Die Gegner der Stadtrandentwicklungen wollen bestehende Wohnflächen verdichten. Doch damit allein lässt sich die Wohnungsnot nicht lindern.
Nach jahrzehntelanger Stadtflucht ist Basel als Wohnort wieder attraktiv. Das Bundesamt für Statistik rechnet in einem Maximalszenario mit einem Bevölkerungszuwachs um 14’000 Personen in den nächsten zehn Jahren (heute: 196’000 Personen). Für die Staatskasse ist dies eine schöne Prognose, für Wohnungssuchende jedoch weniger.
Die Lage auf dem Basler Wohnungsmarkt hat sich in den letzten Jahren massiv verschärft. Freie – und erst recht bezahlbare – Wohnungen sind in Basel Mangelware geworden. Die Quote der verfügbaren Wohnungen beträgt aktuell gerade noch 0,2 Prozent, das entspricht dem Niveau der Stadt Zürich. Waren 2013 noch 365 leere Mietwohnungen auf dem Markt, sind es momentan gerade mal 264, wie die neuste Leerstandserhebung vom August zeigt.
Nervosität vor der Abstimmung
400 bis 600 Wohnungen müssten gemäss der Abteilung Kantons- und Stadtentwicklung pro Jahr auf den Markt kommen, um die Nachfrage befriedigen zu können – im engen Stadtkanton eine kaum zu erreichende Ziffer. Das prophezeite Bevölkerungswachstum bringt die Stadtplaner in der Verwaltung denn auch an ihre Grenzen. Verzweifelt suchen sie nach bebaubaren Flächen für neuen Wohnraum – und sind im Süden und Osten der Stadt fündig geworden.
Am 28. September stimmt die Bevölkerung nun über die Stadtrandentwicklungen ab. Gemäss dem neuen Zonenplan soll im Osten der Stadt neben dem Rankhof eine Hochhaussiedlung (die auch Genossenschaftswohnungen umfasst) für 2000 Menschen und ein Landschaftspark entstehen. Im Süden auf dem Bruderholz sind Wohnungen für 250 Personen vorgesehen. Die Regierung und die Verwaltung versprechen sich viel von den Stadtrandentwicklungen. Bei einem Nein stünden sie vor einem Scherbenhaufen, entsprechend gross ist die Nervosität vor der Abstimmung.
Wo bleiben die Armen?
Die Grünen, BastA!, SVP und Umweltverbände können der Stadtrandentwicklung wenig abgewinnen – obwohl auch sie finden, dass es mehr Wohnungen in der Stadt brauche. Nur über das Wie scheiden sich die Geister.
Tonja Zürchers Partei, die BastA!, wirft der Regierung regelmässig vor, mit ihrer Planung nur die Interessen der Gutbetuchten und der Investoren befriedigen zu wollen. So wehrte sich ihre Partei vor einem Jahr bereits vehement gegen das vom Volk angenommene Wohnraumfördergesetz, das Wohngenossenschaften unter die Arme greift und den Abbruch von bestehenden Liegenschaften vereinfacht.
Auch dieses Mal sagt Co-Präsidentin Zürcher: «Es entstehen beim Rankhof und auf dem Bruderholz nicht günstige Wohnungen, sondern wieder mal teure. Es braucht jetzt aber dringend mehr Wohnungen für die untere Einkommensschicht.» Unter anderem deshalb sei die BastA! gegen die Stadtrandentwicklungen.
Den Grünen sind die Neubaupläne im Osten und Süden der Stadt aus ökologischen Gründen ein Dorn im Auge. Co-Präsidentin Mirjam Ballmer sagte unlängst in einem Interview mit der TagesWoche: «Zuerst soll das bestehende innere Potenzial ausgeschöpft werden, ehe man Grünflächen verbaut. Mit den bestehenden Zonen kann noch mehr herausgeholt werden.»
Zum Beispiel könnten bestehende Gebäude, wo die Zonenvorgaben noch nicht ausgeschöpft wurden, aufgestockt werden. «Ausserdem stehen in der Stadt heute schon viele Büroflächen leer. Auch in diesem Bereich gibt es noch viel Potenzial», so Ballmer.
