Regula Rytz und Adèle Thorens bilden die neue Doppelspitze der Grünen Partei Schweiz. Das freut die Baselbieter Nationalrätin Maya Graf. In einem offenen Brief bringt sie ihre Hoffnungen und ihre Wünsche zum Ausdruck.
Liebe Grüne Delegierte
Maya Graf
Ihr habt einen weitsichtigen und guten Entscheid getroffen, mit einem Co-Präsidium von Adèle Thorens und Regula Rytz je eine Vertreterin der Romandie und der Deutschschweiz an unsere Grüne Parteispitze zu setzen. So werden nicht nur die beiden Sprachregionen, sondern auch zwei neue, unverbrauchte Persönlichkeiten die Möglichkeit haben, ihre Fähigkeiten und ihr Wissen der Grünen Politik für die nächsten zwei Jahre zur Verfügung zu stellen. Ihr Delegierte habt mit Eurem Entscheid für Aufbruch, Vielfalt und Kompetenz gesorgt.
Das ist dringend nötig, denn die Grünen Schweiz stehen vor entscheidenden Jahren! Dreissig Jahre nach ihrer Gründung sind die Grünen zu einer etablierte Partei geworden, die in neun Kantonen mitregiert, über Hundert kantonale Parlamentssitze innehat, viele grüne Richterinnen und Richter auf Kantons- und Bundesebene stellt, unzählige aktive grüne Mitglieder in Behörden auf Gemeindestufen hat und auf Bundesebene eine Partei ist, die das Ziel eines Wähleranteils von über 10 Prozent noch knacken muss, um endlich auch in der Landesregierung mitbestimmen zu können.
Liebes Co-Präsidium
Auf Euch und Eure frisch gewählten Vizepräsidentinnen und -Präsidenten warten spannende Herausforderungen. Die Grüne Partei ist mit dreissig Jahren nicht mehr jung und unbeschwert, sie ist nun im besten Erwachsenenalter und erfolgreich daran, sich verantwortungs- und lösungsorientiert im politischen System aufzustellen. Gleichzeitig muss Grüne Politik immer auch den gesellschaftlichen Bewegungen nahe sein. Sie muss etabliert und bewegt sein. Gerade als Bewegung bleibt sie attraktiv für junge und kreative Menschen und für Neuwählerinnen und Wähler. Wir brauchen das Gespür für Themen, wie sie die Occupy- , die Anonymous-, die Piraten-, die Anti-AKW- und die Frauen- und Männerbewegung diskutieren, die aktuell und gesellschaftlich wichtig sind und darum auch von uns behandelt werden müssen. Nur so kann sich die Partei ständig erneuern und verjüngen. Kein leichtes Unterfangen, liebes Präsidium, denn gleichzeitig gilt es den klassischen grünen Themen und unseren grünen Wählerinnen und Wähler treu zu bleiben. Adèle Thorens, unsere neue Co-Präsidentin, hat das treffend so gesagt: die Grüne Politik muss sich gleichzeitig als pragmatische wie visionäre Partei positionieren! Allez les Verts!
Eine weitere Herausforderung hat sich schmerzlich bei den nationalen Wahlen im letzten Herbst gezeigt: Wir Grüne kämpften unermüdlich auf allen Ebenen 30 Jahre lang gegen AKW und für eine alternative Energiepolitik. Als die Energiewende (leider nur «dank» der Katastrophe von Fukushima) von einer Mehrheit des Bundesrates und Parlamentes verstanden wurde, waren es nicht wir, die mit Sitzgewinnen belohnt wurden, sondern die neu gegründeten Parteien als Mehrheitsbeschaffer in der Mitte. Das ist eine bittere Pille, die uns zwar Bauchschmerzen bereitet, uns aber nicht schwächen und verbittern soll. Im Gegenteil, wir müssen daraus lernen. Die Bürgerinnen und Bürger vertrauen uns bei der Analyse der Probleme (und dies vorwiegend im Umweltbereich) in grösserem Masse als bei der Umsetzung der Problemlösungen. Das neue Co-Präsidium muss es also schaffen, unsere kompetent erarbeiteten Lösungsvorschläge und Umsetzungskonzepte für eine konsequent nachhaltige Entwicklung der Schweiz nicht nur mehrheitsfähig zu machen, sondern sie auch selbstbewusst und professionell zu kommunizieren.
Ich bin überzeugt, dass das neue Präsidium es schaffen wird, wenn wir sie alle dabei unterstützen. Und dazu habe ich eine grosse Bitte: Hören wir auf zu diskutieren, ob wir links oder rechts auf dem Wahlbarometer der Politologen stehen. (Denen würde, nebenbei gesagt, die baldige Erfindung einer neuen Messmethode gut anstehen. Eine, nach der die zentralen ökologischen Fragen anders als einfach nur «links» taxiert werden).
Es ist egal, wo wir auf der Politologen-Skala stehen, es ist aber nicht egal, wie wir aufgestellt sind. Unsere Partei funktioniert, wenn sie die Vielfalt an Meinungen, Fähigkeiten und Persönlichkeiten optimal einsetzen kann. Arbeiten wir mit Gleichgesinnten zusammen und messen wir uns an neuen Ideen, nicht an politischen Ausrichtungen. Denn gemeinsam bleibt das Ziel: uns einzusetzen für eine friedlichere und gerechtere Welt von heute und für eine Welt von morgen, die auch unseren Nachfahren ein würdiges Leben bietet. Ich bin überzeugt, dass wir mit der heutigen Präsidiumswahl in den nächsten Jahren wieder viel mehr Bürgerinnen und Bürger motivieren können, sich uns anzuschliessen, uns zu stärken und sich mit uns zu engagieren.