Nach 50 Jahren: Bald weht wieder die US-Flagge in Havanna

Heute ist ein historischer Tag: John Kerry weiht feierlich die US-Botschaft in Havanna ein. Es ist der erste Besuch eines US-Aussenministers seit 70 Jahren. Die Beziehungen werden sich aber noch lange nicht normalisieren, schreibt unser Korrespondent.

Cuban-American Gina Gonzalez waves an American flag in front of the United States embassy in Havana, Cuba, Monday, July 20, 2015. The U.S. and Cuba restored full diplomatic relations Monday after more than five decades of frosty relations rooted in the Cold War. (AP Photo/Desmond Boylan)

(Bild: DESMOND BOYLAN)

Heute ist ein historischer Tag: John Kerry weiht feierlich die US-Botschaft in Havanna ein. Es ist der erste Besuch eines US-Aussenministers seit 70 Jahren. Die Beziehungen werden sich aber noch lange nicht normalisieren, schreibt unser Korrespondent.

Die Annäherung der USA an Kuba ist ein historisches Ereignis, vorausgegangen ist den Schlagzeilen und den geschichtsträchtigen Absichten allerdings ein klandestines Treffen. Mitte Juli lud US-Präsident Barack Obama rund siebzig kubanischstämmige US-amerikanische Unternehmer zu einer ungewöhnlichen Zusammenkunft ins Weisse Haus ein. Ziel der informellen Runde hinter verschlossenen Türen: das Ende der US-Blockade gegen Kuba.

Eine hehre Absicht, die allerdings sehr unwahrscheinlich ist. Die Blockade kann nur vom US-Kongress aufgehoben werden, in dem die Republikaner die Mehrheit stellen – und sie sind kaum bis gar nicht interessiert daran. Obama wäre wohl nicht der Präsident der USA, wenn er sich davon abhalten lassen würde, und nahm deshalb die an Geschäften auf Kuba interessierten Unternehmer in die Pflicht. Sie sollten Schlupflöcher in der Blockadepolitik ausfindig machen und diese als Vorhut einer Öffnung weiter aufweichen.

Didier Burkhalter guckt beim Fahnen-Hissen zu

Dem Treffen hinter verschlossenen Türen und den klandestinen Absichten folgt nun ein offizieller Akt: Am Freitag reist Aussenminister John Kerry nach Havanna und eröffnet die US-Botschaft wieder. Es ist ein historischer Besuch mit vor allem symbolischer Bedeutung: Kerry reist als erster US-Aussenminister seit siebzig Jahren nach Kuba und wird nach mehr als 50 Jahren die Flagge seines Landes hochziehen. Zum ersten Mal wird dann seit 1945 wieder das Sternenbanner als sichtbares Zeichen der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen in der kubanischen Hauptstadt wehen.

Hochrangige europäische Politiker und Geschäftsdelegationen geben sich in Havanna bereits länger die Klinke in die Hand. Der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier war bereits da und Didier Burkhalter wird diesen Freitag erwartet. Der Bundesrat folgt einer Einladung von John Kerry, sich dessen Fähigkeiten am Fahnenmast anzusehen. Aber auch aus den USA strömen seit der Verkündung der Neuausrichtung der US-Kuba-Politik vor acht Monaten Reisende, Politiker und Unternehmer auf die lange «verbotene» Insel.

Aufbruchstimmung und die grosse Frage: Wie geht es weiter?

Die Aufbruchstimmung auf der Insel ist greifbar. Vor allem Kubas Wirtschaft profitiert vom Kurswechsel der US-Amerikaner. Inbesondere der Tourismus hat spektakulär zugelegt. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres gingen die Besucherzahlen um 15 Prozent nach oben; US-Amerikaner kamen sogar ein Drittel mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Insgesamt wuchs Kubas Volkswirtschaft im ersten Halbjahr 2015 um 4,7 Prozent, nach bescheidenen 1,3 Prozent im vergangenen Jahr. Vor allem in den Bereichen Zuckerindustrie, Bauwesen und Handel gab es ein kräftiges Plus.

Das neue «Singapur der Karibik», als das manche Kuba schon sehen, ist es aber noch nicht. Die grosse Frage, die sich viele stellen, bleibt vor diesem Hintergrund: Wie geht es weiter? 

