Machtlos

Zu komplex, zu schmutzig, zu profitabel. Im Umgang mit den Rohstoff-Multis versagt die Schweizer Politik einmal mehr.

Gegensätze: Firmensitze von Rohstoff-Handelsfirmen in der Schweiz und Arbeiter in kongolesischen Kupfer-Abbaugebieten. (Bild: Meinrad Schade, Collage Hans-Jörg Walter)

Zu komplex, zu schmutzig, zu profitabel. Im Umgang mit den Rohstoff-Multis versagt die Schweizer Politik einmal mehr.

«Just cut the crap.» Die drei Dolmetscher im Saal des Hotels Bellevue in Bern blieben stumm. Ivan Glasenberg, CEO von Glencore, milliardenschwer, eingebürgerter Schweizer, brauchte den Kopfhörer an diesem Dienstagabend im März nur, wenn einer der Parlamentarier eine Frage in Deutsch oder Französisch an ihn richtete.

«Cut the crap, just give us a figure.» Lass den Scheiss und gib uns eine Zahl.

Jacqueline Badran, SP-National­rätin aus Zürich mit dem Hang zum grossen Auftritt, war aufgestanden. Sie wollte nicht mehr länger zuhören, wie Glasenberg, der Chef eines der grössten Rohstoffkonzerne der Welt mit einem Umsatz von 175 Milliarden Schweizer Franken, seine Firma als Wohltäterin, als «Bollwerk gegen die Neokolonialisten aus China» pries. Sie wollte eine Zahl von Glasenberg.Der gebürtige Südafrikaner habe kurz innegehalten, so die Schilderung von Badran, und dann gesagt: «We didn’t pay taxes in Switzerland. Zero.» Kurzer Blickkontakt mit seinen Mitarbeitern zur Rechten und Linken, bestätigendes Nicken.

Mit einer simplen Frage fand Badran an diesem Parlamentarieranlass mehr heraus als eine hochdotierte interdepartementale Arbeitsgruppe in einem ganzen Jahr. Im Ende März vorgestellten Grundlagenbericht zur Rohstoffbranche in der Schweiz steht auf Seite 10 der bemerkenswerte Satz: «Zahlen zu den Steuereinnahmen aus dem Rohstoffsektor gibt es zurzeit keine.» Allerdings, heisst es im Konjunktiv im Bericht weiter, «dürften die verbundenen Steuereinnahmen bedeutend sein und nicht nur eine regionale, sondern auch eine schweizweite Wirkung haben».

Just cut the crap und gib uns eine Zahl.

Ist das tatsächlich so? Die offizielle Schweiz weiss nicht nur nicht, wie viele Rohstoffunternehmen hier ansässig sind, die offizielle Schweiz weiss auch nicht, was uns diese Firmen in Franken und Rappen bringen. Es gibt nur Annäherungen: Schätzungen der Nationalbank gehen von 520 Unternehmen mit rund 10 500 Mitarbeitern aus, die einen Anteil von 15 bis 25 Prozent am globalen Umsatz im Rohstoff-Business in der Höhe von 3000 Milliarden Franken haben.

In der Sondersession, die nächste Woche in Bern stattfindet, wird Jacqueline Badran einen Vorstoss einreichen, in dem sie Auskunft über das Steuerregime für Glencore verlangt. «Wir müssen uns das Herrschaftswissen aneignen», sagt Badran, «wir brauchen Aufklärung. Wir brauchen Transparenz.» Die Nationalrätin will mehr über jene Praxis wissen, die im globalen Rohstoffhandel anscheinend gang und gäbe ist und die auch im Grundlagenbericht des Bundesrats beschrieben wird. Auf Seite 33, gute 20 Seiten nach dem Eingeständnis, keinen Schimmer vom Steueraufkommen der Rohstoff-Multis in der Schweiz zu haben, beschreiben die Autoren ausführlich und mit grosser Fachkenntnis die Steuervermeidungspraxis der Branche: «Mittels Schaffung dazu geeigneter Konzernstrukturen in Verbindung mit der Anwendung der anerkannten Verrechnungspreis­strukturen lassen sich Gewinne dort konzentrieren, wo sie einer tiefen steuerlichen Belastung unterliegen.»

