» daher, und das Publikum klatscht mit zur Romanze der Blumenverkäuferin Bia und ihrem Chico. Oder die bittersüße amour à distance des kranken Mädchens, das einen fremden Mann anhimmelt, von Fernando Pessoa inspiriert und als mitreißendes Lied im Volkston umgesetzt. Einige der Geschichten erläutert Carminho in einem reizenden Englisch, einmal wendet sie sich aber an ihre Landsleute, legt Zeugnis ab davon, dass der Fado das «Blut ihres Volkes» sei.
Virtuoses Tremolieren, melodischer Überfluss
Dieses Blut wird von exzellenten Begleitmusikern durch die Adern gepumpt: Carminho kann sich auf einen souveränen, auch mal funky Bassisten (Marino de Freitas), ihren einfühlsamen künstlerischen Leiter und Gitarristen Diogo Clemente und den Instrumentalstar des Abends, Luís Guerreiro an der Guitarra Portuguesa verlassen. Guerreiro schmückt die perlende Klage auf den Saiten nicht nur mit virtuosem Tremolieren und melodischem Überfluss, sondern auch mit einer grandiosen Mimik aus: Ein südländischer Galan mit Mähne und dunklem Bart, den man sich auch in Gamaschen und Pluderhosen vorstellen kann. Nach dem Intermezzo ihres Trios kehrt Carminho umso effektvoller zurück: In monochromem Licht singt sie acappella über die «schmerzerfüllte Stille» im Altstadtviertel «Alfama» – ihre Stimme trägt auch solo.
Am Ende legt sie sogar das Mikrofon zur Seite und dringt immer noch bis auf die oberen Ränge des Theaters durch. Hautnah spürt man ihr Flehen in «Senhora Da Nazaré», eine Anrufung an die Schutzheilige der Seefahrer, die das Ruder der Hoffnung im Sturm verloren haben. Und schließlich nochmals die zwei Seiten des Fado, meisterhaft in ein Wortspiel gefasst: «As Minhas Penas» reflektiert fast philosophisch über die leichten Federn der Vögel und die schweren Schmerzen der Sängerin – beides heißt im Portugiesischen «penas». Das Gewitter hat sich verzogen, und als der Abend mit enthusiastischem Applaus unterm Sternenhimmel zu Ende geht, liegt eine Magie über dem Theater. Zum Final hat das Festival, das in diesem Jahr weitestgehend von anglo-amerikanischer Popkultur geprägt war, sein ursprüngliches Konzept durchscheinen lassen – das der «Stimmen der Welt».
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Carminho ist heute, Sonntag, 3.8. um 20h30 nochmals in Augusta Raurica mit der Basel Sinfonietta zu erleben.