Lissabon macht das Beste aus der Krise

Die Wirtschaftskrise hält in Lissabon viele Grossinvestoren fern, das hat nicht nur Nachteile. Anders als in Paris, Berlin oder London gehört hier das Zentrum der Stadt noch allen.

Altstadthaus im Herzen der Stadt. Statt edler Boutique ein privates Elektrik-Geschäft. (Bild: Urs Flueler / Keystone)

Die Wirtschaftskrise hält in Lissabon viele Grossinvestoren fern, das hat nicht nur Nachteile. Anders als in Paris, Berlin oder London gehört hier das Zentrum der Stadt noch allen.

Willkommen in Lissabon, der Stadt der Krise. Bereits mehrere Male wurde die Stadt in ihrer Geschichte von Erdbeben erschüttert. Und auch jetzt bröckelt wieder der Verputz von den historischen Mauern. Nach der jahrzehntelangen Diktatur hat die Krise die Stadt im Griff. Als Folge davon ist Lissabon bisher kaum im Fokus der grossen Investoren aufgetaucht. Mitten im historischen Stadtkern leben Zuwanderer aus Asien und Afrika mit jungen Studenten und Alteingesessenen. Ganze Strassenblöcke stehen unter pakistanischem oder angolanischem Einfluss. 

Die grossen Ladenketten sind in den Strassen kaum präsent, stattdessen befinden sich viele kleine Läden und Lokale immer noch in Familienbesitz. Die auch für viele Portugiesen erschwinglichen Mieten ermöglichen Betrieben auch bei moderatem Umsatz ein Überleben. Ganz anders als in Paris, Berlin oder London gehört hier das Zentrum der Stadt noch allen.

Als Folge davon entstehen so wunderbare Zwischennutzungen wie die «Casa Independente» oder Hostels wie das benachbarte «Largo Residências». Ein anderes Beispiel für die Chancen einer kriselnden Wirtschaft ist die «LX Factory» am Ufer des Tejos. Unter der Autobahnbrücke wurden in Industriehallen während Jahrzehnten die grossen Zeitungen des Landes gedruckt.

Echte Durchmischung

Um die Jahrtausendwende entdeckte ein Investor das Areal und plante eine Siedlung mit Loftwohnungen. Die sich ankündigende Krise und die problematische Anbindung an den Verkehr verhinderten die Pläne. Jetzt ist die «LX Factory» ein produktives Areal für Ateliers, Designer und Künstler. Dazwischen laden Bars und Restaurants zum Verweilen ein.

Es zeigt sich aber auch die Schattenseite der Krise. Etwa dann, wenn auf den Strassen erwachsene Portugiesen Partyhüte und Sonnenbrillen verkaufen und den Immigranten aus Westafrika Konkurrenz machen.

Oder wenn die bescheidene Metro wieder einmal geschlossen bleibt und die Betreiber Schilder vor die Gitter hängen mit der Aufschrift: «Wegen Streik kein Betrieb». Doch an vielen Ecken zeigt die Stadt, welche Möglichkeiten entstehen, wenn nicht die Rendite ein Stadtbild bestimmt. Es findet eine echte gesellschaftliche Durchmischung statt, Neues entsteht und Nischen werden belebt. Und es entsteht ein Ort für viele statt für wenige.

  • Anschauen: LX Factory. Ehemalige Druckereihallen am Tejo, heute Kulturfabrik mit Bars, Restaurants, Ateliers, Werkstätten und Läden.
  • Anbeissen: Cervejaria Ramiro. Die besten Meeresfrüchte der Stadt. Schalentiere pur, ohne Fisch und Beilagen.
  • Abliegen: «Largo Residências». Herrlich schlichtes Hostel, mit spartanisch schönen Zimmern und günstigen Preisen.
  • Absaufen: «Casa Independente». Altstadthaus mit Bar, Bühne und hinreissendem Innenhof.

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