Florim Cuculi (34), Kardiologe am Kantonsspital Luzern, kam 1992 mit seinen Eltern in die Schweiz, sprach kein Wort Deutsch. Schnell begriff er, dass eine gute Ausbildung der beste Weg zu gesellschaftlicher Anerkennung ist. Medizin studiert hat er unter anderem in Basel.
Die Einladung, diesen Artikel zu schreiben, verdanke ich der Tatsache, dass mit der Integration der Albanisch sprechenden Bevölkerung in der Schweiz nicht alles zum Besten bestellt ist. Das ist leider nicht ganz erfreulich und eigentlich wünschte ich mir, es hätte nie einen Grund gegeben, über dieses Thema zu schreiben.
Man muss am Anfang vielleicht den Begriff «Albaner» klären, der die Eigenart der Balkan-Geschichte widerspiegelt. Auf dem Balkan sind die Albaner über mehrere Länder verteilt: Albanien, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Süd-Serbien. Die meisten Albaner, die in der Schweiz leben, sind entweder aus dem Kosovo oder aus Mazedonien.
Xherdan Shaqiri (ein aus dem Kosovo stammender Albaner) hat gerade erst bei Bayern München unterzeichnet und ich hoffe, dass er dort viel Erfolg haben wird. Selbstverständlich ist für das gebeutelte Image der Albaner in der Schweiz ein Xherdan Shaqiri Gold wert. Die Mehrheit der Albaner in der Schweiz ist jetzt in der zweiten und dritten Generation hier, und es ist eminent wichtig, dass sich diese Menschen mit der Schweiz identifizieren.
Wenn man eine Umfrage unter 16-Jährigen, in der Schweiz geborenen Albanern machen würde, bin ich überzeugt, dass sich die Mehrheit nicht als Schweizer bezeichnen wird. Und das ist tragisch! Ich sehe hier eines der Hauptprobleme der Integration. Denn wie kann man sich in einem Land integrieren, wenn man sich nicht mit dem Land identifizieren kann?
Für mich schliessen sich die Begriffe Albaner und Schweizer nicht aus, im Gegenteil. Es muss 2012 in der Schweiz möglich sein, beide Identitäten in der für sich optimalen Dosierung zu leben. Den Begriff «stolz auf die Herkunft» finde ich hingegen in diesem Zusammenhang blödsinnig, denn meiner Meinung nach sollte man nur auf das stolz sein, was man selber erreicht hat.
Bildung – die grosse Chance
Es ist sehr wichtig, dass man allen Immigranten in der Schweiz zeigt, dass die Tatsache, dass sie in der Schweiz leben, für sie ein Glücksfall ist. Dies ist das Land, wo man fast kostenlos Bildung geniessen kann. Ich habe in den letzten zweieinhalb Jahren in Grossbritannien gelebt, wo die Gutbetuchten die Kinder in die Privatschule schicken. Ich habe auch erlebt, wie die konservative Regierung von David Cameron die Studiengebühren drastisch erhöht hat. Das erschwert den Zugang zur höheren Bildung.
Dies ist in der Schweiz nicht der Fall. Ich, das Kind von Einwanderern und aus sehr einfachen Verhältnissen stammend, habe es geschafft, in diesem Land zu studieren, ohne dass sich meine Eltern finanziell ruinieren mussten. Das ist eine enorme Chance. Man muss die jungen Menschen motivieren, von den leicht zugänglichen Bildungsmöglichkeiten in diesem Land Gebrauch zu machen. Denn es ist klar, dass gebildete Menschen deutlich einfacher zu integrieren sind. Insofern liegt es auch im Interesse der Schweiz, dass Bildung bis zu diesen Bevölkerungsschichten dringt – und wenn ich in meinem Umfeld schaue, dann stimmt mich das zuversichtlich.
