Derya Sahin ist mit 25 bereits Richterin am Basler Strafgericht. Ihr Migrationshintergrund sei in diesem Amt ein Vorteil, sagt die Juristin.
In der Welt von Derya Sahin gibt es keinen Platz für Eventualitäten, das Wort Planlosigkeit existiert für sie nicht. Schon als Kind stand für sie fest, dass sie eines Tages Anwältin werden möchte. Und an diesem Ziel arbeitet sie hartnäckig und erfolgreich: Vergangene Woche wurde Sahin (SP) von der Basler Regierung zur ordentlichen Richterin am Strafgericht gewählt – mit gerade 25 Jahren.
Für Sahin ist ihr junges Alter nicht gross der Rede wert. «Ich habe ziemlich Gas gegeben mit meinem Jus-Studium. Durchschnittlich hat man für den Bachelor und Master etwa sechs Jahre, ich habe es in fünf gemacht», sagt sie, ohne überheblich zu klingen. Sahin hat ihr Studium vor einem Jahr nicht nur zügig abgeschlossen, sondern mit der Note 6 auch exzellent.
Dass sie sich parteiintern um die Stelle am Strafgericht beworben hat, begründet Sahin, die in der Schweiz geboren wurde und bis zum Alter von fünf Jahren in der Türkei lebte, mit ihrem Gerechtigkeitssinn. «Ich glaube an Gerechtigkeit und daran, dass der Staat diese mit den Mitteln, über die er verfügt, gewährleisten kann. Ausserdem bin ich eine Person, die Herausforderungen mag, gerne analysiert und argumentiert.»
Staatsanwältin ist das Ziel
Ab November wird Derya Sahin nebenberuflich als Richterin amten. Ihr Migrationshintergrund sei ein Vorteil, sagt sie. Ihre Abstammung könne ihr bei der Einschätzung der Beschuldigten eine Hilfe sein, zum Beispiel, wenn es darum gehe, inwiefern der kulturelle Druck bei einem Delikt eine Rolle gespielt habe. «Es schadet sicher nicht, wenn ich beide Kulturen kenne. Ich weiss, wie Schweizer funktionieren – aber auch, wie Türken, Kurden oder Leute aus dem Balkan ticken.»
Zudem könne ihre Tätigkeit am Strafgericht sich auch positiv auf Jugendliche mit Migrationshintergrund auswirken: «Man kann es weit schaffen, wenn man dafür kämpft – auch wenn man als Ausländer ein bisschen benachteiligt ist.» Sprachlich benachteiligt habe auch sie sich hin und wieder gefühlt. So habe sie bis zwölf Schwierigkeiten mit Deutsch gehabt, weil zu Hause nur Türkisch gesprochen wurde.
Wie ihre Zukunft aussehen soll, weiss Derya Sahin, die im Kleinbasel lebt und 2012 für die SP für den Grossen Rat kandidierte, ganz genau: Sie will Staatsanwältin werden. Momentan macht sie ein Praktikum bei der Bundesanwaltschaft in Bern, anschliessend will sie für die Anwaltsprüfung lernen, ab 2016 die Staatsanwaltschaft-Akademie in Nebenausbildung absolvieren und eine Doktorarbeit schreiben.
Plan B als Detektivin
Sahin stammt aus einer Karate-Familie. Ihr Vater betreibt fünf Karateclubs, ihr älterer Bruder ist Welt- und Europameister, und auch sie macht Karate, seit sie sieben Jahre alt ist. «Dort lernt man diszipliniert und zielstrebig zu sein.»
Sollte alles schief gehen in ihrer Karriere, was nicht anzunehmen ist, hat Sahin immer noch einen Plan B: Neben ihrem Jus-Studium absolvierte sie «im Sinne einer zusätzlichen beruflichen Qualifikation» einen Privatdetektivkurs. Erste Erfahrungen hat sie in diesem Bereich bereits gesammelt, beispielsweise beobachte sie die Partner ihrer Freundinnen – und wurde teilweise auch fündig. «Ich habe dann beschlossen, mit solchen Observationen aufzuhören, weil man mit Sachen rausrücken muss, die man den Freundinnen eigentlich lieber nicht erzählen möchte.»
Nach den privaten Aufträgen arbeitete Sahin eine Weile als Ladendetektivin im Manor. «Das war sehr lustig, zumal ich nicht wie eine klassische Sicherheitsangestellte aussehe und die Leute immer wieder von mir überrascht wurden. Detektivin bin ich geworden, weil ich Action liebe», sagt Sahin und lacht.
Die ordentlichen und nebenamtlichen Richterinnen und Richter des Strafgerichts werden von den Basler Stimmberechtigten gewählt. Es gilt das Majorzverfahren. Alle im Kanton Stimmberechtigten sind in die Gerichte wählbar. Für die Gerichte und die Ombudsstelle beträgt die Amtsdauer sechs Jahre. Die Parteien schlagen ihre Kandidaten für das Strafgericht vor. Es kann auch zu stillen Wahlen kommen – so geschehen bei Derya Sahin, weil jemand von der SP zurückgetreten ist.
Die Wahlen haben in der Vergangenheit allerdings keine «grosse Begeisterung und Beteiligung ausgelöst», wie Justizidirektor Baschi Dürr es gegenüber der BaZ formulierte. Das neue Gerichtsorganisationsgesetz sieht deshalb vor, dass sowohl Richter wie auch Ersatzrichter neu vom Grossen Rat gewählt werden. Zu berücksichtigen hat das Parlament bei der Wahl der Richter künftig neben fachlicher Eignung auch zeitliche Verfügbarkeit sowie das Geschlecht, letzteres aber ohne Quote. In Kraft treten soll das Gesetz per Juli 2016.