Die Bewohner der Innenstadt bemängeln das einseitige Angebot der Läden. Die TagesWoche hat den Geschäftsführer von Pro Innerstadt zum Spaziergang durch die meistkritisierte Strasse der Innenstadt getroffen.
Die Freie Strasse gehört nicht zu den liebsten Orten der Baslerinnen und Basler. Das wissen wir nicht erst seit der «Nutzerstudie Innenstadt», aber spätestens seit dieser ist es belegt. Die Shoppingstrasse ist ein Unort. Das hat sich auch am Samstag am Stand der TagesWoche im Gespräch mit Leserinnen und Lesern bestätigt: Das Angebot in der Innenstadt ist zu einseitig. Der perfekte Ort also für einen Spaziergang mit Mathias F. Böhm von Pro Innerstadt, dem Verein, der dafür zuständig ist, dass «die Basler City als attraktivstes und grösstes Einkaufs-, Handels- und Dienstleistungszentrum der Region» erhalten und gefördert wird, wie Pro Innerstadt auf ihrer Website selbst schreibt.
Böhm spricht leise, fast flüsternd. Seine erste Antwort ist kaum zu hören, als unser Spaziergang oben an der Freien Strasse beginnt. Es ist 9 Uhr morgens – Anlieferzeit. Ein Lieferwagen nach dem anderen fährt die Freie Strasse hinab. «Ich muss vorwegschicken, dass ich sehr ungern nur über die Freie Strasse spreche.» Die Stadt sei in der Vergangenheit oft nur auf die «Freien» reduziert worden. Die Innenstadt bestehe aus mehr als nur der Freien Strasse.
In seinem blauen Blazer, dem passenden hellblau-weiss gestreiften Hemd und den Jeans verkörpert der Geschäftsführer von Pro Innerstadt all das, was dieser Strasse fehlt. Sie ist nicht trendy, nicht stilvoll. Sie ist eine Shoppingstrasse, wie es sie in jeder Stadt gibt. Böhm weiss das. Es hat ihn auch nicht erstaunt, dass am Samstag bei unserer Standaktion viele das Angebot in der Innenstadt kritisiert haben: «Mit der Freien Strasse ist niemand wirklich glücklich.»
Was die Baslerinnen und Basler an der «Freien» stört, wissen wir. Wieso gefällt Sie Ihnen nicht?
«Einerseits ist da die Gestaltung. Sehen Sie sich doch die Erhöhungen an. Sie machen die bereits sehr schmale Strasse noch schmaler. Wer aber läuft auf dem Trottoir? Ausser uns, die wegen den Anlieferungen hier oben gehen, kaum jemand. Und das ist richtig, eine Stadt soll genutzt werden. Ein weiterer Punkt ist die Beleuchtung: Bisher wird die Strasse einfach von oben beleuchtet. Mit indirekten Strahlern, die die schönen Zunfthäuser hervorheben, gewinnen wir nicht nur Raum, sondern auch Orientierung. Und auch der Bodenbelag wird sich ändern. Dann brauchen wir auch richtige Sitzgelegenheiten, nicht nur da und dort ein Bänkchen.»
Böhm bleibt an der Bäumleingasse stehen, zeigt auf den Baum an der Kreuzung. «Die Strasse braucht auch Grünpunkte. Der einzige ist dieser Baum hier.» Am Angebot in den Schaufenstern ändert das freilich nichts. Es sind die gleichen wie in Madrid, Mailand oder München. Darauf könne keine Stadt der Welt Einfluss nehmen, erwidert Böhm.
«Das ist eine Folge der Globalisierung. Es ist aber auch nicht in allen Strassen so. Hier in der Freien werden die Grossketten wohl immer dominieren, weil es zu interessant ist für die Marken. Das hat aber auch eine positive Seite: Wieso sind wir immer nach London gegangen? Weil es den GAP gab, French Connection, Läden, die man sonst nirgends fand, aber auch gerade wegen starken Marken, die in solchen Städten immer präsent sind. Ich bin noch immer der Überzeugung, dass Läden wie der New Yorker oder H&M mit Abstand die meisten Kunden anziehen.»
Einen H&M gibt es in jedem Shoppingcenter, wo die Kunden bequem hinfahren können.
Aber die Stadt hat eben mehr zu bieten als nur die Geschäfte. Die Stadt ist vielfältiger, weil es mehr Platz hat für Läden. Vor allem aber hat sie eine andere Atmosphäre. In die Stadt gehst du, weil du Leute sehen, treffen und dich mit ihnen unterhalten willst. Die Stadt bietet eine ganz andere Atmosphäre. Und erst noch an der frischen Luft.
