Guy Morin hat im Wahlkampf an Profil gewonnen. Seine Schwächen und die des Präsidialdepartements kann er trotzdem nicht verbergen.
Der Augenblick der Erwartung: Zwei Musiker bauen sich vor den Gästen im Grossratssaal auf, die zur Würdigung des Schlagzeugers Fritz Hauser gekommen sind. Er erhält den Basler Kulturpreis 2012. Musik, Dankeschön. Dann der Augenblick der Ernüchterung: Mit den Sticks klicken die beiden einen Rhythmus auf die Fassung der Trommel. Schlagzeug als Kammermusik, würdig und somit preiswürdig – gerade für einen Mann der leisen Töne wie Guy Morin.
Es ist der vierte Auftritt des Regierungspräsidenten an diesem Montag. Morin hält die Laudatio, er redet wie ein Trommler, der nur auf den Rand klopft, um nicht zu viel Lärm zu erzeugen. Er will anregen, aber bloss nicht aufregen. Klickt sich durch den Text, überbetont jede Silbe, wenn er die «ganz zwei-fel-los ho-he und an-spruchs-vol-le Kunst» Hausers lobt. Auf Guy Morins Art zu reden lässt sich viel von der Kritik an ihm und seinem Departement übertragen: falsche Betonungen, verkopft, schematisch. Doch ist das gerecht?
Vor der Preisverleihung sitzt Morin im präsidialen Büro. Er will die Vorwürfe entkräften, die ihn nicht erst seit dem Wahlkampf begleiten und die spürbar an ihm nagen. Morin ist jetzt nicht der schrullige Redner oder der gutherzige Stadtvater, den man für seine Trauung engagieren oder bei Problemen mit der Ehefrau anrufen möchte. Der Wahlkampf hat den Grünen mehr herausgefordert, als er es zugeben würde. Er hat ihn dazu gezwungen, sich zu erklären und sein Profil zu schärfen, während Kontrahent Baschi Dürr aus Rücksicht auf eine möglichst breite Wählerschaft laufend an Kontur verloren hat.
Auf Thomas Kessler angewiesen
Morin wirkt neuerdings selbstbewusst angriffig. Er ist es leid, sich und sein Departement dauernd rechtfertigen zu müssen, auch wenn er sagt, dass dies dazugehöre. Aber bald soll Schluss damit sein. «Vor vier Jahren warf man mir ja vor, in stiller Wahl Präsident geworden zu sein. Wenn ich am 25. November klar gewählt bin, hört das auf, dann hab ich die Legitimation», sagt Morin.
Genug hat er auch davon, sich wegen seines extrovertierten Stadtentwicklers Thomas Kessler permanent Führungsschwäche vorwerfen lassen zu müssen. Auf diesen wunden Punkt angesprochen, verdreht er die Augen, verwirft die Hände und wird lauter: «Man tut sich in Basel offenbar schwer mit Persönlichkeiten, die eine pointierte und fundierte Meinung haben. Das ist reine Neidkultur. Deshalb finde ich es schwach, mir dann Führungsschwäche vorzuwerfen.» Denn er schätze es, einen derart profilierten Mitarbeiter zu haben.
Morins Wertschätzung kommt nicht von ungefähr. Er ist auf eine starke Figur wie Thomas Kessler angewiesen. Wer, wenn nicht Kessler, könnte dem blutleeren Departement sonst noch ein Gesicht verleihen? Dass der frühere Hausarzt wegen seines Stadtentwicklers oft in Turbulenzen gerät, ist der Preis dafür. «Ich überlege nicht taktisch. Es geht mir um Inhalte. Ich habe halt einen anderen Führungsstil als andere, aber es funktioniert bestens», sagt Morin.
