EU-Untersuchungen zeigen: Die Menschen in Griechenland müssen immer länger arbeiten und bekommen dafür immer weniger Lohn. In keinem anderen EU-Land rutschten in den Jahren 2011 bis 2013 so viele Familien in die Armut ab.
Nach langen Verhandlungen mit den internationalen Geldgebern der Euro-Zone erhält Griechenland 8,3 Milliarden Euro aus den bestehenden Hilfspaketen. Eine erste Tranche von 6,3 Milliarde Euro soll Ende April ausgezahlt werden, um die fälligen Forderungen von Anleihengläubigern zu befriedigen.
Aus einer in dieser Woche veröffentlichten Studie der EU-Kommission geht derweil hervor, dass in keinem anderen EU-Staat in den vergangenen Jahren so viele Menschen verarmt sind wie in Griechenland. Das hoch verschuldete Krisenland muss auf Weisung der internationalen Geldgeber seit vier Jahren einen strikten Sparkurs steuern und durchlebt die schwerste Rezession seit Ende des Zweiten Weltkriegs.
Jeder Vierte von Armut bedroht
Nach dem Bericht der Brüsseler Kommission waren 2013 in Griechenland 23,7 Prozent der Bevölkerung, also fast jeder vierte Einwohner, von Armut bedroht. Das war der höchste Prozentsatz aller EU-Staaten. Rumänien folgt mit 21,2 auf dem zweiten Platz. Griechenland hat in der EU auch die höchste Arbeitslosigkeit. Nach Angaben der Statistikbehörde Eurostat vom Dienstag lag die Arbeitslosenquote in Griechenland im Dezember bei 27,5 Prozent. Das ist weit mehr als das Doppelte des EU-Durchschnitts von 11,9 Prozent. Unter den 15- bis 24-Jährigen betrug die Quote sogar 57 Prozent.
Das Arbeitslosengeld von 360 Euro im Monat wird in Griechenland maximal ein Jahr lang gezahlt. Seit dem 1. Januar können Langzeitarbeitslose zwar ein weiteres Jahr lang eine staatliche Unterstützung von 200 Euro im Monat beantragen. Eine Sozialhilfe oder Grundsicherung wie Hartz IV gibt es in Griechenland aber nicht. Wer keine Arbeitslosenhilfe mehr bezieht, fällt überdies aus der staatlichen Krankenversicherung. Nach einer Schätzung der Nichtregierungsorganisation Ärzte der Welt sind bereits 873 000 Griechinnen und Griechen ohne Versicherungsschutz. «Und jeden Tag kommen rund 2300 hinzu», sagt Alvaro Gonzales, Präsident der Organisation.
Steigende Selbstmordrate
Aber auch wer Arbeit hat, muss sich einschränken. Nirgendwo in der EU gingen die verfügbaren Einkommen so stark zurück wie in Griechenland. Zwar fallen die Verbraucherpreise bereits seit über einem Jahr. Sie lagen im Februar um 1,1 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor. Löhne und Gehälter fallen aber weitaus schneller. Allein im 3. Quartal 2013 ging das Durchschnittseinkommen der privaten Haushalte um acht Prozent zurück. Nach Berechnungen der staatlichen Statistikbehörde Elstat hat die griechische Durchschnittsfamilie seit Beginn der Rezession Mitte 2008 fast 40 Prozent ihrer Kaufkraft eingebüsst.
Die Krise treibt offenbar immer mehr Griechen in die Verzweiflung. Nach Elstat-Angaben von dieser Woche ist die Zahl der Selbstmorde in Griechenland im Jahr 2012 – neuere Daten liegen noch nicht vor – auf 508 gestiegen, gegenüber 382 im Jahr 2000. Fachleute gehen allerdings davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Suizide sehr viel höher ist: «Die meisten Fälle werden vertuscht, denn der Selbstmord eines Menschen ist immer noch ein Stigma für die Hinterbliebenen», sagt Aris Violatzis. Er leitet in Athen das rund um die Uhr besetzte Suizid-Präventationszentrum der Nichtregierungsorganisation Klimaka. «Vor Beginn der Krise hatten wir etwa zehn Anrufe hilfesuchender Suizidgefährdeter am Tag, jetzt sind es im Schnitt 25», berichtet Violatzis.