Neben der Spur

Die Basler Verkehrs-Betriebe streben in die Königsklasse des öffentlichen Verkehrs. Noch aber machen sie vor allem mit Pannen und verärgerten Chauffeuren von sich reden.

Um sich zur Königsklasse der europäischen Transportunternehmen zählen zu dürfen, läuft noch zu vieles schief bei den BVB. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Die Basler Verkehrs-Betriebe streben in die Königsklasse des öffentlichen Verkehrs. Noch aber machen sie vor allem mit Pannen und verärgerten Chauffeuren von sich reden.

Die Basler Verkehrs-Betriebe (BVB) wollen ganz nach oben. «In der Champions League» will BVB-­Direktor Jürg Baumgartner künftig mit seinem Unternehmen spielen. Statt mit Glanzleistungen machen die BVB heute aber eher mit Pannen von sich reden. Die feierlich angekündigten Anzeigetafeln funktionieren immer noch nicht. Mit dem Verbot für Busfahrer, während der Fahrt Radio zu hören, brachte die Geschäftsleitung die Belegschaft gegen sich auf. Und mit der Baselland Transport AG (BLT) ist ein bissig geführter Streit entbrannt, wer in ein paar Jahren die lukrative Linie 17 via Margarethenstich betreiben darf.

Die BVB-Chefetage ist sichtlich bemüht, ihr angekratztes Image aufzupolieren. Beim Interviewtermin mit der TagesWoche liegen unzählige Hochglanzbroschüren auf dem Tisch. Sogar einen Notizblock und Kugelschreiber hat Jürg Baumgartner in seinem Büro am Claragaraben bereitgelegt, damit seine Botschaften auch fein säuberlich notiert werden können.

In letzter Minute liess Martin Gudenrath die gemeinsame Shopping-Tour mit der BLT platzen.

Ebenfalls am Tisch sitzt Verwaltungsratspräsident Martin Gudenrath. Er wirkt angespannt wie ein Fussballspieler vor einem Match in der Königsklasse, pausenlos spielt er mit einer Büroklammer. Seit dreieinhalb Jahren ist der Speditions- und Logistikfachmann BVB-Präsident. Er sagt: «Das Unternehmen ist deutlich dynamischer geworden.»
Was er unter Dynamik versteht, hatte der 51-Jährige gleich mit seiner ersten Amtshandlung demon­striert: 2010 stoppte er die gemeinsam aufgegleiste Trambeschaffung mit der BLT. Sechs Jahre lang hatte der Betrieb gemeinsam mit der BLT den Einkauf von rund 60 Tango-Trams evaluiert und vorbereitet. In letzter Minute liess Gudenrath die gemeinsame Shopping-Tour bei Stadler Rail platzen.

Es kam zum Eklat. Doch das kümmerte den neuen starken Mann im BVB-Verwaltungsrat nicht. Dass er damit die BLT vor den Kopf stiess, nahm er in Kauf. Statt Stadler-Fahrzeuge werden ab dem kommenden Jahr die ersten «Flexity»-Trams von Bombardier durch die Stadt fahren.

Zu den besten in Europa getrimmt

Der Tramentscheid markierte einen schroffen Kurswechsel. Die Zeiten, in denen die BVB sich gegenüber der kleineren BLT konziliant zeigten, gehören der Vergangenheit an. Dass der langjährige BVB-Direktor Urs Hanselmann rund ein Jahr nach Gudenraths Antritt pensioniert wurde, kam dem Verwaltungsratspräsidenten gelegen. Hanselmann schien ihm zu wenig forsch zu sein. Einen Macher fand Gudenrath in der Person von Jürg Baumgartner, der seit gut zwei Jahren als BVB-CEO amtiert. Zuvor war er Leiter Marketing des Zürcher Verkehrsverbundes (ZVV).

Seither krempeln die beiden Herren den öffentlich-rechtlichen Betrieb mit seinen rund 1100 Mitarbeitenden intensiv um. Die Devise des neuen Direktors lautet: «Bis 2020 wollen wir zu den besten Transportdienstleistungsunternehmen in Europa zäh­len – und wir sind derzeit auf bestem Weg dahin.» Champions League eben. Eine Sprache, die in der Fussballstadt Basel verstanden wird.