Schlägereien, Verkehrsdelikte
Fast zeitgleich zum Transfer von Xherdan Shaqiri zum FC Bayern fand in Zürich der Prozess gegen einen Albaner statt, der seine Freundin umgebracht hat. Ich kenne die genauen Details nicht, aber warum hatte dieser junge Mann überhaupt eine Pistole? Warum sind immer wieder junge Albaner (Männer) in Schlägereien verwickelt, die zum Teil böse enden? Warum sind in so viele Verkehrsdelikte Albaner involviert? Es bringt nichts, diese Tatsachen zu tabuisieren. Ich bin Arzt und deshalb ist dieser Text eine persönliche Stellungnahme und keine soziologische Abhandlung. Aber ich bin überzeugt davon, dass irgendetwas in der Erziehung schiefläuft.
Die Eltern müssen in die Pflicht genommen werden, denn man kann nicht Kinder auf die Welt bringen und sie dann sich selbst überlassen. Es fängt sehr früh an, und es sollte beispielsweise nicht vorkommen, dass Eltern nicht an Elternabende kommen. Es ist wahrscheinlich auch nicht förderlich, wenn die Eltern dem gerade 18 Jahre alt gewordenen Sohn ein schnelles Auto kaufen, mit dem er dann auf der Strasse sich selber und andere Menschen gefährdet. Ich habe leider kein Patentrezept, und die Situation ist viel zu kompliziert für ein einfaches Rezept. Die albanischen Eltern müssen einsehen, dass vieles schiefläuft.
Soll der Staat etwas tun?
Integration ist keine Einbahnstrasse. Man kann immer wieder lesen, wie behauptet wird, gewisse Ausländer wollten sich nicht integrieren. Ich habe das Gefühl, dass man manchmal die Integrationsfähigkeit dieser Leute total überschätzt. Gewiss, die gebildeten Albaner integrieren sich automatisch und brauchen die Hilfe des Staates nicht. Aber es ist leider so, dass die meisten nicht gebildet sind und dementsprechend mehr Mühe haben. Hier kann der Staat unterstützend helfen.
Wenn die Integration dieser Menschen ernsthaft gewollt wird, dann muss dafür gesorgt werden, dass keine Diskriminierung stattfindet. Das fängt bei der Wohnungssuche an und geht bei der Lehrstellensuche weiter. Die jungen Schweizer mit albanischen Wurzeln dürfen nicht mit dem Gefühl erwachsen werden, sie seien in diesem Land nicht gewollt. In England gibt es Quoten für Minderheiten, was ein Lösungsweg wäre. Quoten haben aber etwas mit Zwang zu tun, und Zwang ist langfristig selten ein guter Begleiter.
Das wichtigste Vehikel zur Integration ist die Sprache. Da sollte man realistisch bleiben. Leute, die seit 20 Jahren hier leben und nicht Deutsch gelernt haben, werden die Sprache auch nicht mehr richtig lernen. Das ist auch nicht tragisch.
Wir müssen das Augenmerk auf diejenigen richten, die zum Beispiel via Familiennachzug neu in die Schweiz einziehen. Ich bin absolut dafür, dass Kenntnisse der deutschen Sprache zur Bedingung für die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung gemacht werden.
Die Zukunft
Als die Schweiz letztes Jahr im Wembley gegen England ein hervorragendes 2:2 herausholte, spielten insgesamt fünf albanische Schweizer für die Schweiz: Granit Xhaka, Valon Behrami, Xherdan Shaqiri und die dann eingewechselten Blerim Dzemaili und Admir Mehmedi. Ich war im Stadion und habe mit den anderen 10 000 Schweizern «Hopp Schwiiz» geschrien.
Solche Glücksmomente widerspiegeln aber nicht den Alltag, und es ist wichtig, dass wir Schweizer mit albanischen Wurzeln im Alltag überzeugen. Gleichzeitig hoffe ich, dass in Zukunft vor allem das Individuum und nicht die Herkunft wichtig ist. Ich habe zwei drei Monate alte Söhne, die in Oxford auf die Welt kamen. Ich hoffe, dass sie sich in der Schweiz nie für die Herkunft ihres Vaters rechtfertigen oder (noch schlimmer) schämen müssen.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 17.02.12