Neue Kampagne für mehr Verkehrssicherheit ist umstritten

Durch Blickkontakt zwischen Autofahrern und Fussgängern sollen Unfälle beim Überqueren der Strasse verhindert werden. Für Marco Hüttenmoser vom Netzwerk «Kind und Verkehr» ist die Kampagne «Such Blickkontakt» gefährlich und somit verschleudertes Geld.

Augenkontakt mit dem Fahrer aufzunehmen ist mehr als schwierig, wenn die Scheiben dunkel sind. (Bild: zVg Kind und Umwelt)

Durch Blickkontakt zwischen Autofahrern und Fussgängern sollen Unfälle beim Überqueren der Strasse verhindert werden. Für Marco Hüttenmoser vom Netzwerk «Kind und Verkehr» ist die Kampagne «Such Blickkontakt» gefährlich und somit verschleudertes Geld.

Regelmässigen Fernsehzuschauern ist der Werbespot bestimmt bekannt, denn er läuft praktisch täglich und mehrmals am gleichen Abend im Schweizer Fernsehens – das Filmli mit dem Mann (siehe Textende), der einen anderen nach dem Weg fragt und nie schaut, in welche Richtung dieser zeigt. Die Moral der Geschichte: Fehlender Blickkontakt zwischen Autofahrer und Fussgänger kann beim Überqueren der Strasse lebensgefährlich sein, mit Blickkontakt hingegen wissen die Verkehrsteilnehmer sich richtig zu verhalten, sie kommunizieren miteinander. So endet der Spot mit dem Slogan «Ohne Blickkontakt kommt es schnell zu Missverständnissen». Diese Kampagne, sagt Marco Hüttenmoser, Leiter der Forschungs- und Dokumentationsstelle Kind und Umwelt und Koordinator des Netzwerks Kind und Verkehr, schiesse nicht nur am Ziel vorbei, sie sei sogar gefährlich.

Getönte Scheiben und Lichtspiegelungen auf den Frontscheiben, sagt Hüttenmoser, verhinderten die Sicht von aussen ins Innere eines Fahrzeugs. Wenn überhaupt der Lenker erkennbar sei, dann allenfalls als Umriss und erst aus kurzer Distanz. «Aus derart schwierigen Umständen zu schliessen, dass ein – zumeist nicht wirklich vorhandener, sondern eingebildeter – Blickkontakt es erlaube, das künftige Verhalten des Lenkers einzuschätzen, ist Kaffeesatzleserei.» Statt dass Missverständnisse ausgeräumt würden, sagt Hüttenmoser, führe diese Kampagne tatsächlich zu Missverständnissen.

Nichts für Kinder

Vollkommen aber versagt die Kampagne bei den Kindern, die besonders gefährdet sind, sagt Hüttenmoser. Für sie sei es – nebst den bereits erwähnten Schwierigkeiten – allein schon von der Körpergrösse unmöglich, den Fahrer zu sehen. «Das zeigen Kinderzeichnungen von Autos deutlich: Kinder zeichnen, wenn überhaupt, die Lenker ganz klein, weil sie ihn praktisch nie sehen.» Deshalb lernten die Kinder ja auch richtigerweise durch die Verkehrsinstruktoren, die Strasse erst zu queren, wenn die Autos stillstehen.

«Wir werden die Kinder auch weiterhin ganz klar so instruieren», sagt Franco Castronari, stellvertretender Ressortchef Verkehrsprävention bei der Kantonspolizei Basel-Stadt. Das habe bisher gegolten und gelte auch in Zukunft. In die aktuelle Kampagne «Such Blickkontakt» seien die Verkehrsinstruktoren nicht involviert, man habe sie am 7. November darüber informiert und gesagt, dass sie ab dem 12. November aufgeschaltet werde.

Die Kampagne ist ein gemeinsames Projekt vom Automobilclub der Schweiz (ACS), von der Stiftung RoadCross Schweiz, die aus der Vereinigung von Familien von Verkehrsopfern hervorgegangen ist, sowie dem Schweizerischen Verkehrssicherheitsrat, der Dachorganisation für Sicherheit im Strassenverkehr. Bewilligt wurde die Kampagne vom Bundesfonds für Verkehrssicherheit, mit dem der gesetzliche Auftrag der Verkehrsprävention erfüllt werden soll. Für die Kampagne «Such Blickkontakt» ist eine Laufzeit von drei Jahren vorgesehen.

Für breite Bevölkerung

Silvan Granig von RoadCross wehrt sich für die Kampagne und gegen Hüttenmosers Kritik. «Wir sagen nicht, sucht Blickkontakt und lauft los.» Es gehe vielmehr darum, bei Autofahrern und Fussgängern ein Bewusstein dafür zu schaffen, gegenseitig aufeinander zu achten. Und: «Kommt kein Blickkontakt zu Stande, ist höchste Vorsicht geboten.» Zudem richte man sich mit dieser Kampagne nicht an die Kinder, sondern an die breite Bevölkerung. Explizit auf die Kinder gehe man dann im dritten Jahr ein, so wie man im zweiten die Kampagne auf die Senioren ausrichte.

«Wie will man mit dem Slogan ‹Such Blickkontakt› auf die Kinder eingehen?», fragt sich Hüttenmoser. Er bleibt dabei, wenn eine sechs Millionen teure Kampagne auf einem frommen Wunsch beruhe, sei das Geld verschleudert. Ein Slogan, der sich im Verkehrsalltag nicht wirklich umsetzen lasse und zudem bei bestimmten Verkehrsteilnehmern wie bei den Kindern gar nicht anwendbar sei, «ist Wischiwaschi». Sein Rat: «Als schwächerer Verkehrsteilnehmer richte ich als Fussgänger meine ganze Aufmerksamkeit auf das Fahrzeug, in ihm spiegelt sich das Verhalten des Lenkers und nicht in seinen Augen, die ich sowieso nicht sehen kann.»


 

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