Im Schatten des Kampfes gegen die IS-Terrormiliz haben fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit die schiitischen Houthi-Rebellen die jemenitische Hauptstadt Sanaa unter ihre Kontrolle gebracht. Nun schwelt im Süden der arabischen Halbinsel ein neuer, gefährlicher Brandherd.
Hunderte Aktivisten haben diese Woche die «Mauer der Angst durchbrochen» und demonstrierten im Zentrum von Sanaa mehrmals auf den Strassen, um einen Abzug der «bewaffneten Milizen» aus der jemenitischen Hauptstadt zu verlangen.
Seit zehn Tagen regieren hier die Houthi-Anhänger aus dem Norden des Landes. In blutigen Kämpfen, bei denen etwa 300 Menschen getötet wurden, haben sie die Kontrolle übernommen. Derzeit sind sie immer noch mit eiserner Hand dabei, ihre Positionen zu festigen; haben etwa das Ölministerium besetzt. 70 Prozent der jemenitischen Einkünfte stammen aus den Verkäufen von Öl und Gas. Die Houthi-Anhänger konfiszieren schwere Waffen von Basen der Armee und von Stammesmilizen, die sie überrannt haben, und verlegen das Kriegsgerät in ihr Stammland.
Am Anfang stand ein Mord
Bis jetzt haben die Houthi-Rebellen noch keine Anstalten gemacht, Sanaa zu verlassen, obwohl sie einen vom UN-Sondergesandten Jamal Benomar vermittelten Friedensvertrag unterzeichnet haben. Dieser sieht neben einem Waffenstillstand und dem Rückzug der Houthi-Kämpfer – allerdings ohne konkretes Datum – die Bildung einer neuen Regierung unter einer neutralen Persönlichkeit vor. Auch der Preis für Benzin soll wieder gesenkt werden. Diese Preiserhöhungen hatten die Houthi-Rebellion in den letzten Wochen kräftig angefacht.
Seit zehn Jahren streiten die Houthi-Anhänger – auch bekannt als Ansarullah – für mehr Einfluss auf der politischen Bühne des ärmsten arabischen Landes, das vor allem von Stammesloyalitäten und einer schwachen Zentralgewalt geprägt ist. Ihr Kernland ist die bergige Gegend im Norden des Landes, in der Region der Stadt Saada. Ihren Namen haben sie von ihrem ehemaligen Anführer Hussein Badraddin al-Houthi, der 2004 nach den ersten, winzigen Aufständen vom damaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh ermordet wurde. Ihm folgte sein jüngerer Bruder Abdul-Malik al-Houthi nach.
Die Houthis sind Schiiten. Sie zählen zu den Zaiditen, einer speziellen Ausprägung des Schiismus. Die Zaiditen hatten Jemen über 1000 Jahre bis 1962 regiert. Auch der nach der jemenitischen Revolution von 2012 abgesetzte Saleh gehört zu den Zaiditen, die im Jemen fast die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Allerdings unterstützt nur ein Teil von ihnen die Houthis.
Weitere Niederlage für die Muslimbrüder
Zwischen 2004 und 2010 haben die Houthi-Rebellen sechs Kriege gegen die Zentralmacht geführt. Die Waffenstillstände, von verschiedenster Seite vermittelt, haben nie gehalten. In den letzten vier Jahren hat die Regierung tausende Stammesangehörige aus dem Norden des Landes rekrutiert, um die Aufständischen zu bekämpfen. Diese Taktik hat zur einer Intensivierung des Konfliktes und einer Ausweitung in andere Provinzen geführt. Die Houthis versuchten insbesondere einen Landkorridor zu den Ölfeldern in Marib unter ihre Kontrolle zu bringen.
Die jüngsten Forderungen der bewaffneten Rebellen nach einer Reduktion der Benzinpreise, einer effiziente Bekämpfung der Korruption und einer neuen Regierung fanden in den letzten Wochen in breiten Kreisen der Bevölkerung Zustimmung. Parallel dazu konnten sie auch militärische Erfolge verbuchen. Im Laufe ihres Vormarsches erbeuteten sie immer mehr Waffen. Viele Stammesführer schwenkten zu ihnen über und auch die Armee leistete wenig Widerstand. In Sanaa haben sie dann auch die Milizen der Islah Partei, des jemenitischen Zweiges der Muslimbrüder, geschlagen. Die Islah Partei hat die Regierungspolitik in den letzten Jahren massgeblich bestimmt.
Zwar sind im Jemen religiöse Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten unbekannt. Das heisst aber nicht, dass die beiden Wächter dieser Religionsgemeinschaften – der Iran und Saudi-Arabien – nicht ihren Einfluss geltend machen würden. Arabische Kommentatoren sprechen von einem Houthi-Iran-Hizbollah-Dreieck. Saudi-Arabien hat den Jemen über Jahre mit viel Geld unterstützt.
Saudi-Arabien warnt
Diese neusten Umwälzungen im Südzipfel der arabischen Halbinsel sind wegen der Fokussierung auf den Kampf gegen die IS-Terrormiliz im Irak und in Syrien von der grossen Öffentlichkeit fast unbemerkt geblieben. Sie sind aber extrem brisant, denn der Jemen wird von zwei weiteren Konflikten, dem Kampf gegen al-Qaida Terroristen und eine Abspaltungsbewegung im Süden schwer erschüttert. Ziehen sich die Houthi-Rebellen nicht aus der Hauptstadt zurück, besteht die Gefahr eines offenes Bürgerkrieges in dem mit Waffen überschwemmten Land.
Damit wären auch die Ergebnisse des nationalen Dialogs, mit der Einrichtung einer Föderation, Makulatur. Vor einer Eskalation fürchtet sich insbesondere Saudi-Arabien, das schon im IS-Kampf engagiert ist. Aussenminister Prinz Saud al-Faisal sprach von einer «nie da gewesenen Herausforderung» an der Südgrenze des Königreichs und verlangte, dass das Friedensabkommen sofort umgesetzt werde.