Nichts als Schatten

Beliebt sind tiefenpsychologische Deutungen, gruppendynamische Erklärungen oder die garantiert banalen Anmerkungen von irgendeinem «Style»-Experten. Wir lassen bei der Betrachtung des aktuellen Bundesratsfotos einen sprechen, der wirklich drauskommt: unseren Bildchef Hans-Jörg Walter.

Das aktuelle Verbrechen. (Bild: Corinne Glanzmann)

Beliebt sind tiefenpsychologische Deutungen, gruppendynamische Erklärungen oder die garantiert banalen Anmerkungen von irgendeinem «Style»-Experten. Wir lassen bei der Betrachtung des aktuellen Bundesratsfotos einen sprechen, der wirklich drauskommt: unseren Bildchef Hans-Jörg Walter.

Schön, bleibt wenigstens ein Stückchen Welt berechenbar. Das neue Jahr beginnt wie immer mit Apéros, leeren Zügen, komischen Feiertagen und – dem aktuellen Bundesratsfoto! Und weil das Erscheinen des Fotos so schön berechenbar ist, bestellen die notorischen Medienmacher in diesem Land genauso berechenbar für die «stille Zeit» einen Satiriker, einen Psychologen, einen «Style»-Berater, einen Bewegungstherapeuten, einen Gruppentherapeuten, einen Farbtherapeuten oder einen Geistlichen, um den Zustand unserer Landesregierung anhand eines Bildchens für mindestens ein Jahr festzumachen.

Uns interessiert das, ehrlich gesagt, nicht wirklich. Ob Ueli Maurer als Einziger die Arme hinter der Rücken verschränkt hat, Simonetta Sommaruga als Einzige mit einer farblich abgestimmten Jacke mit dem bäumigen Hintergrund eins wird oder Johann Schneider-Ammann (nicht als Einziger) nicht nur mit Worten, sondern auch allein mit Aussehen langweilen kann – was solls.

Uns interessiert stattdessen die Meinung eines echten Experten. Unser Bildchef Hans-Jörg «Fonzi» Walter hat sich am Morgen des Berchtoldstags das aktuelle Bundesratsbild angeschaut und wurde dabei von einem metaphysischen Gruseln erfasst: «Wieso schafft es die Regierung nicht, gleichzeitig vor einem Fotografen zu erscheinen? Und warum hat sie nicht einen fähigen Bildbearbeiter, der das Terminproblem unauffällig retouchieren kann? Schau mal diese Schatten, alle falsch! Und die Freistellungen funktionieren auch nicht. Bei Burkhalter hats einen weissen Strich neben dem Kopf. Anfänger. Und erst die Grössenverhältnisse! Da wäre die Widmer-Schlumpf ja gleich gross wie der Ammann.»

Mit einem Klick gelangte Walter danach vom aktuellen Bild der Regierung zu all den früheren. Die Einzelwertungen folgen unten, die Gesamtwertung ist erschütternd: «Die Bundesratsbilder der vergangenen 19 Jahre sind von durchgehend mieser Qualität.»

Voilà – die Einzelwertungen:

2011

2011

Hans-Jörg Walter: «Eines der Besten – weil eine gewisse Symmetrie erkennbar ist. Aber auch hier: Es fehlt der Mut, aus der Anspielung auf das Foto des Jahres 1993 mehr als eine Anspielung zu machen.»

 

2010

2010

Hans-Jörg Walter: «Hoppla. Ist nun auch die Verwaltung im digitalen Zeitalter angelagt? Zehn Jahre früher wären die Pixel vielleicht originell gewesen. Aber auch nicht wirklich.»

 

2009

2009

Hans-Jörg Walter: «Ein weiteres Müsterchen aus der Reihe – Disaster aus dem Photoshop. Dafür hat der Fotograf/die Fotografin es geschafft, ein Portfolio der verschiedenen möglichen Armhaltungen zu produzieren. Zur Nachahmung dennoch nicht empfohlen.»

