Beim Prozess der USA gegen «Whistleblower» Bradley Manning kam ein wichtiger Zeuge zu Wort: Der Hacker Adrian Lamo. Dieser nannte Manning einen «Humanisten und Idealisten».
Wer über den Militärprozess der USA gegen den Gefreiten Bradley Manning berichten will, muss das zivile Leben hinter sich lassen. Muss im Morgengrauen mehr als eine Autostunde nordöstlich von Washington nach Fort Meade fahren, in eine grosse Festung auf dem flachen Land, wo sich auch das Hauptquartier des militärischen Geheimdienstes NSA und das Cyber-Kommando der USA befinden. Muss seine persönlichen Daten preisgeben, sein Auto von Hunden durchschnüffeln und sich selbst auf Schritt und Tritt eskortieren lassen. Und muss Regeln unterschreiben, die die US-Armee eigens für diesen Prozess erfunden hat.
350 Journalisten aus aller Welt haben trotzdem eine Akkreditierung beantragt. Die US-Armee hat 70 von ihnen zugelassen. Davon dürfen jeweils zehn gleichzeitig im Gerichtssaal sitzen. Für mehr fehlt der Platz. Der Prozess gegen den grössten Whistleblower der US-Geschichte findet in einem winzigen Saal statt: rechts und links vom Mittelgang stehen vier Reihen Holzbänke. Darauf passen insgesamt 48 Personen.
Unterstützer sind Fremdkörper im Gericht
Ausser den Journalisten sitzen auf den Besucherbänken Militärs in Uniform, Beschäftigte der US-Regierung und eine kleine Gruppe von jeweils 16 Unterstützern. Sie haben erst von Mannings Existenz erfahren, nachdem der damals 22-jährige Nachrichtenanalyst, der in der US-Basis «Hammer», 60 Kilometer östlich von Bagdad Dienst am Computer tat, um «Risikoanalysen» für die kämpfenden Soldaten zu erstellen, am 26. Mai 2010 verhaftet und der massiven Weitergabe von geheimen Daten beschuldigt wurde. In den zurückliegenden drei Jahren sind die Unterstützer zu seiner Lebensader geworden.
Von Mannings Verwandten sind nur eine Tante und ein Vetter zur Prozesseröffnung gekommen. In Schwarz gekleidet sitzen sie schweigend in der ersten Reihe. Direkt hinter dem zierlichen Manning, ihre Augen auf dessen beinahe kahl rasierten Hinterkopf geheftet.
Die Unterstützer sind Fremdkörper im Militärgericht. Sie sind Kriegsveteranen, eingefleischte Pazifisten, Verteidiger einer offenen Informationsgesellschaft und ein paar Anwälte. Frauen in Birkenstock-Sandalen. Ältere Männer mit schlohweissen Bärten. Ein junger Mann, der das Geschehen im Yoga-Lotus-Sitz verfolgt.
In einem Land, das sich seit mehr als zwölf Jahren im Krieg befindet, waren es die Unterstützter, die dafür gesorgt haben, dass Manning nicht in Vergessenheit gerät. Sie haben das Geld für seine Verteidigung gesammelt. Und sie bestehen darauf, dass er mit der Weitergabe von mehr als 700’000 geheimen Daten aus Krieg, Diplomatie und dem Gefangenenlager in Guantánamo der Nation einen Dienst erwiesen hat.
«Manning ist ein Humanist.»
«Die meisten Leute in Oklahoma halten Manning für einen Verräter», sagt Rena Guay. Sie ist mehr als 2’000 Kilometer weit nach Maryland geflogen, um ein paar Tage hinter Manning zu sitzen. Auf ihrer Visitenkarte steht: «Wer ein Kriegsverbrechen bekannt macht, ist ein Patriot». In ihrem konservativen Bundesstaat, in dem Manning ein paar Jahre als Kind verbracht hat, versucht sie, um Sympathie für ihn zu werben. «Einfach», sagt sie, «ist das nicht».
Auch zwei Sozialarbeiterinnen aus New York haben Kollegen, die drei Jahre nach Mannings Verhaftung immer noch «nichts» über seine Verdienste wissen. «Er ist ein mutiger Mann. Ein Held. Ein Humanist», schwärmt Rose Zacchi. Sie und ihre Freundin Karin Sackett, die vom Alter her Mütter des Angeklagten sein könnten, wollen ihm zeigen, dass er nicht allein ist.
