Nur keine Aufregung: Der Bundesrat lasse sich seine Traktandenliste nicht von den Medien oder von «empörten Parlamentariern» vorschreiben, sagt Bundespräsident Ueli Maurer und will vorderhand nichts wegen des Abhörskandals unternehmen. Gleichzeitig taucht ein NSA-Dokument auf, in dem die Schweiz explizit als Kooperationspartner erwähnt ist.
Erschüttern lässt sich ein Ueli Maurer nicht. Diese «Veröffentlichungen», sagte Bundespräsident Maurer und malte dabei zwei imaginäre Anführungszeichen in die Luft des Konferenzsaals des Medienzentrums in Bern, diese «Veröffentlichungen» also würden ihn nicht wirklich überraschen. Man habe in den letzten Berichten des Nachrichtendienstes regelmässig darauf hingewiesen, dass die Spionagetätigkeit in der Schweiz zunehme – was auch den neuen technischen Mitteln geschuldet sei. «In der Schweiz wurde schon immer spioniert. Und in der Schweiz wird immer spioniert werden. Wir müssen die Aufregung etwas relativieren.»
Darin hat sich der Bundespräsident als wahrer Meister erwiesen. Als nach den ersten Enthüllungen von Edward Snowden, dem ehemaligen Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA, kritische Fragen des Parlaments an den Verteidigungsminister herangetragen wurden, da schlängelte sich Maurer elegant aus der Verantwortung und speiste die Fragesteller schriftlich ab. «Maurer entzieht sich der Debatte!», riefen die Linken aufgebracht und verkannten damit den Stoizismus des Verteidigungsministers.
«Es gibt keinen Grund, hysterisch zu reagieren»
Denn auch in Anbetracht aller neuen Tatsachen, der Abhörstation des amerikanischen Geheimdienstes in Genf etwa, dem angezapften Telefon von Angela Merkel oder – um es ganz generell zu halten – der totalen Überwachung des Internets durch die Amerikaner, sieht sich Maurer nicht zum Handeln genötigt. «Es gibt keinen Grund, so hysterisch wie die anderen zu reagieren.» Man werde sich der Sache pragmatisch widmen, die «Veröffentlichungen» abklären, schauen, ob sich das «erhärten» lasse und zum gegebenen Zeitpunkt die Öffentlichkeit informieren. Maurer wollte weder ausschliessen noch bestätigen, ob er den Geschäftsleiter der amerikanischen Botschaft (der Botschafterposten ist momentan vakant), einbestellen wird, wie das beispielsweise in Deutschland und Spanien geschehen ist, und wie es Politiker der Aussenpolitischen Kommission am Dienstag forderten. Maurer: «Wir lassen uns die Traktandenliste nicht von den Medien oder von empörten Parlamentariern diktieren.»
Diesen «empörten Parlamentariern» hatte Maurer allerdings noch eine gute Nachricht zu verkünden: «Wir haben keine Kontakte mit der NSA. Es werden und wurden keine Daten mit der NSA ausgetauscht. » Die Schweiz arbeite nur im Bereich des Terrorismus mit amerikanischen Geheimdiensten zusammen – und das unter Kontrolle der Geschäftsprüfungsdelegation. «Die Schweiz bespitzelt ihre Bürger nicht.»
Neues Dokument: «Focused Cooperation» mit der NSA
Etwas später wurden Zweifel an dieser Darstellung laut (und das nicht zum ersten Mal – siehe diesen Artikel in der «Schweiz am Sonntag»). Journalist Glenn Greenwald veröffentlichte am Mittwoch in der spanischen Zeitung «El Mundo» ein neues Dokument aus dem Bestand von Edward Snowden. Im klassifizierten Dokument mit dem Titel «Sharing computer network operations cryptologic information with foreign partners» wird die Schweiz in einer Liste von Länder erwähnt, mit denen die NSA eine «Focused Cooperation» habe. In der gleichen Kategorie («Tier B») sind auch Länder wie Deutschland, Italien oder Spanien aufgeführt – was für die Behauptung der NSA sprechen würde, dass die europäischen Dienste (etwa in Spanien) ihre eigenen Bürger abgehört und diese Daten mit der NSA geteilt hätten. Noch enger ist die Zusammenarbeit der NSA laut dem Dokument mit Grossbritannien, Australien, Neuseeland und Kanada. Diese vier Länder stehen in der Kategorie «Tier A» und sollen eine «Comprehensive Cooperation» (umfassende Zusammenarbeit) mit der NSA unterhalten.
Belgium, Iceland, the Netherlands and Switzerland are members of the „Tier B“ NSA partnership program. pic.twitter.com/GbJEbeR89B
— Frederic Jacobs (@FredericJacobs) October 30, 2013
Das Verteidigungsdepartement (VBS) beharrt auf der Darstellung von Bundespräsident Ueli Maurer. Zum Dokument selber äussere man sich nicht, sagt VBS-Sprecher Renato Kalbermatten. «Ich kann nur noch einmal wiederholen, was Fakt ist: Wir haben und hatten keine Zusammenarbeit mit der NSA und wir haben auch keine Daten mit der NSA ausgetauscht.»
Die Sicherheit der Mitbürger
Maurer nutzte die Aufmerksamkeit, um auch auf die Kritik am neuen Nachrichtendienstgesetz zu reagieren, dessen Vernehmlassung vor einer Woche abgeschlossen wurde und mit dem sich die Schweizer Spione mehr Kompetenzen ausbedingen möchten. Auf Kosten der Grundrechte, wie es in der Vernehmlassung hiess. Die Regierung Basel-Stadt warnte in ihrer Stellungnahme vor «schweren Eingriffen in die Grundrechte», von denen auch unbescholtene Bürger betroffen sein könnten. Für eine solche Kompetenzerweiterung fehle die verfassungsmässige Grundlage und damit die demokratische Legitimation. Das sieht Maurer anders. Es gehe einzig darum, die persönliche Privatsphäre und die persönliche Sicherheit der Mitbürger zu gewährleisten. «Wer jetzt vom Schnüffelstaat schreibt, der sollte auf unserer Website das Gesetz einmal richtig lesen.»
Damit endete Maurer. Und widmete sich, augenscheinlich sehr entspannt, dem eigentlichen Thema dieser Medienkonferenz. Das Verteidigungsdepartement erhält einen neuen Direktor für Bevölkerungsschutz.
Artikelgeschichte
Artikel nach Bekanntwerden des NSA-Dokuments aktualisiert sowie um eine zusätzliche Stellungnahme des VBS-Sprechers ergänzt.