Nein zur zweiten Röhre wäre ein Horror

Der Verzicht auf eine zweite Gotthardröhre blockiert nicht nur die wichtigste Nord-Süd-Verbindung, er stellt zudem ein nicht verantwortbares Risiko dar, schreibt Franz Steinegger, ehemaliger FDP-Präsident aus dem Kanton Uri.

Der Urner alt Nationalrat Franz Steinegger posiert im Sicherheitsstollen des Gotthard-Strassentunnels anlässlich einer Medienführung durch den Tunnel am Freitag, 4. September 2015, bei Göschenen. (KEYSTONE/Urs Flüeler)

(Bild: KEYSTONE/Urs Flueeler)

Der Verzicht auf eine zweite Gotthardröhre blockiert nicht nur die wichtigste Nord-Süd-Verbindung, er stellt zudem ein nicht verantwortbares Risiko dar, schreibt Franz Steinegger, ehemaliger FDP-Präsident aus dem Kanton Uri.

Wahrscheinlich zwischen 1218 und 1230 wurde die Schöllenen mit Teufelsbrücke und Stiebendem Steg begehbar gemacht. Dies führte zu einem Aufschwung für die Gotthardroute. Um 1225 wurde unter Bischof Heinrich von Thun die erste Rheinbrücke erstellt.

Man redet heute von der zweiten Strassenröhre am Gotthard. Richtig beurteilt geht es nicht um diese Röhre, sondern um die Tatsache, dass wir alle 30 Jahre während drei bis vier Jahren wegen Sanierungsarbeiten keine Röhre hätten, die 340’000 Tessiner abgeschnitten sind und die wichtigste Nord-Süd-Verbindung nicht mehr funktioniert. 

Am Belchen hat man das Problem erkannt und baut dort eine dritte Röhre, damit immer zwei Röhren zur Verfügung stehen. Dort käme wohl niemandem in den Sinn, den Belchentunnel zwecks Sanierung während vier Jahren zu sperren und den Verkehr über den oberen und unteren Hauenstein sowie auf einen Bahnverlad Sissach–Olten zu verweisen. 

Der bestehende Strassentunnel am Gotthard muss saniert werden.

Wenn die Gegner der Sanierungsröhre nicht gerade eine neue Nebelschwade verpusten, anerkennen sie die Notwendigkeit der Sanierung. Sie möchten aber den Strassentunnel während neun Monaten pro Jahr geschlossen halten, um arbeiten zu können. Als Alternative soll zwischen Göschenen und Airolo ein PW-Verlad und zwischen Erstfeld und Biasca eine kurze Variante der «Rollenden Landstrasse» (Kurz-RoLa) für Lastwagen angeboten werden.

Statt einen Tunnel zu bohren, verbrauchen wir Landflächen.

Für einen Urner ist diese Alternative ein Horror. Statt einen Tunnel zu bohren, verbrauchen wir in Erstfeld und Göschenen Landflächen von etwa zehn Fussballfeldern für Verladeanlagen, und dies alle 30 Jahre erneut.

Mit der Verladeanlage in Erstfeld schützen wir vor allem Steine. Diese Lastwagen müssen aber durch die Wohn- und Wirtschaftszonen von etwa 85 Prozent der Urner Bevölkerung fahren, um diese Verladeanlage zu erreichen oder zu verlassen. Diese Verladelösung geht von einem beträchtlichen Ausweichverkehr aus. Die engen Kurven am San Bernardino, am Simplon und am Sankt Bernhard lassen grüssen.

Am schlimmsten ist aber, dass die Neat-Trassen durch verladene Lastwagen missbraucht und damit Containerzüge von Grenze zu Grenze verhindert würden. Statt die Container in Deutschland zu verladen, müsste dann der Lastwagen bis nach Erstfeld fahren, um dort die Neat-Kapazitäten zu reduzieren. Zur Erhöhung der Kapazität dieser Kurz-RoLa müsste obendrein das Nachtfahrverbot gelockert werden.

Die Abschaffung des Alpenschutzartikels ist die Gefahr der Demokratie – in 100 Jahren.

Für die PW-Verladelösung Göschenen–Airolo geht man bei besten Voraussetzungen von der Kapazität einer Passstrasse aus. Umwegverkehr über den Gotthardpass sowie die Bündner- und Walliserpässe ist damit programmiert. Programmiert sind aber auch zusätzliche Staus auf National- und Kantonsstrassen zwischen Amsteg und Göschenen.

Bei der Erarbeitung des Sanierungsprojektes bildete der Alpenschutzartikel in der Bundesverfassung den Rahmen. Im Gesetz, über das abgestimmt wird, wird diese Vorgabe der Verfassung peinlich genau eingehalten und konkretisiert. Das Tropfenzählersystem kommt ins Gesetz, und die beiden Röhren enthalten je eine Fahrspur und einen Pannenstreifen.

Natürlich könnte in 100 Jahren in der direkten Demokratie eine Mehrheit von Volk und Ständen den Alpenschutzartikel abschaffen. Das ist aber ein Risiko der Demokratie. Eine Mehrheit von Volk und Ständen könnte auch Kantone und Eisenbahn abschaffen.

Die Italiener und Franzosen haben das Risiko des Gegenverkehrs längst erkannt.

Und schliesslich wird noch der Druck der EU an die Wand gemalt. Gerade diesem würden sich die Schweizer Stimmbürger wohl kaum beugen. Überdies ist das Sanierungskonzept am Gotthard keine Premiere. Bereits 2019 wird der 12,9 Kilometer lange Fréjus-Strassentunnel zwischen Frankreich und Italien entsprechend dem Konzept Gotthard mit Fahrstreifen und Pannenstreifen in Betrieb genommen.

Das Konzept von zwei Tunneln mit je einem Fahrstreifen und einem Pannenstreifen ist abgesichert durch einen Staatsvertrag, der zwischen Präsident François Hollande und dem damaligen Ministerpräsidenten Mario Monti geschlossen wurde. Franzosen und Italiener erkannten, dass derart lange Strassentunnels mit Gegenverkehr ein nicht verantwortbares Risiko darstellen, und fanden eine Antwort analog zur geplanten Lösung am Gotthard.

Es bleibt zu hoffen, dass sich ein ähnliches Verantwortungsbewusstsein auch in der Schweiz durchsetzt.

_
Nein, sagt Alf Arnold und erklärt warum.

Nächster Artikel