Daniele Ganser ist aus Berlin zurück. Der Historiker, der sich mit seinen Publikationen zur Nato, dem globalen Ressourcenkrieg und den Terroranschlägen von 9/11 einen Namen, aber nicht nur Freunde gemacht hat, war eingeladen: Sein Vortrag zur Ukrainekrise füllte einen Kinosaal mit 500 Zuhörern – locker.
Jetzt sitzt Ganser selbst als Zuschauer in einem Basler Kino, um herauszufinden, wie fossile Energieträger nicht nur reale Konflikte, sondern auch den Blockbusterfilm befeuern. «Es könnte mir vielleicht etwas zu heftig werden», schickt der 42-jährige Friedensforscher voraus. Gezeigt wird nämlich «Mad Max: Fury Road», der vierte Teil in George Millers Punk-Apokalypse, die 1979 unter dem Eindruck der Erdölkrise ihren Anfang genommen hatte.
Zwei Stunden später stehen wir mit wackeligen Beinen wieder auf der Strasse, wo Menschen den warmen Frühlingsabend geniessen. Der Gegensatz zum vorangegangenen Filmerlebnis könnte grösser nicht sein. «Was ist denn hier los?», fragt der Friedensforscher im Witz, doch seine Irritation ist echt.
Denn «Mad Max: Fury Road» fühlt sich in etwa so an, also würde man auf der Autobahn 120 Minuten lang den Kopf aus dem Fenster stecken und dabei vergessen, den Mund zu schliessen: Mit dem, was hier an Gewaltszenen und pyrotechnischem Wahnsinn abgefackelt wird, liessen sich fünf handelsübliche Actionfilme mit einem Showdown versehen – die Ressourcenknappheit führt zum dramatischen Exzess.
Zerrieben, zerstückelt, verbrannt
Diesmal ist Max (Tom Hardy) in der Wüste auf der Flucht vor einem sadistischen Warlord, mit einer einarmigen Amazone (Charlize Theron) und dem Harem des Bösewichts im Schlepptau: Sandstürme, Explosionen, sich ineinander verkeilende und überschlagende Maschinen, und dazwischen Menschen, die zerrieben, zerstückelt, verbrannt werden. In einer der wenigen Verschnaufpausen betrachten die Flüchtenden den Nachthimmel, wo ein blinkender Satellit seine Bahn zieht, und fragen sich, ob es irgendwo noch Menschen gibt, die fernsehen.
«Das ist ein spannender Moment», sagt Ganser, nachdem wir uns vor ein Selbstbedienungsrestaurant gesetzt haben. «Es gibt diese andere, unsere Welt, in der wir Cola trinken und Fussball schauen. Aber es gibt eben auch Kriegsschauplätze, die schlimmer sind als das, was wir gesehen haben. Das ist für mich schwer vorstellbar: Nach ‹Mad Max› denkt man, das ist das Krasseste, so darf es nie werden. In Europa und Nordamerika haben wir diese Gewalt nur im Film. Doch die anderen haben sie wirklich.»
«Mad Max» folgt den Gesetzen eines Western: Schwarze gegen weisse Hüte, sogar eine motorisierte Gang von Pseudo-Rothäuten hat ihren Auftritt. «Wir werden extrem von Bildern beeinflusst», sagt Ganser. «Was Historiker zum Beispiel über den Irakkrieg forschen, wird höchstens von ein paar Tausenden gelesen, einen Film wie ‹American Sniper› schauen sich hingegen Millionen an. Wenn Hollywood die Geschichtsschreibung übernimmt, versinken wir in Kriegspropaganda.»
Das Fliegerspektakel «Top Gun», für das Ganser als Jugendlicher schwärmte, hat ihm diesbezüglich die Augen geöffnet: Ein Film mit echten Flugzeugträgern kann nur mit Zustimmung des Pentagons gedreht werden. «Kriegspropaganda gibt es eben nicht nur im UNO-Sicherheitsrat, auf CNN oder SRF, sondern auch in den Kinos in der Steinen.»