Haben Sie denn gar keine Möglichkeiten, das Angebot in der Innenstadt zu beeinflussen?
Wir sind dran. Es gibt immer noch relativ viele Gebäude, die Baslern gehören, und mit denen versuchen wir Lösungen zu finden, damit nicht einfach die meistbietenden Läden einziehen. Wir probieren auch, Konzepte in die Hand zu geben. Etwa wie man die Flächen im Sous-sol besser nutzen könnte. Das braucht aber alles Zeit. Wir versuchen auch, wenn ein Laden frei wird, einen Mieter zu bringen, damit es mehr Vielfalt gibt.
Böhm wirkt überzeugt von dem, was er sagt. Er hat den Job als Geschäftsführer von Pro Innerstadt vor sieben Monaten übernommen, sein Optimismus scheint noch ungebrochen. Er scheint für alles eine Lösung zu haben oder zumindest eine Antwort. Nur zwischen Fossil und Pfauen stoppt er einmal und überlegt. Wieso es überhaupt soweit gekommen ist, dass die grossen Ketten mit ihren Schuh- und Kleidergeschäften die Freie Strasse dominieren, dafür hat auch Böhm nicht sofort eine Erklärung.
«Es ist schwierig zu sagen, warum es so ist. Sicher ist: Wenn Ihnen so ein Haus gehört und Sie verkaufen es an eine Versicherung, Pensionskasse, Immobilienfirma oder was auch immer, dann wird der neue Eigentümer eine möglichst hohe Rendite erzielen wollen. Sie holen sich also den, der am meisten bezahlt.»
Oft, sagt Böhm, werde auch Schlüsselgeld geboten. Er betont den Satz nicht, blickt auch nicht weg, sondern sagt ihn wie nebenbei. So, als ob es nichts Aussergewöhnliches wäre, dass langjährige Mieter mit solchen Zahlungen dazu gebracht werden, ihre laufenden Mietverträge aufzugeben und Platz zu machen für neue, besser zahlende Mieter. Was vor allem geschieht, wenn die Nachfrage an Ladenflächen grösser ist, als das Angebot. Böhm weiss das und macht keinen Hehl daraus:
«Das Ganze ist eine Spirale von Angebot und Nachfrage, in der die Preise nach oben gehen. Wir versuchen, den Leuten langfristige Projekte statt kurzfristiger Rendite schmackhaft zu machen. Wir sind aber keine Shoppingcenter-Manager, die entscheiden können: Den Laden wollen wir, den nicht. Wir können auch nicht verhindern, dass Ladenflächen leer stehen, weil die Eigentümer auf das Geschäft warten, das ihnen die Wunschrendite bringt. Aber das ist nicht nur in Basel so, sondern überall. Es ist ein globales Problem.»
Gibt es unter diesen Umständen überhaupt einen Weg, der «Freien» Basler Flair zu verpassen, ein Unterscheidungsmerkmal zur Einkaufsstrasse in Freiburg oder sonstwo?
«Wenn wir gestalterische Akzente setzen – und das heisst nicht, dass wir rosaroten Belag legen müssen, aber so gestalten, dass die Leute sehen, das ist Basel – könnte so ein einzigartiges Flair entstehen. Wir müssen einen hochwertigen Charakter, einen eigenen Stil und eine Andersartigkeit reinbringen. Das hätte auch einen positiven Einfluss auf das Gebiet um die Freie Strasse herum. Dass dann andere Marken als die Grossen angelockt werden, ist nicht anzunehmen. Die Freie Strasse bleibt unsere Shoppingstrasse, die es in jeder Stadt gibt. Aber es gibt ja andere Strassen, bei denen es durchaus einfacher ist für kleine und trendige Geschäfte.»
Sie sprechen vom Paradebeispiel Spalenberg. Aber reicht ein solcher Ort in Basel?
«Ich stelle Ihnen gerne die Gegenfrage: Wäre der Spalenberg so wie er ist, wenn all die innovativen und kleinen Geschäfte an der Freien Strasse Platz hätten? Höchstwahrscheinlich nicht. Als wir noch jung waren, war der Spalenberg nicht so hip wie heute. Er ist zu unserem Kreis 4 oder Niederdörfli geworden. Es hat trendige Läden mit guten Konzepten. Natürlich reicht der Spalenberg nicht, aber ich glaube, es entwickelt sich immer mehr. Schauen Sie sich doch die Feldbergstrasse an, ist doch sehr spannend, was sich da entwickelt. Oder die Güterstrasse.»
