Merz und der Milliarden-Schaden

Die «Unternehmenssteuerreform II», die der FDP-Bundesrat Hans Rudolf Merz 2008 durch die Volksabstimmung gemogelt hat, beschert reichen Grossaktionären inzwischen Milliarden-Geschenke. Jetzt zeigt sich: Merz wusste, was er tat.

Alt Bundesrat Hans-Rudolf Merz (Archiv) (Bild: sda)

Die «Unternehmenssteuerreform II», die der FDP-Bundesrat Hans Rudolf Merz 2008 durch die Volksabstimmung gemogelt hat, beschert reichen Grossaktionären inzwischen Milliarden-Geschenke. Jetzt zeigt sich: Merz wusste, was er tat.

Der Schwindel ist längst aufgeflogen. Selbst das Bundesgericht hat festgehalten, das Schweizer Volk sei bei der Abstimmung über die «Unternehmenssteuerreform II (USTR II)» am 24. Februar 2008 entscheidend getäuscht worden. Im Abstimmungskampf hatte der freisinnige Schweizer Finanzminister Hans Rudolf Merz damals wiederholt behauptet, seine Reform bringe eine Entlastung «für die kleinen und mittleren Unternehmen – für all die Tausenden von Malern, Apothekern, Garagisten, Floristen, Metzgern.» Dass seine Reform vor allem Geschenke an Grossaktionäre ermöglichen werde, nannte Merz «dummes Geschwätz».

Merz: «Keine Zahlen zu den Ausfällen»

Heute steht fest, dass die USTR II vorab Grossaktionären steuerfreie Einkünfte im Ausmass von insgesamt mehreren hundert Milliarden Franken beschert. Dem Bund, Kantonen und Gemeinden entgehen dadurch dutzende Milliarden an Einnahmen – ausgerechnet von jenen Leuten, die es am besten verkraften könnten. Sogar der Boss der umstrittenen Rohstofffirma Glencore Ivan Glasenberg soll dank USTR II über 100 Millionen Dollars an Dividenden steuerfrei einkassiert haben.

Merz spielt den Unwissenden: «Ich hatte keine Zahlen zu den Ausfällen», zitierte ihn der «Blick» noch am vergangenen 26. Juni: «Ich habe nicht gelogen.»  Doch schon das ist eine Lüge: Im Abstimmungskampf hatte der freisinnig Finanzminister sehr wohl sehr konkrete und sehr falsche Zahlen genannt: In der bundesrätlichen Vorlage vom 22. Juni 2005 bezifferte er die «Mindereinnahmen» beim Bund auf «40 Millionen Franken» und «bei den Kantonen auf 460 Millionen». Im Abstimmungsbüchlein rechnete Merz dann schon 84 Millionen Mindereinnahmen beim Bund und bei den Kantonen «maximal» 850 Millionen vor. Er behauptete aber auch keck: «Langfristig könnten die Einnahmen des Bundes sogar höher ausfallen.» Konkret meinte er um 55 Millionen Franken. Als ihm SP-Chef Christian Levrat damals vorwarf, er verheimliche entscheidende Fakten, beharrte Merz öffentlich auf seiner Darstellung: Seine Zahlen zu korrigieren gebe es «keinen Grund».

Merz schädigt auch die AHV

Inzwischen sind der Eidgenössischen Steuerverwaltung fast 900 Milliarden an steuerfreien «Ausschüttungsreserven» gemeldet worden. Fachleute schätzen, dass die Zahlen zu Steuergeschenken und Ausfällen, mit denen Merz 2008 die Abstimmung hauchdünn (mit 50,5% Ja) gewonnen hat, 20 bis 30 mal zu tief waren. Schleierhaft bleibt, warum das Bundesgericht zwar diese Irreführung des Volks in der USTR-Abstimmung feststellte – den ganzen Schwindel aber dennoch nicht kassiert hat.

Und damit nicht genug: Auch bei den Folgen seiner USTR-II-Vorlage für die AHV schummelte Merz 2008 massiv: Es «könnten» sich kurzfristig AHV-Mindereinnahmen «von 86 bis 130 Millionen Franken ergeben» räumte er im Abstimmungsbüchlein zwar ein. Aber er bluffte auch da: «Langfristig dürften den Sozialwerken dagegen wegen der zu erwartenden Wachstumseffekte dauerhaft Mehrerträge von 23 – 67 Millionen Franken zufliessen.»

Alles falsch: Die «Handelszeitung» rechnet jetzt vor, dass die USTR-Ausfälle bei der AHV mehrere hundert Millionen im Jahr ausmachen. Wie das geht, demonstriert der Fall eines Architekten aus Obwalden: Der Mann zahlte sich nur einen Jahreslohn von 44 000 Franken aus. Doch an der AHV und allen anderen Sozialabgaben vorbei kassierte er zusätzlich eine jährliche Dividende von 160 000 Franken. Und diese dank Merz und seiner USTR II erst noch zum auf 60 Prozent reduzierten Steuersatz.

Vorsätzliche Täuschung?

Dass die Schweizer Bevölkerung mit der USTR II objektiv irregeführt worden ist, bezweifelt inzwischen niemand mehr. Merz jammert gegenüber dem «Blick» jedoch, das sei nicht seine Schuld. Schuld sei vielmehr sein damaliger Direktor der Steuerverwaltung, Urs Ursprung. Dieser habe ihn über die verheerenden Folgen der Schlupflöcher in der USTR-Vorlage im Unklaren gelassen – und auch den Ständerat nicht genügend informiert.

Diese Darstellung bezweifelt in der neusten Ausgabe des «Bund» der prominente SP-Politiker und ehemalige Preisüberwacher Rudolf Strahm: «Die kompetentesten Chefbeamten in der eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) hatten Merz intern darauf aufmerksam gemacht, dass das neue Kapitaleinlageprinzip die Steuersystematik krass verletzt», berichtet Strahm. Darauf sei das Dossier dem kompetenten stellvertretenden Direktor der ESTV Samuel Tanner «entzogen und an ESTV-Direktor Urs Ursprung übergeben worden». Strahm zieht daraus den Schluss: «Hans-Rudolf Merz hat das Parlament, die Kantone und die Stimmbürger in Kenntnis der Vorbehalte seines Amtes in die Irre geführt.» Juristisch wäre das eine vorsätzliche Täuschung.

Departement dementiert – Strahm insistiert

Urs Ursprung ist inzwischen wegen gravierender Misswirtschaft im EDV-Bereich als Chef ESTV entlassen worden. Samuel Tanner, der die Finanzverwaltung interimistisch führt, war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Doch die zuständige Pressestelle im Departement Widmer-Schlumpf dementierte an Tanners Statt Strahms Darstellung umgehend.

Strahm lässt sich dadurch nicht beirren: «Ich habe genügend Insider-Kenntnisse in dieser Sache», sagt er auf Anfrage. «Ich halte an meiner Darstellung fest!»

 

 

Quellen

Dossier des «Tages-Anzeiger» über Urs Ursprung

Auch der «Blick» hat sich der Geschichte angenommen

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