Nahes Basel, fernes Basel

Roggenburg und Arlesheim könnten verschiedener nicht sein. Während das eine Dorf in der Nähe Basels gedeiht, geht das andere langsam ein.

(Bild: Nils Fisch)

Roggenburg und Arlesheim könnten verschiedener nicht sein. Während das eine Dorf in der Nähe Basels gedeiht, geht das andere langsam ein.

Normalerweise dauert die Reise von Basel nach Roggenburg eine Dreiviertelstunde. Wer um 12 Uhr mittags in die Baselbieter Enklave im Lützeltal will, braucht Geduld. Nach Laufen bringen einen die SBB in einer guten Viertelstunde, im 30-Minuten-Takt, von dort geht der nächste Bus nach Roggenburg um 15.24 Uhr. Kein Wunder sagt man in Laufen, das Dorf liege hinter dem Mond.

Nicht nur geografisch liegt Roggenburg ganz schön weit ab vom Schuss, auch in den Herzen der 280 Einwohner ist die Stadt fern. Guckt man sich die Leidenschaften der Roggäburger Waggis an, des wichtigsten Vereins im Dorf, taucht der FC Basel kein einziges Mal auf. Dafür der SC Bern, die Berner Young Boys, ja sogar das richtig ferne Servette Genf.

Die Roggenburger sind ein widerspenstiges Volk. Sie sind zwar Baselbieter, wollten es aber nie werden. Als das Laufental 1989 vom Kanton Bern zu Baselland wechselte, gingen sie auf die Barrikaden. Und wenn sich heute die Baselbieter immer stärker gen Basel orientieren, sollen sie halt. In Roggenburg dreht man sich um sich selber. Zu stark sind die Fliehkräfte. Der letzte Laden verschwand Mitte der 1980er-Jahre aus dem Dorf, die Post vor zwei Jahren, einen Bankomat gibts nicht.

Dem Dorf und der Frau zuliebe

Die wichtigste Institution im Dorf aber hält sich hartnäckig. Die wichtigste Institution, das ist Ernst Gerber. Der 75-jährige pensionierte Automechaniker wirtet in der letzten Beiz im Dorf, dem «Rössli». Gerber sitzt in der Küche, die einer anderen Epoche entliehen scheint. Der Kochherd wird mit Holz befeuert, eine Geschirrwaschmaschine ist nicht zu sehen. Auf dem Tisch, mitten in der gekachelten Küche, liegen Zigaretten, die er selber in Delsberg besorgt hat. Weiter geht er selten, und auch mit dem Anschluss ans Baselbiet hat er sich abgefunden. «Wir sind hier sowieso vom Rest der Welt getrennt.»

Seit seine Frau vor zehn Jahren erkrankt ist, führt Gerber die Beiz. Die Familie der Frau führt das «Rössli» seit über einem Jahrhundert. Einen Koch kann er sich nicht leisten, also schenkt er nur Getränke aus. Das reicht schon. Nicht um Geld zu verdienen, aber um die Roggenburger zufriedenzustellen. «Zu mir kommt das ganze Dorf», sagt Gerber. Er macht den Wirt dem Dorf und seiner Frau zuliebe. «Ich mache das, solange es meine Gesundheit erlaubt.» Gibt es einen Nachfolger? Der gemütliche Wirt lächelt nur und kneift die feinen blauen Augen zusammen.

Einen wirtschaftlichen Aufschwung hat das Dorf abgeschrieben. Zwei Drittel des Gemeindebudgets stammen aus dem Finanzausgleich. Nennenswerte Unternehmen hat es keine, wer nicht pendelt, arbeitet in der Landwirtschaft. Das Ziel von Gemeindepräsident Peter Hufschmid (parteilos) lautet: bewahren. Die Theater-Abstimmung im Frühjahr 2011 fiel bei dieser Ausgangslage in Roggenburg einseitig aus. Über 80 Prozent der Stimmenden lehnten eine Erhöhung der Subventionen ans Basler Stadttheater ab. Gemeindepräsident Peter Hufschmid vermutet, es habe mit den «oft experimentellen Aufführungen» zu tun, für die im «bodenständigen, konservativen Dorf» kein Verständnis aufgebracht werde. Unter den Bewohnern kursiert aber eine andere Begründung: Die bauernschlauen Roggenburger spürten, dass ihnen das Geld fehlen könnte, wenn es nach Basel abfliesst.

