Das Zeitungssterben in den USA ist nicht mehr aufzuhalten. Bis in 15 Jahren wird es wohl nur noch drei bis vier überregionale Blätter geben.
Als Ray Nagin Bürgermeister von New Orleans wurde, war sein angekündigter Kampf gegen die Korruption wochenlang Titelthema bei der Times Picayune. Elf Jahre und zwei bürgermeisterliche Amtszeiten später, als der Politiker am Freitag vergangener Woche selbst in 21 Punkten wegen Korruption und Bestechung angeklagt wurde, war das am nächsten Tag in keiner gedruckten Meldung der Lokalzeitung nachzulesen. Denn die Times Picayune gibt es seit Oktober nur noch drei Mal die Woche am Kiosk. An allen anderen Tagen müssen die Leser ins Internet gehen, wenn sie – in Kurzfassung – wissen wollen, was in ihrer Stadt geschieht: New Orleans hat – wie Detroit, Michigan, Birmingham, Alabama, und immer mehr andere Städten – seine gedruckte Zeitung verloren. Die Stadt in Louisiana liegt damit im Trend.
US-weit scheinen die Tage der «newspaper» – der «Nachrichtenpapiere» – gezählt. Branchenkenner geben den meisten der heute noch existierenden rund 1300 Tageszeitungen des Landes (statt 1750 im Jahr 1970) allenfalls eine Lebenszeit von noch 15 Jahren. Danach, so ihre Prognose, werden noch drei oder vier Überregionale, sowie eine Handvoll von grossen Lokalzeitungen noch auf Papier und in einer täglichen Fassung erscheinen. Der Rest der Blätter wird entweder ganz vom Markt verschwunden sein, oder allenfalls noch zwei oder drei Mal die Woche – an den werbereichsten Tagen – gedruckt werden.
Ein Relikt der Vergangenheit
«Die Tageszeitung ist ein Relikt der Vergangenheit», sagt Paul Gillin, «die tägliche Erscheinungsweise macht heute keinen Sinn mehr.» Der Technologiejournalist aus Massachusetts hat schon im Jahr 2005 in einem Essay den bevorstehenden «Kollaps» der Tageszeitungen prognostiziert. 2005 war einnahmenmässig eines der besten Jahren der Tageszeitungsgeschichte der USA. Niemand ahnte die kommende Finanzkrise und den Einbruch der Werbeeinnahmen. Gillin leitete seine Analyse aus den Möglichkeiten der damals noch jungen Social Medias ab. Nachdem keine nationale Zeitung seinen Essay wollte, gründete er im Frühling 2006 eine eigene Website mit dem ahnungsvollen Titel, «Newspaper Death Watch». Sie ist zu einer Chronistin des Niedergangs der Branche geworden. Seit ihrem Entstehen sind Dutzende Tageszeitungen verschwunden.
«Der kommende Tod der Sieben-Tage-Erscheinungsweise» titelte Martin Langeveld einen Text, der im vergangenen Dezember bei der «Nieman Foundation» an der Universität Harvard veröffentlicht wurde. Darin sagt der Journalist und Blogger voraus, dass wegen der rasanten Verbreitung von elektronischen Notizblocks (tablets) schon im Jahr 2015 nur noch die Hälfte der Tageszeitungen in den USA im heutigen Rhythmus erscheinen wird. Ihre Onlineversionen werden Medien künftig nicht mehr nur mit «Paywalls» (also: Gebühren) finanzieren, sondern auch mit zusätzlichen Dienstleistungen für die Leser. Langeveld nennt sie: «Mitglieder». Und geht davon aus, dass sie von ihren Zeitungen zunehmend andere Angebote bekommen werden: von Zugang zu Kultur, über Reisen bis hin zu Sport.
