Sie wollen alle in die Schweiz, missbrauchen unsere Gutmütigkeit und sind sowieso kriminell. Vorurteile gegen Flüchtlinge sind nicht nur in den sozialen Medien, sondern auch an Stammtischen oder Grillpartys hoch im Kurs. Wir liefern Ihnen Fakten und Argumente.
Mit dem Facebook-Post von Christoph Mörgeli oder dem Kommentar des nun nicht mehr Medienverantwortlichen der SVP Tessin hat die Verlautbarung von Vorurteilen über Flüchtlinge in der Schweiz eine neue Dimension der Aggressivität erreicht. Deutsche Medien wie die «Süddeutsche Zeitung», «Zeit Online» oder auch Fernsehanstalten wie das ZDF oder die ARD stellen den fremdenfeindlichen Kommentaren Zahlen und Fakten entgegen.
Für die Schweiz hat «Watson» Antworten auf zehn falsche Facebook-Kommentare zusammengestellt. Wir haben aus dieser Fülle von Argumenten gegen die Vorurteile die wichtigsten vier herausgepickt und mit Zahlen für die Schweiz untermauert.
Direkt zu den einzelnen Vorurteilen gegenüber Flüchtlingen:
- Das sind alles Wirtschaftsflüchtlinge
- Die sind alle kriminell
- Alle wollen in die Schweiz
- Die vielen Flüchtlinge sind ein grosses Problem
- Wer nicht lesen mag: Spiegel Online widerlegt in einem Video fünf Vorurteile.
«Das sind alles Wirtschaftsflüchtlinge»
Der ökonomische Vorwurf wird in der Flüchtlingsdebatte immer wieder gern erhoben. Doch: Die Zuwanderung aus rein ökonomischen Motiven ist in der Schweiz nicht möglich.
Flüchtlinge, die in der Schweiz Asyl erhalten wollen, müssen gemäss Asylgesetz Artikel 3 belegen, dass sie «in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind».
Der Vorwurf «Wirtschaftsflüchtling» wird letztlich durch die Schutzquote entkräftet, wie die Asylkoordinatorin Basel-Stadt, Renata Gäumann, erklärt: «Die seit Monaten hohe Schutzquote belegt, dass der Grossteil der Gesuchstellenden schutzbedürftig ist und entweder als Flüchtlinge anerkannt oder vorläufig aufgenommen wird.» Die Schutzquote lag im ersten Halbjahr 2015 bei über 60 Prozent.
Mehr dazu bei der «Süddeutschen Zeitung»: Die meisten Asylbewerber sind keine Wirtschaftsflüchtlinge.
«Die sind alle kriminell»
Die Ausländerkriminalität hat in der Schweiz im Jahr 2014 abgenommen. In 41’582 Fällen von insgesamt 79’069 wurden Ausländer eines Delikts beschuldigt. Nur vier Prozent der Ausländer stammten aus dem Asylbereich. Zudem betrifft ein Grossteil der Anzeigen gegen Asylsuchende ihren Aufenthaltsstatus und nicht etwa Gewaltdelikte.
Aktuelle Zahlen des Bundesamts für Statistik belegen: Die Zahl der Beschuldigten aus dem Asylbereich erreichte im Jahr 2014 den tiefsten Stand seit 2009. Im Vergleich zum Jahr 2013 ging die Anzahl Beschuldigter um mehr als 30 Prozent (minus 1400 Beschuldigte) zurück.
«Alle wollen in die Schweiz»
Längst nicht alle Einwanderer kommen in die Schweiz. Im europäischen Ranking der Anzahl Asylbewerber auf eine Million Einwohner liegt die Schweiz hinter Ungarn, Schweden, Österreich, Deutschland und Malta auf Platz sechs mit 507 Asylbewerbern pro Million Einwohner.
Es stimmt nicht einmal, dass die meisten Flüchtlinge nach Europa kommen. Gerade im Fall von Syrien tragen die Nachbarländer die grösste Last, wie Zahlen des Flüchtlingshilfswerks UNHCR belegen. Wegen des Kriegs verliessen fast drei Millionen Menschen ihr Land, lediglich vier Prozent davon suchten den Weg nach Europa. Fast zehn Mal so viele Menschen gingen ins Nachbarland Libanon.
Mehr Zahlen hat «The Globe and Mail»: Warum die Migrationskrise nicht so ist, wie man denkt.
«Die vielen Flüchtlinge sind ein grosses Problem»
«Zweifellos stellt die ausserordentliche Asylsituation in Europa auch die Schweiz vor grosse Herausforderungen», sagt Renata Gäumann von der Asylkoordination. Sie verweist aber auf die Worte von William Lacy Swing, Generalsekretär der Internationalen Organisation für Migration: «Migration ist kein Problem, das zu lösen ist, sondern eine humane Realität, die man organisieren muss. Dafür braucht es Strukturen.»
Diese Strukturen existieren in der Schweiz und sind im Laufe der Jahre zunehmend professionalisert worden. «Bund und Kantone sind gut aufgestellt, und die Schweiz kann ihrer Verantwortung, die sie als reicher, demokratischer Rechtsstaat hat, nachkommen», sagt Gäumann.
Auch ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Die Anzahl der Personen im Asylprozess ist heute längst nicht auf dem Spitzenniveau aus dem Jahr 1999. Damals belief sich die Anzahl der Personen, die auf einen Asylentscheid warteten oder vorläufig aufgenommen waren, auf mehr als 100’000. Die aktuellsten Zahlen aus dem zweiten Quartal 2015 belegen etwas mehr als 50’000 Personen im Asylprozess.
Für Gäumann ist aber klar, dass die Schweiz bei mehr Flüchtlingen auch an ihre Grenzen stossen würde. «Wenn die Schweiz dieses Jahr mit 90’000 Flüchtlingen rechnen müsste, dann wäre man wohl auch hierzulande am Anschlag und müsste ein Krisenszenario aktivieren.» Für diesen Extremfall besteht schon ein Massnahmenkatalog, den das Parlament ausgearbeitet hat. Dadurch können im Notfall Infrastrukturen des Verteidigungsdepartements als Unterkünfte für Flüchtlinge umgenutzt werden.
Mehr dazu bei der NZZ: Notfallplanung im Asylwesen.
5 Vorurteile und die Fakten dazu im Video von Spiegel Online
Wir haben fünf der gängigsten Vorurteile über Flüchtlinge widerlegt. Bitte kräftig teilen und posten, wo es nötig ist. Danke! #mundaufmachen
Posted by SPIEGEL ONLINE on Sonntag, 30. August 2015