Marketing-Mann Baumgartner weiss um die Wirkung, wenn er mit harten Fakten nachdoppelt: «Vergangenes Jahr konnten wir den Umsatz von 222 Millionen auf 227 Millionen steigern. Zudem können wir mit 132 Millionen einen Rekord bei der Zahl der beförderten Passagiere vorweisen.» Darüber hinaus sei das Unternehmen zusammen mit anderen Transportunternehmen Schweizer Spitzenreiter punkto Kundenzufriedenheit im öffentlichen Verkehr.

Harte Kritik von Regierung und Parlament

Doch um sich zur Königsklasse der europäischen Transportunternehmen zählen zu dürfen, läuft noch zu vieles schief bei den BVB. Und darüber spricht der 46-jährige Baumgartner ungern. Das seit bald einem Jahr andauernde Anzeigendebakel passt nicht zum Bild, das er für sein Unternehmen anstrebt. «Die Fahrgäste können sich darauf verlassen, dass die Angaben auf der Anzeigetafel gültig sind», verkündeten die BVB damals den vermeintlichen Quantensprung in der Fahrgastinformation. Doch seit der Umstellung auf das neue Leitsystem im August 2012 kriegen die BVB ihre Probleme mit den Anzeigetafeln an den Haltestellen nicht in den Griff. Stattdessen erscheint auf den Tafeln nicht selten gar keine oder eine falsche Anzeige, welches Tram in wie viel Minuten als nächstes einfährt.

Nicht nur das Image der BVB nahm Schaden, die Panne kommt das Transportunternehmen auch teuer zu stehen: Bis Ende 2013 müssen die BVB weitere 3,9 Millionen Franken in das neue Leitsystem investieren, damit die Anzeigen zuverlässiger werden.

Für das Anzeigen-Debakel mussten die BVB harte Kritik von Regierung und Parlament einstecken.

Heftige Kritik musste die im Jahr 1895 gegründete Firma selbst von der Basler Regierung einstecken: «Der Regierungsrat hält fest, dass er als Besteller von Leistungen bei den BVB mit der beschriebenen Situation unzufrieden ist», schreibt sie in einer Interpel­lationsantwort. Ein «hochwertiges und teures ­Produkt» erhalte durch die Pannenserie einen Image-schaden und verärgere Kundinnen und Kunden. Und: «Bei einer öffentlichen Transportunternehmung muss vorausgesetzt werden, dass technische Projekte mit der gebotenen Sorgfalt vorbereitet und getestet werden.»

Das Debakel ärgert auch die Geschäftsprüfungskommission des Grossen Rates. Anfang Woche liess die Kommission in ihrem Bericht verlauten, dass die BVB das Problem mit ihren Anzeigetafeln nun raschmöglichst zu lösen hätten. Gar kein Verständnis hat das Gremium dafür, dass die BVB das «leidige Thema» in ihrem vor Selbstbewusstsein strotzenden Jahresbericht 2012 komplett verschweigen. Die GPK sei über diese Informationspolitik «enttäuscht».

Verärgert haben die BVB die Mehrheit des Grossen Rates im Mai zudem mit dem Entscheid, einen Teil ihrer Flotte mit neuen Dieselbussen zu ersetzen – nicht mit Bussen, die mit erneuerbarer Energie fahren. Das Parlament reagierte und verabschiedete eine Motion, um dies künftig zu verhindern.

Kommunikationsabteilung wächst und wächst

Ein weiterer Kratzer am Image der BVB, obwohl Direktor Baumgartner grossen Wert auf Kommunikation legt. Seit er am Ruder ist, hat er die PR-Abteilung markant ausgebaut. Inzwischen kümmern sich ein halbes Dutzend Personen um einen möglichst guten Auftritt der BVB. Die Kommunikationsabteilung beschäftigt eine Mediensprecherin, einen Leiter Marktkommunikation, die Funktion Head Public ­Affairs und eine Leiterin interne Kommunikation. Damit nicht genug: Im Herbst wird Stephan Appenzeller die neu geschaffene Stelle Leiter BVB-Unternehmenskommunikation übernehmen. Appenzeller war einst für die interne und externe Kommunika­tion von SBB Cargo verantwortlich.

Und vor Kurzem schrieben die BVB bereits die nächste Stelle aus. Diesmal gesucht: eine Fachperson für die externe Kommunikation. Somit kümmern sich künftig sechs Personen um die Kommunikation der BVB. Zum Vergleich: Die Zürcher Verkehrsbetriebe (VBZ) beschäftigen gleich viele Angestellte in dieser Abteilung – nur sind sie mit knapp 2500 Angestellten gut doppelt so gross wie die BVB.

