Ist es eine Wahl zwischen Pech und Schwefel? Mag sein, ernstnehmen muss man sie trotzdem. Georg Kreis über die TV-Debatte zwischen Hillary Clinton und Donald Trump.
In den letzten Tagen war der amerikanische Starregisseur Oliver Stone in Zürich zu Gast. Erwartungsgemäss wurde er zu den US-Präsidentschaftswahlen befragt. «Passt auf, Europäer», sagte er und warnte uns vor Hillary Clinton. Sie sei gefährlich.
Trump ist gemäss diesem Statement nicht gefährlich, weil er nicht gewählt werden wird. Es handelt sich demzufolge nicht um eine Wahl zwischen Pech und Schwefel, weil am Schluss des Vorgangs nur Schwefel rauskomme. Aber auch diese Haltung ist gefährlich, weil es dem Pech helfen und uns dieses schliesslich doch bescheren könnte.
Uns «Europäer» müsste Stone eigentlich nicht warnen, da wir nicht mitwählen können. Angesichts der globalen Bedeutung der USA könnte man freilich die Meinung vertreten, dass eigentlich die ganze Welt diesen Präsidenten sollte mitwählen dürfen. Das könnte man aber auch für Putin sagen sowie für den chinesischen Regierungschef (wie heisst er schon wieder?) oder für den iranischen und den israelischen Staatschef etc. Für die EU kann man sich dies hingegen nicht wünschen, weil es für ihre Spitze keine allgemeinen Wahlen gibt und weil da gleichzeitig derart viele mitreden und schliesslich niemand verantwortlich ist.
Trump liess sich immerhin zur billigen und eine bestimmte Männersicht verratenden Bemerkung hinreissen, dass Clinton nicht wie eine Präsidentin «ausschaue». Während Macho Trump dann und wann auf die Frau zielte, machte die Frau aus der Wahl nie eine Geschlechterfrage.
Sie wirkte derart präsidial, dass die Tatsache, als erste Frau an die Spitze der USA zu gelangen, kein zusätzliches Argument war. Vor dem Hintergrund bestehender Genderklischees kann man feststellen, dass die Geschlechterrollen hier geradezu umgekehrt waren: Der Mann trat viel emotionaler auf als die Frau.
Kommunikationsberater meinen zu wissen, dass rationales Argumentieren weit weniger anspreche als emotionales Auftreten. In diesem Fall dürfte das nicht so funktioniert haben, ganz abgesehen davon, dass man unter Emotionen nicht nur Häme und Hass verstehen sollte und es auch eine Emotionalität gibt, die – wie das bei Clinton herüberkam – Besorgnis um das Gesamtwohl der Gesellschaft ausdrückt.
Wenn das Kompetenzgefälle derart gross ist, muss man sich besonders anstrengen, gegenüber einem ignoranten Polterer nicht herablassend zu wirken.
Clinton war ebenfalls, wie man sie bisher wahrgenommen hat: informiert, das heisst mit den Realitäten vertraut, routiniert, souverän, professionell, gelassen bis hin zu etwas kühler Überlegenheit. Wenn das Kompetenzgefälle derart gross ist, muss man sich besonders anstrengen, gegenüber einem ignoranten Polterer nicht herablassend zu wirken.
Trump zieht wie andere (auch schweizerische) Populisten viel – zu viel – Aufmerksamkeit auf sich. Man fragt sich vor allem, wie eine solche Persönlichkeit tickt und ob er seine niederträchtigen Ausfälle berechnend einsetzt. Wahrscheinlicher ist, dass er ein zwanghafter Triebtäter ist. Wichtiger ist aber die Frage, warum solche Politiker derart Erfolg haben.
Dazu gehört die andere Frage, warum jemand nicht unglaubwürdig wird, wenn er permanent lügt. Ein kleines Beispiel: Trump versorgte noch vor Beginn des Fernsehduells die Öffentlichkeit mit der Falschaussage, dass der Moderator, der republikanische Lester Holt, Demokrat sei. Eine Lüge, die sich dann über Twitter tausendfach verbreitete.
Das Pulitzer-Preis-gekrönte Projekt Politfact.com hat festgestellt, dass 70 Prozent von Trumps Behauptungen falsch, fragwürdig oder nicht belegbar sind. Dazu gehören auch leicht widerlegbare Behauptungen wie etwa, dass er, Trump, 2003 gegen den Irakkrieg gewesen sei.
Ein anderes Lügen-Beispiel, diesmal nicht aus Trumps Schublade: Der Republikaner Rudy Giuliani orchestrierte die Präsidentschaftskampagne gegen die Demokraten mit der Behauptung, dass es vor Obamas Präsidentschaft auf amerikanischem Boden keine nennenswerten Terroranschläge gegeben habe. Giuliani war aber im Moment des Anschlags auf die Twin Towers New Yorks Bürgermeister, und das war bekanntlich am 11. September 2001, also während der Präsidentschaft Georg W. Bushs. Das aber sind ja nur Fakten.
Lügen ist in der Politik nichts Neues. Es kommt aber drauf an, mit welcher Dreistigkeit das praktiziert wird.
Dem exzellenten Journalisten Alard von Kittlitz verdanke ich den Hinweis auf die heute offenbar gängige Technik, Lügen darum bewusst zu verbreiten, weil sie ein bestehendes Gefühl und bestimmtes Wunschdenken bedienen. «Post-truth politics» heisst diese Methode der Verabschiedung von Faktenorientiertheit. Das ist nicht völlig neu, alle leben in ihren eigenen Echoräumen. Es kommt aber drauf an, mit welcher Dreistigkeit das praktiziert wird.
In einem Klima des Misstrauens gedeihen «Post-truth politics» paradoxerweise besonders gut. Wenn man glaubt, dass alle Politiker lügen, muss man sich die Wahrheitsfrage nicht mehr stellen. Wahr wird dann, was man glauben will. Und so muss man nicht darüber diskutieren, wie man auf eine eigentlich gemeinsam wahrnehmbare Realität reagieren kann oder reagieren sollte. Entscheidend ist im postfaktischen Zeitalter nur noch, welche Behauptung besser gefällt.
So wird der Umgang mit Politik zur Psychologie. Und es kommt so weit, dass am Vorabend zum Polit-Super-Bowl eine fast hochkarätige ARD-Talkrunde immerhin unter anderem mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, aber auch mit dem Super-Talkmaster Gottschalk eingehend die Frage diskutiert: «Soll man Wahnsinnige ernst nehmen?» Heute muss die Devise leider lauten: Ja, man soll.
«Wir Europäer» sind geneigt, die in diesem Wahlkampf erlebten Verrücktheiten als typisch und nur amerikanisch wahrzunehmen. Oliver Stone hätte uns darum eine andere Warnung servieren müssen: Passt auf, dieser Stil von Auseinandersetzung wird, wenn dies nicht schon eingetreten ist, schon bald auch in Europa gang und gäbe sein.