Die Karten in der Basler Verkehrspolitik werden neu gemischt: Während die Automobil- und Wirtschaftsverbände von einem Richtungswechsel sprechen, pochen die Umweltverbände auf den 2011 angenommenen Gegenvorschlag zur Städteinitiative, der eine zehnprozentige Reduktion des Autoverkehrs verlangt.
Das Resultat lässt keine Fragen offen: Fast drei Viertel der Abstimmenden haben am 15. November die Strasseninitiative abgelehnt und den Initianten aus dem rot-grünen Lager eine bittere Niederlage beschert. Dass die Initiative weniger Stimmen erhalten werde als der Gegenvorschlag, damit habe man gerechnet, sagt Stephanie Fuchs, Geschäftsführerin des VCS beider Basel, der das Begehren lanciert hatte. «Aber dass das rot-grüne Basel auch den Gegenvorschlag ablehnt, hat uns doch sehr enttäuscht – aber nicht entmutigt», wie sie hinzufügt.
Ganz anders klingt es auf der anderen Seite des politischen Spektrums: «Das Abstimmungsergebnis hat für die zukünftige Verkehrspolitik in Basel richtungsweisenden Charakter», verkündet die Handelskammer beider Basel, welche die Initiative und den Gegenvorschlag massiv bekämpft hatte. Und das «Komitee für eine vernünftige Verkehrspolitik», zu dem sich die Wirtschafts- und Automobilverbände zusammengeschlossen haben, schreibt: «Die Bevölkerung hat sich klar gegen die einseitige Benachteiligung des motorisierten Verkehrs ausgesprochen.»
Rückschlag für die Velo- und ÖV-Stadt?
Der Basler Bau- und Verkehrsdirektor Hans-Peter Wessels möchte nicht von einem Rückschlag für die ÖV- und Velostadt Basel sprechen. «Von etlichen Leuten aus meinem persönlichen Umfeld weiss ich, dass sie zweimal Nein gestimmt haben, weil sie mit der aktuellen Verkehrspolitik sehr zufrieden sind und keine Verschärfung zulasten des Autoverkehrs wünschen», sagt er. «Also werden wir hier wie bis anhin auf einschneidende Massnahmen verzichten.»
Was heisst dies nun für die zukünftige Verkehrspolitik in Basel-Stadt? Der Entscheid bedeute nicht, dass ÖV, Fuss- und Langsamverkehr nicht mehr gefördert werden sollen, schreibt die Handelskammer. Aber: «Einseitige, polarisierende Positionen, die einzelne Verkehrsträger einschränken oder gar ausschliessen wollen, sollten mit diesem Entscheid der Vergangenheit angehören.»
Umweltschutzgesetz verlangt Priorität für den Langsamverkehr
Diese Forderung widerspricht aber dem baselstädtischen Umweltschutzgesetz. In Paragraf 13b heisst es: «Der Kanton und die Gemeinden Bettingen und Riehen sorgen durch bauliche, betriebliche, verkehrslenkende oder -beschränkende Massnahmen dafür, dass Fussgängerinnen und Fussgänger sowie der nicht motorisierte und der öffentliche Verkehr gegenüber dem privaten Motorfahrzeugverkehr bevorzugt und vor vermeidbaren Behinderungen und Gefährdungen geschützt werden.»
Im gleichen Gesetz findet sich auch die Forderung aus dem Gegenvorschlag zu Städteinitiative, der 2010 angenommen wurde. So ist der Kanton verpflichtet, dafür zu sorgen, dass der private Motorfahrzeugverkehr auf Basels Strassen – die Hochleistungsstrassen ausgenommen – bis ins Jahr 2020 um mindestens zehn Prozent abnimmt. Deshalb kann nach Auffassung von Stephanie Fuchs vom VCS von einem Richtungswechsel nicht die Rede sein: «Wir haben mit der Strasseninitiative konkrete Massnahmen formuliert, die einen Beitrag an dieses Ziel geleistet hätten», sagt Fuchs. Mit der Ablehnung des Volksbegehrens sei Basel aber von der Pflicht, den Autoverkehr zu reduzieren, nicht befreit.
«Von Zurücklehnen keine Spur»
Doch ohne einschneidende Massnahmen, wie sie die Strasseninitiative verlangte, wird dies zumindest im ausgewiesenen Zeitrahmen illusorisch bleiben. Vor rund anderthalb Jahren hatte Wessels bereits darauf hingewiesen, dass Basel-Stadt diese Ziele alleine nicht werde erreichen können und sich damit prompt eine Rücktrittsforderung des grünen Präsidenten der Umwelt-, Verkehrs- und Energiekommission (UVEK), Michael Wüthrich, eingehandelt.
