«Mitten im Dschungel des Kapitalismus»

Zum Abschluss der Reportage- und Blog-Reihe «Jugend ohne Zukunft», die Lebensgefühl, Nöte und Hoffnungen an den Rändern Europas einfangen wollte ein Gespräch mit zwei jungen Künstlern im bulgarischen Ferienort Varna. Bulgarien ist ein EU-Land mit jahrelang beeindruckenden Wachstumszahlen, das jetzt unter steigender Jugendarbeitslosigkeit leidet.

Irena Dimitrova: Die 32-Jährige beklagt das nicht-existierende Interesse an junger Kunst in Varna. (Bild: Stefan Bohrer)

Zum Abschluss der Reportage- und Blog-Reihe «Jugend ohne Zukunft», die Lebensgefühl, Nöte und Hoffnungen an den Rändern Europas einfangen wollte ein Gespräch mit zwei jungen Künstlern im bulgarischen Ferienort Varna. Bulgarien ist ein EU-Land mit jahrelang beeindruckenden Wachstumszahlen, das jetzt unter steigender Jugendarbeitslosigkeit leidet.

Der Künstlertreff in Varna ist das Luk. Die Bar im Zentrum der Tourismusmetropole am Schwarzen Meer lässt sich am ehesten der alternativen Szene zuschreiben. Abends stehen die Tische belegt mit tiefen Biergläsern und Menta mit Sprudel und Eis. Pfefferminzlikör und Bier sind die Getränke des heissen bulgarischen Sommers – und der Treibstoff eines Gesprächs mit zwei Künstlern in einer Stadt, die mit junger Kunst nicht viel anzufangen weiss.

Mit am Tisch sitzen Irena Dimitrova und Neno Belchev. Die 32-jährige Dimitrova hat fünf Jahre Kunst in Deutschland studiert und ist vor vier Jahren nach Varna zurückgekehrt. Belchev (40) hat mit seinen vielfältigen Arbeiten im Ausland zahlreiche Preise erhalten. Während Belchev sich ganz auf seine Kunst konzentriert, muss Dimitrova nebenbei Geld verdienen, um durchzukommen.

Frau Dimitrova, wieso sind Sie Künstlerin, wenn Sie nicht davon leben können?

«Du machst die Kunst für die Idee. Geld damit zu verdienen ist unmöglich. In Varna gibt es ein paar wenige Sammler, die sich überhaupt für Kunst interessieren, für junge Kunst gibt es praktisch keine Abnehmer.»

Wie verdienen Sie dann ihren Lebensunterhalt?

«Ich hab Glück, ich kann an einer Schule zwei Tage die Woche Malen unterrichten. So verdiene ich zwischen 200 und 300 Euro im Monat. Das ist nicht schlecht, viele meiner Freunde arbeiten für das gleiche Geld die volle Woche im Tourismus.»

Hat sich die Situation in den letzten Jahren verändert?

«Sie hat sich verschlechtert. Bis zur Wende war der Staat der grösste Sammler. Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus ist die schöne Zeit leider vorbei. Wir sind mitten im Dschungel des Kapitalismus angekommen. Seit 2006 kaufen auch die Hotels kaum mehr Kunst, obwohl sie ab einem bestimmtem Standard eigentlich verpflichtet wären, Originalwerke aufzuhängen.»

Neno Belchev ist anders als Dimitrova nicht auf einen Zweitjob angewiesen, um genug Geld für seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Seine Arbeit beschäftigt sich immer stärker mit politischen Fragen und den herrschenden Verhältnissen in Bulgarien.

Herr Belchev, wieso tut sich die bulgarische Kunst schwer mit politischen Aussagen?

Neno Belchev: Der Künstler setzt sich für politische Veränderungen in seiner Heimat ein.

(Bild: Stefan Bohrer)

«Die meisten Künstler haben eine Abneigung gegen Politik. Es dauerte auch bei mir lange, bis ich realisiert habe, dass man als Künstler für die Gesellschaft verantwortlich ist. Vor ein paar Jahren habe ich gemerkt: Meine Kunst löst ein Echo aus. Das ist ein Weg, das Denken der Leute zu verändern.»

Wie reagiert man auf Ihre Werke?

«Die Museen kaufen meine Kunst nicht. Ich bekomme auf der ganzen Welt Preise, aber in Bulgarien interssiert sich niemand, für das was ich tue. Meine Arbeiten entstehen im bulgarischen Kontext. Es macht mich traurig, dass die Leute hier nicht versuchen zu verstehen, was meine Aussagen sind.»

Nimmt die junge Generation ihre Kunst anders wahr?

«Die alte Generation ist stark geprägt von der sozialistischen Zeit. Sie zieht sich ins Privatleben zurück und lehnt alles ab, was sie nicht versteht. Die jungen Leute hingegen sind offen. Sie sind optimistisch, sie glauben an die Veränderung und sie reflektieren über die Vergangenheit.»

 

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