Seit dem Ausbau der Kommunikationsabteilung werden mehr Hochglanzbroschüren und Youtube-Werbefilme produziert. Für Medienschaffende dagegen ist es schwieriger geworden, an fundierte Informationen zu gelangen. Am Telefon gibt es keine Auskunft mehr. Wer etwas wissen will, muss seinen Fragekatalog per E-Mail an die «Medienstelle» schicken. Baumgartner räumt ein: «Unsere Kommunikation verlief in letzter Zeit tatsächlich nicht optimal.» Ab Herbst werde die Situation wieder besser. «Von Stephan Appenzeller erhoffen wir uns eine Verstärkung in der Kommunikation.»

Die Kommunikationsabteilung der BVB ist gleich gross die diejenige der Zürcher Verkehrsbetriebe. Nur beschäftigen die ZVB mehr als doppelt so viele Personen wie die BVB.

Wie viel Gewicht das Image bei den BVB hat, zeigt eine Episode am Rande des Interviewtermins mit der TagesWoche. Der Fotograf musste unverrichteter ­Dinge wieder von dannen ziehen. Gudenrath und Baumgartner hatten nicht mit ihm gerechnet – und im Freizeithemd wollten sie sich nicht foto­grafieren lassen.

Chauffeure beklagen «Kontrollfimmel»

Seit dem Antritt von Verwaltungsratspräsident Gudenrath im Jahr 2010 stieg der Personalaufwand um 7,5 Prozent. Zählte das Unternehmen 2010 noch 960 Vollzeit-Stellen, waren es 2012 deren 1032. An der Front macht sich dies allerdings kaum bemerkbar; ausgebaut haben die BVB vor allem ihre Verwaltung. Bei den Chauffeuren kommt dies nicht gut an. Sie reden von «Gschpürschmi»-Aktionen, wie jene Motivationsschreiben im Kreditkartenformat, die an die Mitarbeitenden verteilt wurden.

Gemäss der Gewerkschaft VPOD ist die Stimmung zwischen Belegschaft und Chefetage seit der Ära Gudenrath/Baumgartner angespannter als früher. Mehrere Chauffeure berichten von «Kontrollfimmel». «Fahre ich einen Millimeter zu nahe an den Rand, wird ein grosses Büro aufgemacht. Wir spüren von oben einen massiven Druck», sagt ein Fahrer bei einer Zigarettenpause an der Schifflände. Es werde regelrecht nach Fehlern gesucht. «Der Kontrollwahn geht den Leuten auf den Sack. Wir werden wie Kinder behandelt. Neuerdings wird alles sofort beanstandet», sagt ein anderer.

VPOD-Regionalsekretär Matthias Scheurer bestätigt die Aussagen der Chauffeure. Der Kontrollfimmel manifestiere sich in Nebensächlichkeiten: «Es gibt Vorgesetzte, die Chauffeure rüffeln, weil sie rote statt dunkle Socken tragen. Oder sie weisen sie an, sich die Haare schneiden zu lassen.» Dies verärgere die Fahrer, vor allem, wenn sie ihre Hauptauf­gabe erfüllen würden: die Passagiere freundlich, ­sicher und fahrplanmässig ans Ziel zu bringen.

Jürg Baumgartner bestreitet, dass die Kontrollen zugenommen hätten. «Bei der Sicherheit aber gibt es keine Kompromisse. Jeden Vorfall auf dem ganzen Schienennetz analysieren wir genau.» Das sei schon immer so gewesen. Neu sei einzig, dass «wir dies offen thematisieren und nach unseren Kontrollen Feedbacks geben». Deshalb könne vielleicht der Eindruck entstehen, dass mehr kontrolliert würde.

«Radioverbot löste Erdbeben aus»

Ebenfalls aus Sicherheitsgründen verbot die Direktion der Belegschaft Anfang Jahr, während der Fahrt Radio zu hören. «Das Radioverbot hat ein Erdbeben ausgelöst bei uns», sagt ein Chauffeur. «Wieso das nicht mehr möglich sein soll, leuchtet mir nicht ein, zumal es deswegen noch nie zu einem Unfall gekommen ist.»

Die Mitarbeitenden wehrten sich vor mehreren Monaten mit einer Petition dagegen. Inzwischen haben die direkten Vorgesetzten der Chauffeure einen Kompromissvorschlag auf den Tisch gelegt: Radio hören in angemessener Lautstärke soll weiterhin erlaubt sein. Allerdings muss die Geschäftsleitung diesen Vorschlag noch absegnen.

