Nigeria erhält 1,1 Milliarden Dollar des verstorbenen Diktators Abacha zurück, dafür bleiben dessen Söhne straffrei. Der von Genfer Anwälten ausgehandelte Deal wirft Fragen auf. Zumal vor zehn Jahren, als Abacha-Gelder aus der Schweiz zurückgeführt wurden, 200 Millionen Dollar versickerten.
Er war ein Diktator, und er war korrupt: Sani Abacha, der von 1993 bis 1998 in Nigeria Angst verbreitete und Milliarden zusammenraffte. Nach Abachas Tod erhielt der afrikanische Staat eine neue Verfassung, und die Nachfolgeregierung unter dem demokratischen Präsident Obasanjo machte sich daran, die über 2 Milliarden Dollar, die Abacha in der halben Welt versteckt hatte, wieder zurückzuholen.
Wie diese Woche bekannt wurde, schloss die nigerianische Regierung (inzwischen unter Präsident Goodluck Jonathan) im letzten Sommer mit den Söhnen von Abacha einen Vergleich, der zunächst wie ein Happy End aussieht. Das Abkommen, das von Genfer Anwälten ausgehandelt wurde, sieht vor, dass Gelder von insgesamt 1,1 Milliarden Dollar, die in Liechtenstein, Luxemburg, Jersey, Frankreich und Grossbritannien blockiert gewesen waren, an Nigeria zurückerstattet werden.
Weltbank soll überwachen
Dafür zog Nigeria eine in Genf eingereichte Klage gegen Diktatorensohn Abba Abacha und weltweit auch alle weiteren Klagen gegen die Familienangehörigen zurück. Die Genfer Staatsanwaltschaft billigte den Handel und stellte ein Strafverfahren gegen Abba Abacha klammheimlich ein. Eine Tranche von 380 Millionen Dollar, die in Luxemburger Tarnfirmen versteckt waren, hat die Genfer Justiz inzwischen eingezogen. Mitgeteilt hat sie dies erst letzten Dienstag, nachdem «L’Hebdo» und «Tages-Anzeiger» in dieser Sache recherchierten.
Die Nichtregierungs-Organisation «Erklärung von Bern», die sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt, sieht aber keinen Grund, von einem guten Ausgang der Geschichte zu sprechen. Sie ist sogar konsterniert und bemängelt, dass die Verwendung der zurückgeführten Gelder im Voraus und «unter Einbezug der nigerianischen Zivilgesellschaft» hätte festgelegt werden sollen. Nur so sei garantiert, dass sie wirklich der Bevölkerung zugute kommen. Stattdessen wird die Weltbank beauftragt, in einem Monitoring-Prozess, der laut Genfer Justiz «noch auszuhandeln ist», zu überwachen, was mit den Geldern passiert.
Gelder flossen nicht in Entwicklungsprojekte, sie versickerten
In der Tat lief bei der Rückgabe einer früheren Tranche von Abacha-Geldern, die in Schweizer Banken lagerten, nicht alles wie geplant. Im Februar 2005 hatte das Bundesgericht die Rückführung von 460 Millionen Dollar an Nigeria angeordnet. Jedoch floss ein grosser Teil davon – laut «einer zuverlässigen Schweizer Quelle» 200 Millionen Dollar – nicht wie vorgesehen in Entwicklungsprojekte, sondern versickerten in dubiosen Kanälen. Dies brachte der Schreibende im Dezember 2006 bei einer Recherche für die «Basler Zeitung» in Erfahrung.
Nur wenige Tage darauf veröffentlichten nigerianische NGOs einen Bericht, der zwar keine Beträge nannte, aber den Befund bestätigte: Sie stellten fest, dass es von 54 Entwicklungsprojekten, die sie in Nigeria in dieser Sache zusammen mit der Weltbank überprüften, bei 16 zu groben Unregelmässigkeiten gekommen war. Neun Projekte waren schon vorher abgeschlossen und konnten unmöglich mit zurückgeführten Abacha-Geldern finanziert worden sein. Weitere sechs Bauprojekte fanden die Prüfer völlig verlassen vor, und ein Gesundheitsposten – Oroyo im Bundesstaat Cross Rivers – existierte überhaupt nicht.
Unter dem Regime von Sani Abacha wurden Hinrichtungen von politischen Opponenten vollzogen. Ausserdem stand die Presse unter Zensur. (Bild: JAMES FASUEKOI)
Auch damals schon hatten Nicht-Regierungsorganisationen gemahnt, die Verwendung der Gelder sei im Vorfeld zu klären. «Offenbar hat man aus der Vergangenheit nichts gelernt», sagt Oliver Classen, Mediensprecher der «Erklärung von Bern», heute dazu. Die Nachricht über den neuen Deal schlug in Nigeria laut Classen wie eine Bombe ein. Das Vertrauen der Leute sei sehr gering, dass das Geld diesmal wirklich der Bevölkerung zugute komme, weiss er aus Twitter-Nachrichten von Bekannten.
Abacha-Verteidiger ist FDP-Nationalrat
Ein schiefes Licht wirft der Deal auch auf die Genfer Anwälte, die ihn ausgehandelt haben. Enrico Monfrini, der Nigeria in dieser Sache vertritt und schon beim Aufspüren von Mobutu-Konten in der Schweiz mithalf, erhält vier Prozent der an Nigeria zurückgegebenen Summe. Christian Lüscher, der Abba Abacha verteidigte und für die Genfer FDP im Nationalrat sitzt, 2,8 Prozent. Diese Anteile sind laut UNO-Standards überrissen – empfohlen werden für beide Anwaltsparteien zusammen höchstens zwei Prozent. Zwar hat Lüschers Anwaltsbüro CMS von Erlach Poncet einen Grossteil der Summe an eine englische Kanzlei weitergegeben, ihm verbleiben aber immer noch (laut der bisher eingesammelten Beträge) 1,8 Millionen Dollar. Zum Vergleich: In Nigeria muss trotz Erdölreichtum über die Hälfte der Bevölkerung mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen. Bei einem landesweiten Durschnittsverdienst von 1100 Dollar pro Jahr müsste ein Nigerianer über 1600 Jahre arbeiten, bis er auf ein solches Gehalt käme.
Lüscher, der auch FDP-Vizepräsident ist und im Jahr 2009 beinahe Bundesrat geworden wäre (gewählt wurde Didier Burkhalter), kommt in der Romandie nun auch politisch unter Druck: Als Mitglied der Aussenpolitischen Kommission und der Rechtskommission des Nationalrats war der Abacha-Anwalt nämlich auch bei der Ausarbeitung des neuen Gesetzes zur Rückgabe von Potentatengeldern beteiligt.