Nun lässt sich «Mad Max: Fury Road», der immerhin von einem Australier gedreht wurde, nur schwer in dieses Muster pressen: Der Überlebenskampf ist viel zu universell gehalten, um auf eine geopolitische Aktualität anzuspielen. Der Kampf um Ressourcen wie Öl und Wasser ist mythisch, fast religiös überhöht: Max hat ein eigentliches Umkehrerlebnis, bei dem er sich zuletzt seinen Verfolgern stellt, um das Richtige zu tun und den Tyrannen zu beseitigen. Schön und gut, findet Ganser, nur seien die Mittel falsch gewählt.
«In den letzten 25 Jahren, seit dem Fall der Berliner Mauer, wird von Krieg führenden Nationen immer dieselbe Geschichte erzählt: Es gibt da draussen einen bösen Mann, egal ob er Saddam Hussein heisst, Osama Bin Laden oder Wladimir Putin, und wenn der gestürzt wird, ist alles gut. Das ist eine Lüge. Im Kern geht es um das Erbeuten von Rohstoffen wie Erdöl im Irak oder das Ausdehnen von Machträumen wie jenem der Nato in der Ukraine. Dafür wird vorsätzlich Gewalt eingesetzt, der Ausstieg aus der Gewaltspirale ist nicht das Ziel der globalen Elite, sondern Machterhalt und Machtausdehnung. Wenn sich das Böse mit Gewalt wegbomben liesse, hätten wir das längst geschafft.»
Hoffnung ist kein Fehler
Als Daniele Ganser 2006 die offizielle Untersuchung zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 anzweifelte, wurde er von der amerikanischen Botschaft in der Schweiz angegriffen – und ging seinen Weg doch unbeirrt weiter. Fühlt er sich manchmal selbst wie ein Rufer in der Wüste? «Wüste ist anders», sagt Ganser, «allein meine Vorlesung in Tübingen zu 9/11 hat über Youtube 300’000 Leute erreicht – acht Mal das ausverkaufte Joggeli-Stadion. Das zeigt mir, dass es ein wichtiges Thema ist, das viele beschäftigt.» Und der Verteilungskampf ums Erdöl, davon ist Ganser überzeugt, spielt dabei die Hauptrolle.
Hoffnung sei ein Fehler, heisst es in «Mad Max», und bei einem Verbrauch von 90 Millionen Fass Erdöl pro Tag stellt sich die Frage, wie wir aus der endlos drehenden Spirale von Abhängigkeit und Gewalt überhaupt ausbrechen sollen. Ganser rät zur Enthaltsamkeit.
«Es gibt zwei Mittel: raus aus den Ressourcenkriegen, den eigenen Verbrauch reduzieren, und das eigene Weltbild durch alternatives Medienverhalten von Kriegspropaganda entrümpeln. Meine Hoffnung ist, dass es eine mehrheitsfähige Vision bleibt, friedliche Konfliktlösungen anzustreben.» Also lieber nicht ins Kino gehen? Ganser differenziert. «‹Mad Max› ist sehr gut gemachte Action. Aber insgesamt fehlt mir der Erkenntnisgewinn, der Film gibt mir keine Kraft.»
Lautlos durch die Nacht
Ganser ist mit dem Auto nach Basel gekommen, er lädt abschliessend zur Probefahrt. «Eigentlich habe ich mir ja immer einen Maserati gewünscht», stattdessen bittet er, in einem Elektromobil von Tesla Platz zu nehmen, als Kontrast zum Diesel-Gedröhn von «Mad Max». Ganser senkt die Fenster, nichts ist vom Motor zu hören. Dafür drückt der Sitz, als er den Wagen beschleunigt.
Zum Abschied öffnet er die Haube. Statt eines Motors ist da nur Raum für ein Reserverad – und Optimismus. «Ich glaube daran, dass es auch anders geht», sagt Daniele Ganser und verschwindet lautlos in der Nacht.