Vor allem die US-amerikanische Wirtschaft ist an der Antwort interessiert, die sich auf mehreren Ebenen abspielt: Einerseits gibt es eine wirtschaftliche Komponente, andererseits eine politische. Eine Analyse der aktuellen Situation:

Wirtschaftlich ist weiterhin die Landwirtschaft ein Problem. Daran hat auch die Zulassung unabhängiger Kleinbauern und Kooperativen bisher wenig geändert. Ein Grossteil der Lebensmittel muss immer noch importiert werden. Um dies zu ändern, benötigt Kubas Wirtschaft dringend ausländisches Kapital. Das neue Gesetz zu Auslandsinvestitionen ist seit einem Jahr in Kraft. Der 8,7 Milliarden US-Dollar schwere Investitionskatalog der Regierung enthält 246 Projekte – von Hühnerzucht über Herstellung von Impfstoffen bis hin zur Errichtung von Windparks. Die ersten Unternehmen siedeln sich in der Sonderwirtschaftszone Mariel, östlich von Havanna, an; auch die kubanische Privatwirtschaft wächst, langsam, aber sukzessive.

Der Binnenmarkt allerdings ist weiterhin schwach und von geringer Kaufkraft geprägt. Beobachter gehen davon aus, dass in Mariel deshalb eher Güter für den Export produziert werden. Das hohe Bildungsniveau in Kuba dürfte da ein Vorteil sein; ausländische Unternehmen bemängeln allerdings, dass sie ihr Personal nicht frei wählen dürfen. Ein weiteres Hindernis ist das doppelte Währungssystem; die geplante Zusammenführung der beiden kubanischen Währungen verläuft in langsamen Schritten; die Angst vor einer unkontrollierten Inflation ist gross.

Die USA nähern sich Kuba an, davon profitieren aber vor allem Europäer und Chinesen.

Im Moment profitieren vor allem Europäer und Chinesen von der Annäherung zwischen den USA und Kuba. Bestehende Verbindungen werden gestärkt und neue Projekte angestossen. Spanien, ohnehin stark im kubanischen Tourismussektor engagiert, hat die Wiederbelebung der zwischenzeitlich eingestellten Flugroute Madrid–Havanna angekündigt, und die Meliá-Gruppe hat im Januar in Jardines del Rey ihr weltweit grösstes Ressort eröffnet. Auch andere Touristikkonzerne wie Globalia, Barceló und Iberostar verstärken ihr Kuba-Engagement.

Chinesische und britische Unternehmen haben den Zuschlag für den Bau von Golfkursen erhalten und als Frankreichs Präsident François Hollande im Mai Kuba besuchte, wurde er von einer starken Wirtschaftsdelegation mit Vertretern von Total, Alstom (Energie), Alcatel-Lucent (Telekommunikation), Pernod-Ricard (Miteigentümer der Rummarke Havana Club), Accor (Tourismus) und Air France (Verkehr) begleitet.

Von der US-Wirtschaft wird dies mit zunehmender Beunruhigung registriert. Ausländische Unternehmen drängten auf den kubanischen Markt und «lassen US-amerikanischen Unternehmen so wenig wie möglich übrig, wenn die Beschränkungen gänzlich aufgehoben werden», sagt der Chef der Hotelkette Marriott, Arne Sorensen, der kürzlich erstmals Kuba besuchte. Die Stimmen für eine Aufhebung der Sanktionen werden deshalb auch in den USA lauter. Zuletzt hatten die «New York Times» und der «Boston Globe» in Leitartikeln die Aufhebung der seit 1962 bestehenden US-Blockade gefordert.

Was zur politischen Dimension führt: Neben den Medien sprach sich auch die demokratische Präsidentschaftskandidatin und frühere US-Aussenministerin Hillary Clinton für die Aufhebung aus, während die Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, Marco Rubio, Jeb Bush oder Ted Cruz, eine Annäherung ablehnen. Zahlreiche republikanische Abgeordnete jedoch, gerade aus den Bundesstaaten des Mittleren Westens, die Kuba als Absatzmarkt für ihre Agrargüter ins Auge gefasst haben, haben Initiativen gestartet, die bestehenden Beschränkungen aufzuheben.

