Matterhorn von oben, Pinguine von unten

Immer wieder werden in der Schweiz unnötige Eingriffe in die Natur geplant. Im Interesse der Umwelt und damit auch der eigenen Interessen wäre mehr Selbstbegrenzung nötig.

Morgenrot und Strahlenmeer – der Schweizer Nationalberg bleibt attraktiv, weil er unerreichbar ist. (Bild: Thomas Fliegner)

Immer wieder werden in der Schweiz unnötige Eingriffe in die Natur geplant. Im Interesse der Umwelt und damit auch der eigenen Interessen wäre mehr Selbstbegrenzung nötig.

Kaum einer käme heute auf die Idee, eine Bahn auf das Matterhorn zu bauen. Ein Teil der Attraktivität dieses Berges besteht aus seiner Unerreichbarkeit. Die Bähnli-Idee wurde in der boomenden Gründerzeit vor dem Ersten Weltkrieg aber ernsthaft verfolgt. Der Bundesrat erteilte sogar eine Konzession.

Dann kam aber Protest auf, der Heimatschutz und der Schweizer Alpenclub (SAC) brachten 1907 über 70’000 Unterschriften zusammen, mehr als damals für eine Volksinitiative nötig waren. Das zentrale Argument: Das Hochgebirge der Schweiz sei der ideale Besitz des ganzen Schweizervolkes. Heute würde man den Matterhorn-Schutz per Abstimmung in unsere buntscheckige Verfassung drücken.

Immer wieder Glück gehabt

Als die Hauptverfechter der Matterhorn-Bahn, der Obwaldner Xavier Imfeld 1909 und der Waadtländer Henri Golliez 1913, starben, starb auch das Projekt. Zu dieser Geschichte gehört, dass in der gleichen Region fast gleichzeitig (1898) ein Bahnprojekt durchaus realisiert werden konnte: die von 2400 Italienern erbaute Gornergrat-Bahn, die höchste im Freien geführte Zahnradbahn Europas, die heute im 24-Minuten-Takt fährt und mit der man, laut Werbung, mindestens einmal in seinem Leben gefahren sein muss. Zum Beispiel, wenn dort oben, auf über 3000 Metern, ein Schwingfest stattfindet.

An den erschlossenen Gornergrat haben wir uns gewöhnt, er gehört schon fast zur Natur. Dass uns die Erschliessung des Matterhorns erspart geblieben ist, empfinden wohl die meisten als einen Glücksfall.

Es kann auch mal was danebengehen

Es war aber nicht einfach das Glück, das zum Glück führte, sondern es war zu einem wichtigen Teil der Bürger- und Bürgerinnenprotest. Ebenfalls erspart blieb uns, dass der Symbolberg mit einer Dauerbeleuchtung ausgestattet wurde, wie das ein paar rührige Leute 1988 forderten. Oder dass man das Klein Matterhorn künstlich grösser machte, als es ist, damit es in die Kategorie der 4000er fällt.

Unbegrenztes Unternehmertum?

 Da kann uns die Warnung vor der rastlosen Unternehmungsfreudigkeit des Homo sapiens in den Sinn kommen, eindrücklich auf den Punkt gebracht vom Chor in Sophokles’ «Antigone» schon über 400 Jahre vor Christus: «Ungeheuer ist viel und nichts ungeheurer als der Mensch.»

Gewiss, wo man viel anpackt, kann manchmal auch etwas danebengehen. Irrtümer gibt es immer, und Fehler kann man hinter sich lassen. Die Tendenz aber bleibt und produziert neue Irrtümer und Fehler. Lassen sich neue Fehler mit Hinweisen auf alte Fehler verhindern? Schnell wird die Vergleichbarkeit der Anschauungsfälle in Frage gestellt, doch vergleichen bedeutet ja nicht gleichsetzen.

Landeplatz im Naturdenkmal

Darum darf hier durchaus vom Heliskiing die Rede sein, das eine neue Form der Inbesitznahme der Bergwelt darstellt. Demnächst läuft in Bundesbern ein kleiner, aber essenzieller Streit um die Frage an, ob wir uns mit dem Etappensieg der Heli-Lobby abfinden wollen, der darin besteht, dass 15 der 42 aktiven Gebirgslandeplätze in Räumen liegen dürfen, die zum Bundesinventar geschützter Landschaften und Naturdenkmäler gehören – insbesondere auch der strittige Landeplatz Monte Rosa. Dieser Bundeshausentscheid kommt wie ein gegenläufiges Geschenk zum 100-Jahr-Jubiläum des 1914 geschaffenen Nationalparks.

Klar muss auch in der Heli-Frage – wie so oft – eine sogenannte Güterabwägung vorgenommen werden. Worin aber besteht diese? Ruhige und sanfte Begegnungen mit der Natur für eine breite Bevölkerung versus lärmige Inanspruchnahme der Umwelt durch ein paar privilegierte Jetset-Menschen? Wie man von Walliser Bergführern erklärt bekommt, seien solche Flüge wichtig für das Training und die Finanzierung von Rettungsflügen. Wer will schon etwas gegen Rettungsflüge sagen!

