Lobbyisten, Lügen und der ganz normale Politalltag

Lobbyisten füttern Parlamentarier täglich mit Fakten-Blättern und Prognosen. Wie viel davon ist wahr, wie viel geht an der Realität vorbei? Und wie erleben das Basler Nationalräte?

Einflüsterer in der Wandelhalle: Braucht es Lobbyisten, oder korrumpieren sie das demokratische System? (Bild: Peter Klaunzer)

Lobbyisten füttern Parlamentarier täglich mit Fakten-Blättern und Prognosen. Wie viel davon ist wahr, wie viel geht an der Realität vorbei? Und wie erleben das Basler Nationalräte?

Sie schlägt die Beine übereinander, lehnt sich zu ihrem Gesprächspartner und händigt ihm ein Fakten-Blatt aus. Es ist eine Szene, wie sie sich täglich im Bundeshaus ereignet. Lobbyistinnen und Lobbyisten gehen im Bundeshaus ein und aus, sie liefern den Parlamentariern entscheidende Informationen und überzeugende Argumente.

Seit bekannt wurde, dass die Kommunikations-Agentur Burson-Marsteller einen Vorstoss von Christa Markwalder kaufte, ist die Lobbyismus-Debatte wieder auf dem Tapet: Wie gehen Parlamentarier mit Lobbyisten um? Braucht es die Einflüsterer im Bundeshaus, oder korrumpieren sie das demokratische System?

Ein Argument ist derzeit oft zu vernehmen: In einem Milizsystem sind Experten unabdingbar, kein Parlamentarier kann bei allen Themen den Überblick behalten. Lobbyisten reichen die nötigen Informationen, Politiker können sich aus der Vielzahl an Meinungen dann ein eigenes Bild verschaffen.

Bestätigung der eigenen Meinung

Dieses Argument gilt dann, wenn alle Meinungen im Bundeshaus gleichwertig vertreten wären und die Parlamentarier die konträren Meinungen zu einem bestimmten Thema anhören würden – das ist in der Realität selten der Fall.

Häufig dient der Kontakt mit Lobbyisten der Beschaffung von überzeugenden Argumenten, der Bestätigung der eigenen Meinung. Dies brachte der CVP-Nationalrat Markus Lehmann im «Salon Bâle» auf den Punkt: «Mich hat noch nie ein Lobbyist von etwas anderem überzeugt als von meiner eigenen Meinung.»

Auch die Nationalräte Sebastian Frehner (SVP) und Beat Jans (SP) argumentieren so. Jans sagt, er habe beispielsweise keinen direkten Kontakt zu den Energiewende-Gegnern, laut Frehner können Interessenvertreter dabei helfen, den eigenen Standpunkt mit entsprechenden Fakten zu unterlegen.

«Man muss von Lügen sprechen»

Manche Lobby-Agenturen gehen gar soweit, dass sie in Umfragen ermitteln, welche Argumente bei der Stimmbevölkerung am besten ziehen. Sie reichen den Parlamentariern dann das zurechtgeschneiderte Argumentarium an die Hand.

Problematisch wird es dann, wenn Fakten zurechtgebogen werden. Laut Beat Jans ist das bei der Energiewende der Fall. Im «Wende-Blatt» der Organisation «Nie wieder AKW» listet Jans «die 10 Lügen gegen die Energiewende», die von PR-Agenturen verbreitet würden – allen voran die Agentur Burson-Marsteller, die unlängst im Fall Markwalder in den Schlagzeilen stand.

Ein anderes Beispiel ist laut Jans der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), der die Kosten für die Energiewende drastisch zu hoch angesetzt habe. 2012 rechnete der VSE vor, wie teuer die Investitionen für die Energiewende ausfallen würde: mindestens vier Milliarden Franken allein für die Erneuerung der Stromnetze. Mit einem Video erklärte der VSE, wie steil die «Bergwanderung» hin zur Energiewende werden würde.

 

Vor zwei Wochen widerlegte der Schweizer Netzbetreiber Swissgrid diese Annahmen. Swissgrid geht von deutlich niedrigeren Kosten für neue Stromnetze aus. Solange der VSE sich nicht hinstelle und die Fehler zugebe, müsse man angesichts der falschen Prognosen von «Lügen» sprechen, sagt Jans. 

Der VSE wehrt sich gegen den Vorwurf, die veranschlagten vier Milliarden Franken hätten sich nur auf einen bestimmten Teil des Stromnetzes bezogen. Angesichts der neuen Berechnung von Swissgrid würde man jedoch «die eigenen Studien gegebenenfalls anpassen».

Mit falschen Prognosen die Meinung beeinflussen

Etwas gelassener als Jans sieht es der Geschäftsführer der AEE Suisse, Dachorganisation der Wirtschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz, Stefan Batzli. Von «Lüge» will er nicht sprechen: «Der VSE hantiert mit unsauberen Annahmen, woraus sich fehlerhafte Prognosen ergeben.» Es gehe jedoch nicht darum, Politiker bewusst hinters Licht zu führen. Vielmehr würden die Prognosen der VSE, die Diskussion in eine bestimmte Richtung lenken, die Kosten der Energiewende etwa erschienen so markant höher, als sie in der Realität sind.

Prognosen sind bekanntermassen fehleranfällig. Schnell lassen sich aus einem Bevölkerungswachstum zum Zeitpunkt X exponentielle Zuwachsraten ableiten, wie es die Ecopop-Initianten taten. Historische Trends können eine Kostenexplosion aufzeigen, wie es die Gegner des RTVG-Referendums implizieren. Bei Prognosen gibt es weder richtig noch falsch, es gibt bloss genaue oder ungenaue Voraussagen.

«Keine Zustände wie in Deutschland»

Was heisst das für die Parlamentarier? Frehner beteuert, er habe noch nie offensichtliche Falschinformationen erhalten. Er sei vorsichtig und überprüfe alle Informationen, die er verwende.

Klingt gut, ist im Parlamentsalltag aber schwer umsetzbar. Oft fehlen Zeit und Fachwissen, um alle Argumente im Detail zu durchleuchten.

Einige Nationalräte blicken deshalb neidisch auf die deutschen Abgeordneten, die vier bis fünf Mitarbeiter zur Seite stehen haben. Zusätzliche Mitarbeiter könnten dabei helfen, die Aussagen von Lobbyisten zu überprüfen, so SP-Nationalrat Beat Jans.

Sebastian Frehner will hingegen keine Zustände wie in Deutschland. Nationalräte erhalten in der Schweiz bereits ein Budget von 33’000 Franken jährlich, das sie für einen wissenschaftlichen Mitarbeiter ausgeben können. Das reiche vollends, sagt Frehner. Nicht alle verwenden dieses Budget, Frehner schon. Sein Mitarbeiter Joël Thüring unterstützt ihn bei der Beschaffung von Informationen: «Das verbessert meine Arbeit sehr», sagt Frehner.

Selten wurde so intensiv über Lobbyismus diskutiert wie in diesen Wochen. Ob sich auch etwas ändert, bleibt offen.

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