Die beiden Frauen sind sicher, dass Manning dankbar für die Hilfe ist. Das hat sein Verteidiger David Coombs zuletzt am Vorabend des Prozessbeginns per Tweet erklärt. Aber weder er noch Manning blicken in diesen ersten Tagen in den Saal hinter sich, wo die Unterstützter sitzen, sondern konzentrieren sich auf das Geschehen vor ihnen. Auf die Militärkläger, die beweisen wollen, dass Manning «für den Feind» und «gegen Amerika» gearbeitet habe. Dazu haben sie in den ersten Prozesstagen gleich reihenweise «Special Agents» vorgeladen, die nach Mannings Verhaftung in der Tiefe seiner Computer, seiner selbst gebrannten Daten-CDs und seiner Chats gegraben haben. Und Ausbilder, die den Angeklagten schon früh als Soldaten kennen gelernt haben.
Manning stellte viele «lästige» Fragen
Troy Moul, ein Ausbilder aus einer Geheimdienstschule in Arizona, beschreibt einen jungen Manning, der «seriös» aber wegen seiner vielen Fragen auch «lästig» gewesen sei. Von «Wikileaks» hat der Ausbilder erst nach Mannings Verhaftung gehört. Auf Militär-Computern ist der Zugang zu Wikileaks gesperrt.
Auch ein anderer Ausbilder, Brian Madrid, zeigt, wie ahnungslos US-Militärs gehalten werden. Er berichtet über Videos, die Manning am Anfang seiner Ausbildung über seinen Alltag in der Militärschule ins Netz gestellt hat. Sie enthielten nichts Verbotenes. Verstiessen aber gegen die Grundregel der Geheimhaltung. Sehen konnte der Ausbilder nur
eines von mehreren Videos seines Schülers. Der Grund: Auch YouTube ist auf den Computern der Armee gesperrt.
Manning wollte «öffentliche Debatte» auslösen
Manning hört entspannt zu. Im grossen Sessel, dessen Rücklehne er kaum mit dem Kopf überragt, und zwischen seinen drei breitschultrigen Anwälten, wirkt er noch zierlicher. Manchmal legt er den Kopf nach rechts, um mit seinem Zivilanwalt zu sprechen, manchmal nach links, um Worte mit seinen Militärverteidigern zu flüstern. Nur auf zwei direkte Fragen von Richterin Denise Lind antwortet er laut mit: «Yes, your Honor». Sie will wissen, ob er weiterhin damit einverstanden ist, dass sie allein – und kein Schwurgericht – sein Urteil fällt. Und ob er an seinem Schuldbekenntnis festhält.
Im Februar hat Manning sich zur Weitergabe von Geheiminformationen bekannt. Zugleich aber die schwersten Anklagepunkte – vor allem den Vorwurf der «Hilfe für den Feind» und der Spionage – von sich gewiesen. Als Motiv für die Weitergabe von Hunderttausenden von Geheimdokumenten hat er die «unglaublichen und schrecklichen» Dinge genannt, die sie zeigen und dass er eine «öffentliche Debatte» auslösen wollte.
Mannings «gebrochene Seele»
Als ein sehr blasser Mann in den Zeugenstand kommt, wird Manning angespannt. Es ist seine erste persönliche Begegnung mit Adrian Lamo. Während der Angeklagte ihn fixiert, vermeidet der Zeuge jeden Blickkontakt. Im Mai 2010 hat Manning den Schwulenaktivisten und Hacker kontaktiert. Er weiss, dass Lamo verurteilt worden ist, weil er sich in Computer der «New York Times» und von «Microsoft» gehackt hat. Und dass Lamo Geld für die Gruppe Wikileaks gespendet hat.
Manning sucht einen Vertrauten. Schon im ersten Chat mit Lamo sagt er, dass er auf sensible Daten gestossen ist, die er «nicht dort lassen» konnte. Am nächsten Tag schaltet Lamo die Counter-Intelligence ein. Seine Chats mit Manning setzt er weitere sechs Tage bis zu dessen Verhaftung fort.