 

2008

2008

Hans-Jörg Walter: «Die originellste Bildidee. Schade aber, dass auch hier die Regierung nicht wirklich vor Ort war, sondern nachträglich per Photoshop die Volksnähe erst simuliert werden musste.»

 

2007

2007

Hans-Jörg Walter: «Ein wahrlich wegweisendes Bild. Leider aber abgeschaut. Und zwar vom Meister

 

2006

2006

Hans-Jörg Walter: «Hier wird der fehlende schwarze Anzug von Moritz Leuenberger vom roten Hintergrund (und seiner Krawatte) wettgemacht. Fotografisch schwierig ist die Lücke zwischen Micheline Calmy-Rey und Joseph Deiss. Und die Bundeskanzlerin hätte vor dem Termin noch aufs WC geschickt werden sollen – ein guter Fotograf achtet auf solche Dinge.»

 

2005

2005

Hans-Jörg Walter: «Als Werbefoto für USM Haller in Ordnung. Als Bundesratsbild fehlt die Farbe.»

 

2004

2004

Hans-Jörg Walter: «Hier ist keine Komposition erkennbar (auch wenn das wahrscheinlich Stunden dauerte, bis die Bundesräte genau so sassen. Was vor allem im Fall von Moritz Leuenberger eine schmerzhafte Prozedur gewesen sein muss). Plus: Die Auflösung überzeugt nicht wirklich – wahrscheinlich sehen wir hier das allererste Bundesratsbildli, das per Handy geschossen wurde.»

 

2003

2003

Hans-Jörg Walter: «Ach du meine Güte. Man beachte vor allem den Einsatz der Stühle. Stühle sind bei Gruppenbildern verpönt, weil sie eine Hierarchie schaffen (was im vorliegenden Fall aber wohl Absicht war…). Körperfülle lässt sich normalerweise mit Perspektive ausgleichen. Bei König Couchepin und der verdeckten Kanzlerin wurde das Gegenteil gemacht.»

 

2002

2002

Hans-Jörg Walter: «War damals nicht das Blair Witch Project aktuell? Schummrig und weich umflossen, der fahle Hintergrund wird bestens komplementiert mit dem farblosen Vordergrund – ein Grauen.»

 

2001

2001

Hans-Jörg Walter: «Beschiss! Das Licht kommt von rechts und dennoch fehlt auf dem Arm der Bundeskanzlerin ein Schatten. Ungeklärt bleibt auch, ob Villiger und Leuenberger hinter der aparten Blache Händchen halten.»

 

2000

2000

Hans-Jörg Walter: «Skihüttengaudi.»

 

1999

1999

Hans-Jörg Walter: «Ein seltenes Highlight. Nicht optimal komponiert, nicht optimal beleuchtet, aber irgendwie sympathisch.»

 

1998

1998

Hans-Jörg Walter: «Unvorteilhaft: Niemals ältere Herren und Damen von unten fotografieren! Wegen Schenkeln und Doppelkinns und so.»

 

1997

1997

Hans-Jörg Walter: «Die Leutschenbach-Crew.»

 

1996

1996

Hans-Jörg Walter: «Hier hatte der Fotograf wohl etwas Angst vor Nähe. Dafür hat der Moritz Leuenberger keine Hand im Gesicht, was er in den kommenden Jahren kultivieren sollte. Ein Lichtblick!»

 

1995

1995

Hans-Jörg Walter: «Leider hat der Fotograf den Gelbfilter auf der Kamera gelassen.»

 

1994

1994

Hans-Jörg Walter: «Eine Weitwinkel-Katastrophe. Warum wird die Regierung nur um diesen hässlichen Teppich herum gruppiert?»

 

1993

1993

Hans-Jörg Walter: «Man beachte den dominanten weissen Strich im Bild. Der ist nicht zentriert – was das ganze Bild zum Rutschen bringt.»

 

 

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