Nicht ganz. Sein seit 2009 existierendes Präsidialdepartement kämpft immer noch um die Daseinsberechtigung. Das Fluchen in der Verwaltung über Morin und seine Mitarbeiter hat zwar markant abgenommen, Sinn und Zweck des Departements wollen aber immer noch nicht einleuchten. Nicht zuletzt deshalb, weil das Präsidialdepartement – ausser in der Abteilung Kultur, wo Morins Arbeit verwaltungsintern in den höchsten Tönen gelobt wird – nicht viel zu sagen hat. Morins Departement ist eine Fehlkonstruktion, weil man von Anfang an kein starkes Präsidialdepartement wollte. Auch ein Baschi Dürr könnte wohl nicht mehr rausholen.
Scherzabteilung Kantons- und Stadtentwicklung
Vor allem Thomas Kesslers Kantons- und Stadtentwicklung wird als Scherzabteilung wahrgenommen, die ausser Philosophieren, Leitbilder verfassen und Broschüren herausgeben nicht viel machen könne. Beispiel Kasernenentwicklung: Das endlose Ringen um eine Öffnung, um eine Neuausrichtung sollte Kessler mit einem Sanierungskonzept beenden. Das Resultat ist ein Papier, von dem Christoph Meury, Betreiber des Theater Roxy und auch auf der Kaserne engagiert, sagt: «Es ist voll von unscharfen Begriffen, welche wortreich und fantasievoll Dinge formulieren, die letztlich als Nullformeln dastehen.»
Tatsächlich geht aus dem Konzept kein Fokus oder Leitgedanke hervor. Dafür stehen dort Sätze wie dieser: «Das Kasernenareal soll sich zum städtischen Experimentierfeld mit Treibhauscharakter entwickeln. Es soll ein Cluster mit aufeinander abgestimmten und sich gegenseitig ergänzenden Nutzungen entstehen.» Meury nennt das Papier ein «Sammelsurium inhaltsloser Aktivitäten». Es könnte von einem PR-Berater stammen.
Morin verteidigt das Konzept: «Die Kaserne ist ein politisch sehr heikles Geschäft.» Deshalb sei es wichtig, alle Anspruchsgruppen bei Laune zu halten. Geschrieben hat es übrigens nicht Stadtentwickler Kessler, sondern Morin selber. «Wort für Wort», wie er sagt. Gegen aussen darf Kessler polarisieren, gegen innen hat ihm Morin die Hände gebunden. Morins Vorsicht hat einen Grund. Sobald es um die Umsetzung geht, liegt die Zuständigkeit bei anderen Departementen. Einzig bei den Themen Quartiermitwirkung und Zwischennutzungen kann Kesslers Stadtentwicklung eigene Akzente setzen.
Ein Büchlein in Griffnähe
Die Erwartungen erfüllen kann auch die Abteilung Gleichstellung von Frauen und Männern nicht. Sie verfolgt mit nicht mal vier Vollzeitstellen grosse Ziele, will die Lohnungleichheit bekämpfen, will, dass «häusliche Gewalt keine Opfer mehr fordert». Die Fachstelle zum Thema indes liegt im Justiz- und Sicherheitsdepartement. Dort unterhält man seit einem Jahr kein gemeinsames Projekt mit dem Gleichstellungsbüro mehr. Und auch der Kampf gegen ungleiche Löhne bleibt eine Ankündigung. Der Regierungsrat hat selber in einer Interpellationsantwort bestätigt, dass dafür die Ressourcen fehlen.
So bleibt viel Schein im Präsidialdepartement und ein Präsident, der sich sichtlich Mühe gibt, diesen Schein zu wahren. Er tut, was ihm keiner streitig macht, er geht raus, redet mit dem Volk, lädt zu Empfängen. Zwei öffentliche Auftritte pro Tag seien es, sagt Morin.
Für schwache Momente liegt in seinem Büro ein Büchlein mit der Verfassung griffbereit. Die Stellen zur Funktion seines Departements sind gelb markiert. Morin muss es oft gelesen haben. Im Gespräch rezitiert er den ganzen Text auswendig.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16.11.12