Die Steuertricks

Wie das funktioniert, liess sich diese Woche an einem konkreten Beispiel begutachten. Der brasilianischen Bergbaufirma Vale wird von den Steuer­behörden in Brasilien vorgeworfen, den Staat um mehrere Milliarden Dollar Steuern betrogen zu haben. Vale soll Rohstoffe aus Brasilien deutlich unter dem Marktpreis an eine Schweizer Niederlassung der Firma in Saint-Prex (VD) verkauft haben, von wo aus die Rohstoffe zu üblichen Preisen (und mit den üblichen Gewinnen) verschoben worden seien. 60 Prozent des gesamten Welthandels finden laut einer Untersuchung der OECD innerhalb von Töchtern der gleichen Konzerne statt. Der Spielraum, um Steuern zu sparen, indem man Gewinne von einem Hochsteuerland in ein Steuerparadies verschiebt, ist riesig.

Und ein Steuerparadies, das ist die Schweiz für die Rohstoffkonzerne. Abkommen mit den Kantonen, die unterschiedliche Besteuerung von in- und ausländischen Gewinnen bei Holding-Strukturen, die Unternehmens­steuerreform II mit der Möglichkeit, Dividenden steuerfrei auszuzahlen – die Schweiz tut alles dafür, um von den grossen Firmen möglichst wenig Geld einzufordern.

Der Antreiber der Debatte

Dokumentiert wurde das Beispiel aus Brasilien von der «Nordwestschweiz», basierend auf einer Untersuchung der Erklärung von Bern (EvB). Das kommt nicht von ungefähr. Die Nichtregierungsorganisation mit rund 20 000 Mitgliedern, die sich laut Eigenbeschreibung für eine «gerechtere Globalisierung» einsetzt, ist der eigentliche Antreiber der Rohstoffdebatte. Es war die Erklärung von Bern, die mit ihrem Buch «Rohstoff – das gefährlichste Geschäft der Schweiz» im September 2011 das Thema überhaupt erst lancierte. Darin beschreibt die EvB die schmutzigen Praktiken der Rohstofffirmen in Entwicklungsländern (beispielsweise in Sambia, siehe dazu die Reportage: «Der Fluch des Kupfers»), den Aufstieg der Schweiz zu einem der bedeutend­sten Handelsplätze für Rohstoffe weltweit, die Korruption, die Umweltverschmutzung, die gnadenlose Raffgier und die Raffinesse der Konzerne, wenn es darum geht, möglichst keine Steuern zu bezahlen.

Die Grundlagenarbeit der Nichtregierungsorganisation hatte verschiedene Konsequenzen. Nach dem Börsengang von Glencore, der eine Handvoll Manager zu Milliardären machte, sorgte sich der Rohstoff-Konzern um seinen Ruf. Alleine Ivan Glasenberg soll nach Berechnungen von EvB neu rund 15 Prozent der Aktien mit einem Wert von über 9 Milliarden Dollar besitzen. Dafür hat er 2011 und 2012 je rund 100 Millionen Dollar Dividenden erhalten. Steuerfrei. Also bat Glencore seine Manager, künftig nicht mehr mit dem Bentley in die Firmenzentrale von Baar zu fahren, sondern auf den unauffälligeren Zweitwagen auszuweichen. Wer sich nicht daran hielt, den nahm sich der Abwart in der Tiefgarage zur Brust, erzählt Jo Lang, Vizepräsident der Grünen, der im Kanton Zug schon lange zu den lautesten Kritikern der Rohstoffbranche gehört.

Die Lobby-Organisation breitet sich aus

Die Reaktionen gingen aber über das Anekdotische hinaus. Die Lobby-Organisation Geneva Trading and Shipping Association (GTSA), die sich bis 2012 auf die Belange des Standorts Genf konzentriert hatte, wo vor allem Erdöl gehandelt wird, wandelte sich zur nationalen Organisation. Als Ende 2012 Geert Deschee­maeker, der erste Sekretär der GTSA, zurücktrat, sagte er in einem Interview, die erste Herausforderung seines Nachfolgers sei, den Verband auf nationaler Ebene zu etablieren. Dieser Nachfolger, der 40-jährige Marketing-Mann und ehemalige Genfer Wirtschaftsförderer Stéphane Graber, ist auf dem besten Weg dazu, wie die WOZ kürzlich schön aufzeigte (online nicht verfügbar).