Lamo ist ein Zeuge der Anklage. Doch im Verhör entlockt Verteidiger Coombs ihm Dinge, die Manning nutzen können. Der Zeuge bestätigt, dass Manning ein «Idealist» und «Humanist» ist, der von seiner «gebrochenen Seele» gesprochen hat und davon, dass er «Hilfe» braucht. Und dass Manning, als Lamo ihn gefragt hat, warum er die Dokumente nicht «an Russland oder China» verkauft, geantwortet hat, sie seien «ein öffentliches Gut». Die Frage, ob Manning «illoyal zu Amerika» gewesen sei, verneint der Zeuge. Und er kann sich auch nicht daran erinnern, dass Manning «dem Feind helfen» wollte.
Frühstens mit 45 wieder in Freiheit
Coombs will seinen Mandanten vor der drohenden Maximalstrafe lebenslänglich ohne Möglichkeit einer Entlassung bewahren. Deswegen sucht er die Beschreibung «jung», «naiv» und «Weltverbesserer voll guter Absichten» für Manning. Deswegen stellt er dessen innere Konflikte in den Vordergrund. Und deswegen nennt er ihn einen guten Amerikaner, der nicht dem Feind zuarbeitet. Falls es klappt, könnte Manning im Alter von etwa 45 Jahren in die Freiheit zurückkehren.
An diesem zweiten Verhandlungstag sitzen mehrere Manning-Unterstützer in einem schwarzen T-Shirt mit der weissen Aufschrift «Truth» im Gerichtssaal. Noch am Vortag mussten sie ihre T-Shirts am Eingang zu Fort Meade ausziehen oder umdrehen. Dann entfachte sich ein Sturm der Entrüstung in den Sozialen Medien.
Fotos und Tonaufnahmen sind verboten
Verändert ist am zweiten Verhandlungstag auch die Anordnung der Dutzenden von hüfthohen Gittern vor dem Gerichtsgebäude. Die Gitter markieren Zugangswege und Zonen. Am zweiten Tag ist die für Interviews rundum mit Absperrgittern markierte Zone etwas näher an das Gericht verlegt worden. Aber Fotos und Aufnahmegeräte bleiben weiterhin verboten.
Wer in Fort Meade das Kommando über den Prozess hat, ist nicht herauszufinden. Aber die Stimmung ist spürbar nervös. Zu den T-Shirts sagt der Militärjurist, der die akkreditierten Journalisten betreut: «Es war eine unglückliche Entscheidung. Sie hätte nicht passieren sollen.» Dahinter stecke vermutlich eine «Bedrohungseinschätzung» der Militärpolizei, die «das Problem hat, dass sie Gedanken nicht lesen kann». Den Namen des Militärjuristen dürfen Journalisten nicht nennen.
Er will als «LSME» zitiert werden – als legaler Fachmann (für: «legal subject matter expert»). Der «LSME» trägt dieselbe dunkelblaue Army-Ausgehuniform mit goldenen Streifen auf Schultern, Ärmeln und Hosenbeinen und mehreren Reihen von kleinen, bunten Auszeichnungen auf der Brust, die fast alle Prozessbeteiligten schmückt. Der einzige Prozessteilnehmer in Zivil ist Mannings Verteidiger. Bevor Coombs sich 2009 als Anwalt niederliess, um Soldaten zu verteidigen, diente er zwölf Jahre lang in der Armee.
Eine politische Debatte findet nur im zivilen Leben statt
Die Militärjustiz ist eine geschlossene Gesellschaft mit engen Grenzen. Journalisten bekommen nur dann eine Akkreditierung, wenn sie 14 Regeln für den Prozess unterschreiben. Regel Nr. 3 verbietet die namentliche Nennung von Militär-Pressesprechern. Nr. 7 besagt, dass Journalisten «jederzeit» durchsucht werden können. Regel Nr. 14 verbietet die direkte Ansprache von Prozessbeteiligten. Interviewwünsche müssen über die Pressestelle der Armee eingereicht werden.
Wer die politische Debatte sucht, muss Fort Meade verlassen und ins zivile Leben zurückkehren. Dort reden seine Unterstützer nicht über Mannings Schwächen und Ängste, sondern über seine Leistung. Am Vorabend des Prozessbeginns sitzen prominente Whistleblower auf einem Podium in Washington und sagen: «Wir brauchen mehr Bradley Mannings». Tosender Beifall.