Wird die Forderung nach einer zehnprozentigen Verkehrsreduktion nun auf die lange Bank geschoben? Wessels verneint: «Von Zurücklehnen kann keine Spur sein», sagt er. Trotz einer starken Zunahme der Arbeitsplätze in Basel und einem Wachstum der Bevölkerung sei es gelungen, eine Zunahme auf dem Basler Strassennetz zu verhindern. «Dies kommt nicht von ungefähr, sondern ist einer konsequent auf die städtischen Bedürfnisse ausgerichteten und höchst erfolgreichen Verkehrspolitik zu verdanken», sagt er.
«Zögerliche Pflästerlipolitik»
Bei der VCS-Geschäftsführerin Stephanie Fuchs klingt es anders. Sie spricht von einer «zögerlichen Pflästerlipolitik». Doch ist nach dem klaren Nein zur Strasseninitiative überhaupt noch etwas anderes möglich als ein schrittchenweises Vorgehen? Fuchs hat Mühe, von der Forderung «wirklich wirksamer» Massnahmen abzurücken. Mit einem stillen Rückzug dürfte also nicht zu rechnen sein. «Wir werden uns unter anderem mit Nachdruck dafür einsetzen, dass die Velorouten im Teilrichtplan Velo ihren Namen verdienen», sagt sie.
Auch Wessels will sich nach eigenen Angaben weiter für die Umsetzung des Teilrichtplans einsetzen. «Wir haben ja bereits in den letzten Jahren Dutzende, wenn nicht Hunderte von Velomassnahmen realisiert», sagt er. Und nennt als aktuelles Beispiel die Öffnung der St.-Johanns-Vorstadt für den Velo-Gegenverkehr.
Gundelitunnel ausgraben
Die Forderungen der bürgerlichen Parteien sowie der Automobil- und Wirtschaftsverbände zielen allerdings in eine andere Richtung. Dort ist vom Bau neuer Hochleistungsstrassen die Rede, namentlich vom 600 Millionen Franken teuren Gundelitunnel, den die Basler Regierung im April dieses Jahres auf der Prioritätenliste der Verkehrspolitik weit zurückgestuft hat. «Der bereits 1960 geplante Bau des Gundelitunnels muss inklusive Fortsetzung in die Nordtangente rasch umgesetzt werden», forderte der TCS bereits nach Bekanntgabe der Zurückstufung.
Für Wessels ist dieses Strassenprojekt aber nach wie vor kein vordringliches Thema – erst recht nicht, seit die Baselbieter Stimmbevölkerung mit der Ablehnung der Elba-Vorlage das Projekt einer Stadttangente, das den Gundelitunnel gerne integriert hätte, auf Eis gelegt hat. «Das Geld wächst nicht auf den Bäumen», sagt er, «Basel-Stadt ist gezwungen, die Investitionsvorhaben zu priorisieren.» Der Rheintunnel auf der Osttangente sei ein viel dringenderes Strassenprojekt und weise auch das bessere Kosten-/Nutzenverhältnis aus.
Die nächste Velo-Initiative ist in der Pipeline
Der Gundelitunnel wird also höchstwahrscheinlich nicht so rasch wieder auf die aktuelle politische Traktandenliste gelangen. Die Velopolitik indes sehr wohl. Bis Ende November sammelt Pro Velo noch Unterschriften für die im März lancierte Veloring-Initiative. Diese verlangt eine sichere und komfortable Veloringstrecke, welche die beiden Bahnhöfe mit wichtigen Arbeitsplätzen, den Basler Wohnquartieren und Schulhäusern verbindet.
Basels Velofreundlichkeit wird also bereits in absehbarer Zeit wieder auf die Probe gestellt werden. Allerdings gehen die offen formulierten Forderungen deutlich weniger weit als die der gebodigten Strasseninitiative. «Die Initiative stellt meines Erachtens sinnvolle und absolut realistische Forderungen», sagt Wessels. Sie sei zudem politisch breit abgestützt und habe beste Chancen, angenommen zu werden.
Kampf um Parkplätze
Die bürgerlichen Politiker formieren sich derweilen zum politischen Kampf um die Parkplätze auf öffentlichem Grund – ein Thema, das nicht erst seit dem Abstimmungskampf um die Strasseninitiative die Gemüter erregt. FDP-Grossrat und Präsident des TCS beider Basel Christophe Haller möchte mit einer Motion im Grossen Rat dem Abbau von Parkplätzen einen generellen Riegel vorschieben. So will er im Umweltschutzgesetz verankern lassen, dass für jeden auf der Allmend aufgehobenen Parkplatz im Umkreis von 200 Metern «ein qualitativ wie quantitativ gleichwertiger Ersatz» geschaffen werden soll.
Nicht ganz so weit möchte LDP-Grossrat Heiner Vischer gehen. Er regt in einem Vorstoss an, die Aufhebung und Ummarkierung von Einzelparkplätzen im Kantonsblatt zu publizieren und den betroffenen Anwohnern damit eine Einsprachemöglichkeit zu gewähren.