Aktiv wurde schliesslich auch die Schweizer Politik. Sie agiert dabei nach einem altbekannten Muster: Links-Grün versucht mit Vorstössen (alleine 30 in den letzten zwei Jahren), die Branche stärker zu regulieren; die Bürgerlichen verweisen auf den grossen Nutzen der Branche für den Standort Schweiz und versenken mit diesem Argument jeden Vorstoss der Linken.

Wie gross der Nutzen der Branchen ist, weiss niemand.

Nur: Wie gross ist der Nutzen dieser Firmen für die Schweiz tatsächlich? Wer profitiert von den Geschäften der Rohstoff-Multis? «Die Wertschöpfung ist viel grösser, als es vielen bewusst ist», sagt der CVP-Nationalrat Gerhard Pfister. Er stammt aus dem Kanton Zug, neben Genf und Lugano der wichtigsten Standort für die hiesige Rohstoffbranche, und verweist auf den kantonalen Finanzausgleich, der ohne die Steuereinnahmen aus Zug anders aussehen würde. Man müsse endlich aufhören, sich für die internationale Attraktivität der Schweiz fremdzuschämen, sagt Pfister. «Wenn wir die Branche weiter schlechtreden, sind die Firmen plötzlich weg.» Das ist auch die Befürchtung des Wirtschaftsverbands Economiesuisse. Firmen würden von ausländischen Staaten aktiv abgeworben, sagt Chefökonom Rudolf Minsch. «Fakt ist: Wenn die Schweiz hier zu stark reguliert, dann ziehen die Firmen ab.» Die Linken brächten mit Einzelbeispielen eine ganze Branche in Verruf, eine Branche notabene, «deren volkswirtschaftlicher Nutzen erheblich ist und die einer absolut legitimen Tätigkeit nachgeht».

Noch weiter geht Ruedi Noser, Zürcher FDP-Nationalrat, der sich in den vergangenen Wochen als einer der grössten Fürsprecher der Branche entpuppt hat. Auf seine Anregung hin fand der Austausch zwischen Parlamentariern und der Glencore-Spitze statt und er ist es auch, der Nichtregierungsorganisationen wie die Erklärung von Bern öffentlich am schärfsten kritisiert. «Die führen eine Stellvertreterdiskussion», sagt Noser, «in Wahrheit geht es diesen NGO um Novartis und Nestlé.» Die Linken und die NGO würden sich auf westliche Rohstofffirmen konzentrieren und die Augen verschliessen vor den Praktiken der Chinesen, die im Moment ziemlich schamlos den afrikanischen Kontinent ausbeuteten. In diesem Punkt trifft sich Noser in der Argumentation wohl nicht ganz zufällig mit Glasenberg.
«Ja, ja. Das Bollwerk gegen die Chinesen!» Jacqueline Badrans Stimme hat einen spöttischen Klang. Mit Sachlichkeit habe das alles nichts zu tun. Vielmehr mit Religion. «Der erste Glaubenssatz der Bürgerlichen: Wir mischen uns nicht ein. Der zweite Glaubenssatz: Die nützen uns immer.»

Der ideologische Streit

Die beiden politischen Gruppen stehen sich unversöhnlich gegenüber: Links müht man sich ab, irgendetwas zu ändern, und bleibt erfolglos. Rechts wird das Mantra des «Erfolgsmodells Schweiz» beschworen und jeglicher Eingriff in den Markt verteufelt.