Drohungen aus Arlesheim

Das Gegenteil geschah in Arlesheim. Dort sprachen sich 67 Prozent der Abstimmenden für die Subventionserhöhung aus. An vorderster Front kämpfte damals Gemeindepräsident Karl-Heinz Zeller der grünen Partei Frischluft für das Theater Basel. Er drohte im Vorfeld der Abstimmung sogar, dass die Gelder für den Finanzausgleich ans Theater Basel und nicht mehr in den Restkanton fliessen sollen, sollte die Vorlage vom oberen Teil des Kantons gebodigt werden. Ganz ernst gemeint war Zellers Vorschlag nicht, dennoch steht er auch noch zwei Jahre später dazu: «Ich wollte mit dieser Aussage zu verstehen geben, dass wir stadtnahen Gemeinden auf ein attraktives Basel-Stadt angewiesen sind. Dass wir Millionen an den Finanzausgleich zahlen, ist in Ordnung, aber dann erwarte ich auch von den Oberbaselbieter und Laufentaler Gemeinden eine gewisse Solidarität uns gegenüber.»

Die Gemeinde Arlesheim hat sich wegen ihrer Lage immer nach Basel orientiert. Wie stark sie von der Stadt geprägt ist, wird beim Rundgang durch Arlesheim mit FDP-Landrat Balz Stückelberger rasch ersichtlich. Mitten auf dem alten Dorfplatz beim Zivilstandesamt befindet sich das Basler Café Brändli. Für Stückelberger ist Arlesheim das «perfekte Dorf»: Gut gelegen, gut an den ÖV angeschlossen, gute Steuerzahler.

Nur das Beste für die Arlesheimer

In Arlesheim fliesst das Geld. Rote Zahlen kennt die Gemeinde nicht. Das Dorf war schon immer vermögend, nicht zuletzt deshalb, weil durch den 1681 fertiggestellten Dom Wohlstand nach Arlesheim schwappte. Und die Gemeinde stellt ihren Status auch mit Stolz zur Schau. Baut sie mal etwas, dann richtig. So geschehen beim Neubau des Gemeindewerkhofs. In vielen anderen Dörfern hätte es auch ein Betonbau getan. In Arlesheim musste aber eine edle Holzfassadenkonstruktion nach Minergiestandard her. Geklotzt wurde auch bei der Überdachung des Busbahnhofs: Nur ein Wellendach war den Arlesheimern gut genug. Gemeindepräsident Karl-Heinz Zeller sagt: «Wir setzen nun mal auf Qualität und Nachhaltigkeit.» Genau das schätzt Balz Stückelberger an seiner Gemeinde: Es wird den 9000 Einwohnern etwas geboten. Stückelberger sagt das, was offenbar viele im Dorf behaupten: «Wir sind eigentlich ein Dorf ohne Probleme – im Gegensatz zu anderen Gemeinden haben wir Luxus-Probleme.»

Ein Luxus-Problem ist etwa, dass die Gemeinde mit den negativen Folgen des Reichtums zu kämpfen hat. Für junge Familien ist es schwierig, eine günstige Wohnung zu finden. Viel dagegen machen kann Zellers Gemeinderat allerdings nicht. Arlesheim sei praktisch fertig gebaut, die Gemeinde sei kaum im Besitz von Land, um Gegensteuer geben zu können, sagt er. Vom neuen Regierungsrat erwartet der seit acht Jahren amtierende Gemeindepräsident Zeller, der am 3. März Eric Nussbaumer wählen wird, dass «er die Unterschiede der Gemeinden wahr- und ernst nimmt» und ihnen mehr Selbst- und Mitbestimmungsrecht überlässt.

Auch in Roggenburg haben sie immer auf ihre Autonomie gepocht. Heute wünscht sich Gemeindepräsident Hufschmid, dass man das Dorf nicht vergisst. Seine Forderung: «Die Politik in Liestal soll den Finanzausgleich nicht antasten und den kleinen Gemeinden nicht zu viel aufbürden.» Dann hat Roggenburg durchaus eine Zukunft. Auch wenn es hinter dem Mond liegt.

Tour durchs Baselbiet
Welche Probleme beschäftigen das Baselbiet? Welche ­Lösungen bieten die drei Kandi­daten an, die am 3. März in die ­Regierung einziehen möchten? Das versuchten wir auf unserer Tour durchs Baselbiet zu ergründen. Mit dem Besuch der beiden Gemeinden Roggenburg und Arlesheim ist diese Reise nun abgeschlossen. Die gesamte Tour können Sie auf unserem Wahlblog nachverfolgen: tageswoche.ch/+bcqpg

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.02.13

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