So präsentierte der republikanische Kongressabgeordnete Tom Emmer zusammen mit seiner demokratischen Kollegin Kathy Castor das Gesetzesprojekt «Cuba Trade Act of 2015», das die Aufhebung der Blockade zum Ziel hat. Eine Reihe ähnlicher Initiativen laufen ebenfalls. Beobachter gehen allerdings davon aus, dass eine Aufhebung oder Lockerung der Blockade durch den Kongress in absehbarer Zeit eher unwahrscheinlich ist. Vielmehr wird wohl Präsident Obama über Exekutivvollmachten bestehende Handels- und Reiserestriktionen lockern, wie er dies bereits in der Vergangenheit getan hat.

«Ich glaube nicht, dass wir jemals einen Markt hatten, der so schnell wächst wie Kuba.»

Airbnb-Chef Brian Chesky

Dass dieser Weg wirtschaftlich erfolgreich sein kann und die Blockade zum Politikum macht, zeigt der Erfolg von Airbnb auf Kuba. Seit einigen Monaten können US-Reisende über das Onlineportal Privatunterkünfte auf der Insel mieten. «Ich glaube nicht, dass wir jemals einen Markt hatten, der so schnell wächst wie Kuba», sagte Airbnb-Chef Brian Chesky dazu im Mai. Das Unternehmen aus San Francisco kapitalisiert erfolgreich die seit Längerem bestehende Tradition in Kuba, Privatunterkünfte an Touristen zu vermieten.

In anderen Bereichen dagegen sind die Hürden etwas höher und machen das Wirtschaften schwierig. So hat die Regierung in Washington zwar US-Fährunternehmen Lizenzen für Verbindungen nach Kuba erteilt; die Genehmigungen von kubanischer Seite stehen allerdings noch aus. Auch dürfen US-amerikanische Banken künftig Konten in Kuba eröffnen, aber die kubanische Regierung hat noch nicht detailliert, wie. Kreditkarten aus den USA sind erlaubt, aber niemand kann sie benutzen, da Kuba diese bisher noch nicht autorisiert hat und weil es Haftungsbedenken gibt. Gleichzeitig darf Kuba wegen der Blockadepolitik keine Transaktionen in US-Dollar tätigen.

Infrastruktur-Probleme gibt es auch

Ein anderes Problem hat Netflix. Das Streamingportal ist seit Kurzem auf Kuba, aber Internetzugang auf der Insel ist teuer, langsam und die meisten Privathaushalte sind davon ausgeschlossen. Google-Vertreter waren bereits zweimal auf Kuba, um Geschäftsmöglichkeiten zu sondieren, aber gerade Telekommunikation ist ein sensibler Bereich, da hier kubanische Sicherheitsinteressen berührt werden. Die Regierung in Havanna befürchtet subversive Aktivitäten (die es in der Vergangenheit immer wieder gegeben hat; Stichwort: Zunzuneo usw.) und deshalb breitet sich chinesische Technik aus. Der damalige Google-Chef Eric Schmidt ärgerte sich bei seinem Besuch auf Kuba im vergangenen Sommer: «Ein Resultat der Blockade ist, dass asiatische [sprich: chinesische] Technologie schwerer zu verdrängen sein wird.»

Es gibt also noch viele Hindernisse aus dem Weg zu räumen, bevor US-Unternehmen in Kuba ihren Geschäften nachgehen können. Erst im Juni riet ein Bericht des Investmentunternehmens JLL (Jones Lang LaSalle) US-Investoren zur Vorsicht, sich in Kuba zu engagieren. Selbst wenn die Blockade aufgehoben werde, dauere der Prozess der Integration Kubas Jahrzehnte. «Was wir festgestellt haben, ist, dass noch viel Risiko im Spiel ist. Es gibt kein solides Bankensystem, die physische Infrastruktur des Landes ist eine Herausforderung, und mit dem aktuellen Embargo ist es US-Unternehmen nicht gestattet, einen Vertrag mit der [kubanischen] Regierung einzugehen», schrieb Steve Medwin von JLL.

Zwar weht ab Freitag wieder die US-amerikanische Flagge über der US-Botschaft in Havanna – bis zu einer Normalisierung der Beziehungen beider Länder aber ist es weiter ein langer Weg. Und ohne Aufhebung der Blockade und Rückgabe der US-Militärbasis in Guantanamo wird es ohnehin keine vollständige Normalisierung geben, das hat die kubanische Regierung wiederholt klargemacht. Aber US-Präsident Barack Obama könnte bald auch dafür zu einem Treffen hinter verschlossenen Türen einladen, jedenfalls hat er einen neuen Anlauf zur Schliessung von Guantanamo angekündigt.

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