Der Grundlagenbericht des Bundesrats zur Rohstoffproblematik liest sich über weite Strecken wie ein Abbild dieses ideologischen Streits. Auf der einen Seite wird den linken Bedenken Rechnung getragen. Aus den Schweizer Botschaften werden mögliche Reputationsschäden für das Image des Landes gemeldet, die Folgen der Korruption in den Entwicklungsländern werden thematisiert, die undurchsichtigen Steuerpraktiken, ja sogar vom «Rohstofffluch» ist die Rede, der die rohstoffreichen Länder der Dritten Welt arm zurücklässt.
Aber schliesslich geht es um das Geschäft und darum, inwiefern «die» uns tatsächlich nützen. Die rund 10 500 Mitarbeiter in der Rohstoff-Branche tragen laut den Schätzungen des Bundesrats rund 3,5 Prozent zum Bruttoinlandprodukt bei und liefern der Schweiz die bereits erwähnten und nicht weiter bezifferbaren «bedeutenden Steuereinnahmen» ab. Zum Vergleich: Die Maschinenindustrie beschäftigt rund zehnmal so viele Menschen und erwirtschaftet einen ähnlichen Anteil am BIP.

Massnahmen im Konjunktiv

Der Nutzen der Rohstoffbranche ist für die Landesregierung gross genug, um auf konkrete Massnahmen zu verzichten. Sie belässt es bei Empfehlungen im Konjunktiv, etwa die Empfehlung Nummer 8: «Die Auswirkungen einer allfälligen Einführung von Transparenzvorschriften – analog zu jenen in den USA und der EU – auf den Schweizer Rohstoffsektor sollen abgeklärt und die Ausarbeitung einer Vernehmlassungsvorlage geprüft werden.»

Abwarten, aussitzen, sich ja nicht bewegen. Es ist die Haltung des Staatssekretariats für internationale Finanzfragen im Finanzdepartement, die sich in der Arbeitsgruppe durchgesetzt hat (siehe das Interview mit Peter Niggli: «Der Druck auf die Schweiz wird zunehmen»). Statt die Firmen zu regulieren, setzt der Bund auf die Freiwilligkeit. «Symptomatisch für den gesamten Bericht ist (…), dass lediglich auf freiwillige Massnahmen von Unternehmen verwiesen wird, ohne auf die Verantwortung der Schweiz als Sitzstaat einzugehen», heisst es in der Analyse des Berichts durch die Erklärung von Bern. «Wir können hier althergebrachte Reflexe beobachten», sagt Oliver Classen von der EvB, «ähnlich wie bei der Finanzplatz-Problematik will man die politischen Schlüsse nicht ziehen. Es gibt keine Gründe, den Rohstoffplatz unter Artenschutz zu stellen.»

Die USA und die EU handeln. Die Schweiz wartet ab.

Die Analogie zum Finanzplatz drängt sich auf: Auch im gesamten Steuerthema hat die Schweiz jahrelang versucht, die Probleme auszusitzen – bis der Druck aus dem Ausland zu gross wurde. Genau das Gleiche könnte auch im Rohstoffbereich geschehen. In den USA gilt seit Juli 2010 der Dodd-Frank-Act, der die amerikanischen Rohstofffirmen dazu zwingt, sämtliche Transfers ab 100 000 Dollar offenzulegen, die sie an Regierungen für den Zugang zu Bodenschätzen zahlen. Diese Woche hat die EU nachgezogen: Am Dienstagabend haben sich Vertreter von EU-Kommission, Europaparlament und EU-Regierungen in Brüssel darauf geeinigt, dass künftig europäische Firmen, die Öl, Gas, Edelmetalle und Holz abbauen, ihre Zahlungen an Regierungen veröffentlichen müssen.

Irgendwann wird die Schweizer Politik auf den Druck aus dem Ausland reagieren müssen. Bis dahin gefällt man sich in der Rolle des willfährigen Gehilfen. Dieses Wochenende findet zum zweiten Mal der wichtigste Rohstoffgipfel der Welt in der Schweiz statt, im Luxushotel Beau Rivage in Lausanne. Die Branche scheint sich in der Schweiz wohlzufühlen.

Quellen

Die WOZ zum Gipfeltreffen der Branche in Lausanne.

Die EU beschliesst strengere Regeln.

Die «Nordwestschweiz» und die BaZ über die Steuerpraktiken des Bergbaukonzerns Vale.

Ein Porträt von Ivan Glasenberg in der «Bilanz».

Ein Streitgespräch mit Branchen-Lobbyist Ruedi Noser in der WOZ.

Die NZZ über die Folgen des Rohstoff-Berichts.

Ein Dossier zum Thema in der «Sonntagszeitung».

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 12.04.13

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