Büroflächen umnutzen lohnt sich nicht
Gemäss einer vom Kanton in Auftrag gegebenen Studie können bis 2021 rund 400 bis 600 Wohnungen aus leer stehenden Büro- und Gewerbeflächen entstehen. Eine illusorische Zahl, wie Michel Molari, Präsident des Schweizerischen Verbands der Immobilienwirtschaft beider Basel, findet. «Ich halte das Potenzial für relativ klein, zumal ein solcher Umbau immer aufwendig und mit hohen Kosten verbunden ist.»
Für die Investoren würde sich eine solche Umnutzung in den allermeisten Fällen nicht lohnen. «Das rechnet sich nicht. Viele lassen das Büro dann lieber leer und hoffen, dass es doch noch irgendwann vermietet werden kann – was auch meistens geschieht. In einem grossen Portfolio macht ein solcher Mietzinsverlust nicht viel aus», sagt Molinari.
Durch Verdichtung fängt man hauptsächlich den steigenden Wohnflächenbedarf auf.
Die Gegner sehen die innere Verdichtung als Allheilmittel im Kampf gegen die Stadtrandenwicklungen. Jürg Degen, Leiter im Planungsamt des Baudepartements, bestreitet nicht, dass Potenzial in diesem Bereich besteht. Allerdings würde man dieses massiv überschätzen: «Basel Stadt ist verglichen mit anderen Städten schon dichter bebaut. Das Potenzial des bestehenden Zonenplans wird zu 85 Prozent ausgeschöpft, in Zürich sind es trotz hoher Bautätigkeit nur 75 Prozent.» Ausserdem hätten Auswertungen für Basel ergeben, dass pro Jahrzehnt nur gerade acht Prozent der vorhandenen Verdichtungspotenziale auch tatsächlich genutzt würden.
Potenzial für Verdichtung im Bestand sieht Jürg Degen vor allem bei grossen Genossenschaftsarealen und Aufstockungen in den Quartieren Hirzbrunnen und Lehenmatt. «Theoretisch wären auch Verdichtungen auf dem Bruderholz oder im Neubad möglich, würden aber wegen der kleinteiligen Parzellenstruktur und der unterschiedlichen Eigentümerinteressen zu keinem namhaften Beitrag an neuen Wohnungen führen», sagt Degen. Kaum etwas herausholen könne man in den bereits dichtbesiedelten Quartieren St. Johann, Gundeli oder Matthäus.
Umbauten vernichten günstigen Wohnraum
Im Baudepartement geht man davon aus, dass mit Aufzonung, Umnutzung von Büroliegenschaften oder beschlossenen Arealentwicklungen (Erlenmatt oder Schoren) bis 2030 ein Verdichtungspotenzial für 8000 Einwohner besteht. Dies reicht allerdings nicht aus, um das prognostizierte Bevölkerungswachstum aufzufangen. Zumal der Wohnflächenbedarf pro Person weiterhin steigt. Lag dieser 1980 pro Kopf noch bei 36 Quadratmetern, sollen es bis 2030 bereits 49 Quadratmeter sein. Durch Verdichtung fängt man also hauptsächlich den steigenden Wohnflächenbedarf auf (siehe Grafik).
Kommt hinzu: «Häufig wird der Dachstock ausgebaut, um den eigenen Wohnkomfort zu steigern und nicht um eine zusätzliche Wohnung zu schaffen», sagt Degen. Und entscheidet sich ein Liegenschaftsbesitzer mal für eine Aufstockung, Wohnungszusammenlegung oder für einen Ersatzneubau, wird gleichzeitig auch günstiger Wohnraum vernichtet. So wie im Wettsteinquartier, wo sich die Mieterinnen und Mieter der Häuserzeile am Burgweg 4 bis 14 mit freundlicher Unterstützung des Mieterverbandes seit Längerem gegen die umfassenden Sanierungs- und Umbaupläne der Basellandschaftlichen Pensionskasse wehren.
Kerstin Wenk, Grossrätin der SP, kämpft an vorderster Front für die Stadtrandentwicklungen. Sie sagt: «Gerade wenn man günstigen Wohnraum erhalten will, sollte man für die Stadtrandentwicklungen sein. Denn ein grösseres Angebot sorgt für weniger Druck auf die bestehenden Wohnungen.»
Artikelgeschichte
Ursprünglich stand im ersten Absatz des Textes «Maximalszenario», das war ein Fehler und ist auf «Mittlerenszenario» korrigiert am 5. September 2014.