Die Einnahmen sind zusammengebrochen
Alle Statistiken bestätigen, dass die Print-Branche ihre besten Zeiten hinter sich hat. Laut dem «Audit Bureau of Circulations», lagen die Einnahmen der Tageszeitungen in den USA im Jahr 2011 nicht einmal mehr halb so hoch wie noch 2006. Der wichtigste einzelne Verlust-Posten ist die Werbung. Sie ging von einem Volumen von 49,4 Milliarden Dollar im Jahr 2006 auf 23,9 Milliarden Dollar zurück. Diese Zahlen beinhalten sowohl die Werbung in den Print-, als auch in den Online-Ausgaben. Den dramatischen Absturz der Werbeeinnahmen bei Print konnte Online nicht annähernd ausgleichen. Auf Online stiegen die Werbeeinnahmen im fraglichen Zeitraum nur minimal (von 2,6 Milliarden auf 3,2 Milliarden Dollar). Die Werbung suchte sich neue Kanäle. Im vergangenen Jahr verdiente Google erstmals mehr mit Werbung als sämtliche US-Printmedien zusammen. Steil nach unten weist auch die Zahl der Zeitungsleser. Zwischen 1990 und 2010 verloren die Printausgaben der US-Tageszeitungen 30 Prozent ihrer Leserschaft. Ende 2008 richtete die Journalistin Erica Smith vorübergehend eine Website mit dem Titel «Paper Cuts» ein. Sie forderte Kollegen auf, neue Entlassungen zu melden. Schon im ersten Jahr (2009) dokumentierte sie die Zerstörung von 7’979 journalistischen Arbeitsplätzen.
Das Leben im Schatten
«Immer mehr amerikanisches Leben geschieht im Schatten», hat Tom Rosenstiel, Medienforscher im Pew Research Center bereits 2009 vor einem Komitee im US-Kongress erklärt. Untersuchungen in Städten, die schon länger keine Zeitung mehr haben, zeigen, dass dort die Wahlbeteiligung sinkt, dass weniger Menschen bereit sind, öffentliche Ämter zu übernehmen und dass auch andere Formen von öffentlicher Aktion nachlassen. In den neuen Nachrichten-Wüsten der USA schauen keine Reporter mehr Ratsleuten und Bauunternehmen auf die Finger. Die vielerorts entstehenden – meist von Lesern finanzierten – neuen Online-Portale haben selten genügend Personal, um die Lücken zu füllen.
Einen finanziell erfolgreichen Online-Auftritt haben bislang nur die grösste Tageszeitung der USA, das zwei Millionen Exemplare starke Finanzblatt Wall Street Journal – die einen Teil ihres Onlineauftritts für Abonnenten reserviert – sowie die 1,5 Millionen starke Nummer drei, New York Times geschaffen. Letztere ist, 15 Jahre nachdem sie das Gratis-Prinzip für Informationen im Internet durchgesetzt hat, dazu übergegangen, Online-Leser nach den ersten Artikeln zur Kasse zu bitten. Diese Modelle, die bei den beiden funktionieren, lassen sich nicht unbedingt auf kleinere Zeitungen übertragen.
Der Abwärtstrend der gedruckten Tageszeitungen ist nicht global. In Indien und Brasilien beispielsweise entstehen noch neue Zeitungen und steigen die Auflagen. Aber europäische Tageszeitungen scheinen sich – mit einer geringfügigen zeitlichen Verzögerung – auf demselben Weg zu befinden, wie jene in den Vereinigten Staaten. An ihre Adresse hat Gillin von «Newspaper Death Watch» drei Ratschläge mit Lehren aus den USA: Die Einnahmen diversifizieren: «80 Prozent des Einkommens aus Anzeigen ist gefährlich». Den Mut haben, sich selbst zu zerstören: «Print beibehalten, so lange es Geld bringt. Aber alle Investitionen ins Digitale stecken». Und – vor allem – die jungen Leser verstehen: «Die Leser über 55 mit Print versorgen. Und den Jungen elektronisch Zusatzleistungen bieten.»