Unser Spaziergang ist fast zu Ende. Schuh-, Kleider-, noch mehr Kleider- und noch mehr Schuhgeschäfte haben wir hinter uns gelassen, als wir zum Comino kommen. «Restaurants haben es nicht einfach», sagt Böhm, «das Comino versucht es, aber es gelingt nur halb. Sie müssen mit Ebenen arbeiten und das ist nicht optimal.» Böhm macht jene Handbewegung, die er während unseren gemeinsamen 20 Minuten oft macht: Er zeigt den Höhenunterschied zwischen Strasse und Gehweg. «Aber das könnte – und wird sich – mit der Anpassung ändern. Dann haben auch Restaurants mehr Fläche und mehr Möglichkeiten. Wir hätten gerne mehr Restaurants.»
Gibt es Anliegen von Pro Innerstadt an die Politik oder die Stadt?
Für mich gibt es zwei Seiten: die Verwaltung und die Politik. Mit der Verwaltung haben wir eine gute Beziehung. Ich würde mir wünschen, dass die positiven Erfahrungen aus meinen ersten sieben Monaten weitergehen. Bei der Politik erwarte ich, dass die Politiker ihren Wissensstand erhöhen, mehr das Gesamte anschauen und nicht Einzelheiten – und vielleicht das eigene Image und Ideologie etwas mehr in den Hintergrund stellen. Ich glaube, teilweise stehen Personen gewissen Entwicklungen im Wege.
Wünschen Sie sich mehr Parkplätze?
Wir wollen nicht, dass es weniger Parkplätze gibt als jetzt, aber es braucht auch nicht viel mehr. Das Parkhaus würden wir gerne haben und das sieht gut aus. Die Diskussion um mehr Autos oder Velos, dass ist für mich kein Thema. Das gesamte Angebot ist entscheidend. Ja, ich will einen guten Öffentlichen Verkehr. Ja, ich will genügend Parkplätze. Aber ich will auch Velos, wir diskutieren bei der Gestaltung auch diesen Punkt. Wo sollen Velos in Zukunft abgestellt werden? Wie können wir genügend Parkplätze schaffen, schönere als jetzt? Ich glaube, genau darum geht es. Lösungen suchen. Ich fahre Auto, Velo und ÖV, und das tun viele von uns.
Wer Böhm zuhört, merkt schnell: Viel wichtiger als Parkplätze scheint für Pro Innerstadt die Weiterentwicklung der Freien Strasse – die Umgestaltung. Bis wann damit zu rechnen ist, darüber schweigen sich sowohl das Baudepartement als auch Pro Innerstadt aus. Mit einem ganz einfachen Grund, wie Böhm mit einem Schmunzeln erzählt:
«Wenn ich mit Leuten spreche, die früher bei Pro Innerstadt waren oder seit langem hier einen Laden betreiben, und sage, es gibt eine neue Freie Strasse, dann lachen die mich aus. Die glauben das nicht. Die haben so viele negative Bescheide erhalten, dass sie komplett desillusioniert sind. Entscheidend ist für uns, dass die Umgestaltung kommt und das die Freie Strasse das erste Projekt wird.»
Ob die Freie Strasse sich dann in die Richtung entwickelt, von der Pro Innerstadt träumt, wird sich zeigen. Wie es in zehn Jahren aussehen sollte, weiss Böhm bereits heute genau: Er wünscht sich ein vielseitiges Angebot, einen Ort an dem man verweilen kann, sich wohlfühlt. Einen Ort mit alteingesessenen Marken wie Kost, neuen starken Marken und Restaurants. Es soll ein lebhafter Ort sein, aber kompatibel mit den Ansprüchen der Anwohnern. «Vor allem aber», sagt Böhm, «soll die Stadt am Abend nicht einfach abgestellt sein. Sie muss leben.»
Sie haben Ihren Optimismus nicht verloren. Hätten Sie sich den Job als Geschäftsführer von Pro Innerstadt nicht einfacher vorgestellt?
Solche Überlegungen mache ich mir nicht. Ich hätte den Job nicht übernommen, wenn ich nicht daran geglaubt hätte, dass ich etwas verändern kann. Und so lange das der Fall ist, gibt es auch keinen Grund, den Optimismus zu verlieren.
Dann muss Mathias F. Böhm weiter. «Basilisk» wartet. Der Radiosender will wissen, warum die ehemalige Botty-Filiale seit Monaten eine Baustelle ist …
Mathias F. Böhm ist seit dem 1. Januar 2012 hauptamtlich Geschäftsführer von Pro Innerstadt Basel. Die Funktion wurde nach einer Umorganisation des Vereins neu geschaffen. Der 36-Jährige war zuvor Vize-Präsident der innenstädtischen Detailhändlervereinigung. Er lebt in Biel-Benken.