Eine Argumentation, die sich auf Menschen ausrichtet, die sich ungefragt und auch leichtsinnig in Gefahr begeben (was ja zum Gesamtbild gehört), muss aber nicht ohne Weiteres einleuchten. Das erwiderte ich dem Bergführer freilich nicht, als ich mit der Familie auf einer harmlosen Tour zur Monte-Rosa-Hütte war und die lärmigen Helikopter über mir hatte.

Auf Kosten der Allgemeinheit

Ebenfalls verschwiegen wird in der aktuellen Heli-Debatte, dass es doch primär ums Geld geht. Diese Flugdienste sind in gewissen Fällen sicher von lebenswichtiger Bedeutung, sie werden aber in aller erster Linie als gewinnorientierte Unternehmen betrieben und sind unter diesem Aspekt problematisch, wenn dieses Streben auf Kosten der Allgemeinheit geht.

Erfreulich ist, dass der Etappensieg des Heliskiings nicht einfach hingenommen wird und sich im Parlament etwas Widerstand regt (Interpellation von Nationalrätin Regula Rytz, Co-Präsidentin der Grünen) und dass die Naturschutzorganisation Mountain Wilderness eine Petition gestartet hat – wie anno 1907. Wenn an gewissen Flecken der Schweiz Natur geschützt wird, wie der von den Basler Naturforschern und Völkerkundlern Fritz und Paul Sarasin vorangetriebene Nationalpark, darf das kein Freipass sein, an anderen Orten rücksichtslos zu sein.

Die «Matterhorn-Problematik» besteht im weiteren Sinn auch andernorts. Und nicht nur dann, wenn Flachländler den Berglern, Städter den fast nicht vorhandenen Bauern mit ihrem grünen Idealismus das Leben schwer machen. Die lokale Herausforderung in Basel bestand kürzlich in der Frage, wie sich die Bevölkerung zum Grossbasler Rheinufer einstellen solle. Das Projekt eines «filigranen» Rheinuferwegs wurde mit einer erstaunlich deutlichen Mehrheit abgelehnt.

Die Heuwaage ist kein Matterhorn, dieser Unort kann schnell besser gemacht werden, als er jetzt ist.

Die Parole, dass dieses Ufer «allen gehört» und gerade darum für ein spezielles Nutzersegment eine Spaziergänger-Heimat werden solle, war erstaunlich widersprüchlich. Abgesehen davon, dass die Umwelt vor allem sich selber gehört, gehört sie niemandem oder dann nur allen, wenn sie so bleibt, wie sie jetzt eben ist. Umwelt ist in diesem Fall nicht die Natur, sondern ein gewachsenes Stadtbild, von dem man natürlich sagen kann, dass es doch sollte weiterwachsen dürfen. Dem Nutzungswachstum sind aber Grenzen zu setzen.

Letzte Woche rückte mit dem geplanten Basler Ozeanium, das bei der Basler Heuwaage realisiert werden soll, ein weiteres Projekt in den Blickpunkt.

Die Heuwaage ist kein schützenswertes Matterhorn, dieser Unort kann schnell besser gemacht werden, als er jetzt ist. Hier ist aber nicht die vorgesehene Platznutzung, sondern der Inhalt das Problem. Ein Inhalt, der aus den weiten Meeren nach Basel geholt wird, damit man ihn hier bestaunen und beobachten kann. Die Pinguine noch mehr, als es bisher im ansprechenden Terrarium schon möglich ist, auch von unten …

Der Inhalt ist das Problem

Hier zeigt sich wieder einmal die Zweideutigkeit des Begriffs des «Näherbringens». Das Ziel, den Menschen der Region sowie natürlich auch den dadurch in möglichst grosser Zahl angelockten Touristen, ein Stück Natur näherzubringen, erfordert, dass man dieser Natur auch in Basel eine neue «Heimat» gibt. Sicher wird man damit ein paar Menschen mehr erreichen als die Kleingruppe der Heliski-Fans.

Positiv ist gewiss die schützende Aufnahme von Lebewesen, die oft sehr unerfreulichen Lebensbedingungen ausgesetzt sind. Soll hier aber mit einer Art Einfang-Asylpolitik auf die Verfolgungen draussen in der Welt (hier: in den gefährdeten Ozeanen) hingewiesen werden?

Die Verantwortlichen haben bei der Präsentation ihres Projekts selber auf die problematische Seite des Unternehmens hingewiesen, wenn sie sagen, dass beim Siegerprojekt «Seacliff» weder Show noch Kommerz im Vordergrund stünden, sondern die «Expertise in Forschung und Bildung». Damit räumen sie zugleich aber auch ein, dass Show und Kommerz ebenfalls mitspielen können – einfach im Hintergrund.

Was aber, wenn der Hintergrund letztlich doch zur stärkeren Realität wird? Mindestens ist man sich der potenziellen Zweischneidigkeit bewusst. Angesichts des längeren Realisierungshorizonts steht noch etwas Zeit zur Verfügung, sich die Sache – das Ob und das Wie – gut zu überlegen.

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