Die BLT ist sichtlich bemüht, kein falsches Wort über die BVB zu verlieren.

Nicht nur das Verhältnis zwischen Direktion und Personal hat seit der Machtübernahme Gudenraths und Baumgartners gelitten, auch die Beziehung zur BLT hat sich abgekühlt. Die beiden Transportunternehmen streiten öffentlich darüber, wer die neue Tramstrecke zwischen Basel und Binningen betreiben darf. Mit dem 27 Millionen teuren Margarethenstich, der im Dezember 2017 eröffnet werden soll, wollen die Regierungen beider Basel das Leimental und seine grossen Vorortgemeinden besser an den Bahnhof SBB anbinden. Für die BLT ist klar: Sie ist prädestiniert, die neue Strecke zu befahren. Die BVB hingegen wollen die Linie selber führen – notfalls gemeinsam mit der BLT.

Auf den Zwist mit der BLT angesprochen, verweist BVB-Präsident Martin Gudenrath auf den Staatsvertrag aus dem Jahr 1982 zwischen Baselland und Basel-Stadt. Dieser hält fest, wie die Leistungen, die ein Tramanbieter auf fremdem Kantonsgebiet erbringt, abgegolten werden. «Warum sollen wir die unrentable 14er-Linie bis Pratteln fahren und uns dann vor­werfen lassen, wir würden ein Defizit machen? Das sind basellandschaftliche Defizite.» Man habe kein Problem mit der BLT, sagt Gudenrath. «Wir interpretieren den Staatsvertrag einfach unterschiedlich und ringen hart, aber fair um eine gute Lösung.»

BLT-Chef Andreas Büttiker auf der anderen Seite ist sichtlich bemüht, kein falsches Wort über die BVB zu verlieren. «Die Zusammenarbeit auf strategischer Ebene ist anspruchsvoller geworden. Mehr will ich dazu nicht sagen, das wäre kontraproduktiv.» Wer den Margarethenstich dereinst befahren darf, müsse jetzt die Politik entscheiden.

Kiosk Kannenfeldplatz soll nun doch bleiben

Dass ein anderes Regime bei den BVB herrscht, bekamen auch die Kioskbetreiber am Kannenfeldplatz zu spüren. In jahrelanger Arbeit hatte ein Ehepaar aus Sri Lanka eine Bruchbude in ein florie­rendes Geschäft verwandelt. Vor Kurzem erhielten Iyam­pillai Chandrakumarer und seine Frau Kalpana die Kündigung – obwohl das Transportunternehmen noch nicht weiss, was es mit dem denkmalgeschützten Tramhäuschen am Kannenfeldplatz machen will. Immerhin: Nach einem Bericht der TagesWoche und Reaktionen der Bevölkerung wollen die BVB den Entscheid nun rückgängig machen.

«Der Kiosk am Kannenfeldplatz soll bleiben, daran sind wir interessiert. Wir werden in den nächsten zwei Wochen ein Gespräch mit den Kioskbetreibern führen und eine Lösung suchen», erklärt Andrea Knellwolf, Head Public Affairs und Generalsekräterin des Verwaltungsrats.

Keine Lösung gibt es für den Verein Pro St. Johann, der sich für die «Wirtschaftsakteure in Grossbasel-West» einsetzt. Während rund zwei Jahrzehnten hatte der Verein für seine Mitglieder eine Vitrine der BVB an der Haltestelle St.-Johanns-Tor gemietet. Ende 2012 bekam Präsident Christoph Tanner Post vom Unternehmen. Die BVB wollten plötzlich 20 Prozent mehr Miete für das Schaufenster. Tanner sah sich aus finanziellen Gründen gezwungen, die Werbefläche aufzugeben. «Die Welt dreht deswegen nicht in eine andere Richtung. Elegant finde ich die Preiserhöhung der BVB aber trotzdem nicht, zumal sie an der Vitrine und der Station keinerlei Unterhalt gemacht haben», sagt Tanner.

Bis in die Königsklasse der europäischen Transportunternehmen haben die BVB noch einen weiten Weg vor sich. Wie lange es dauern kann, könnten die Verantwortlichen der BVB beim FC Basel in Erfahrung bringen: Vom Aufstieg aus der National­liga B bis zur ­ersten Qualifikation für die Champions League verstrichen acht Jahre.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 28.06.13

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