Nur Sherlock Holmes könnte Bosnien retten

Die Wahlen in Bosnien und Herzegowina sind vorbei, verlaufen sind sie nach einem festen Drehbuch. Den Frust der Bevölkerung mindert das nicht, ihnen hilft nur Humor. Das zeigen die ungültigen Stimmen und illustrieren Witze, die das Land besser beschreiben als jede Analyse.

Members of the Election Commission wait for voters at a polling booth in Potocari, near Srebrenica October 12, 2014. Bosnians vote for national, regional and local representatives on Sunday in elections dominated by still-unresolved issues of identity and (Bild: DADO RUVIC)

Die Wahlen in Bosnien und Herzegowina sind vorbei, verlaufen sind sie nach einem festen Drehbuch. Den Frust der Bevölkerung mindert das nicht, ihnen hilft nur Humor. Das zeigen die ungültigen Stimmen und illustrieren Witze, die das Land besser beschreiben als jede Analyse.

«Liebe Bosniaken, das war dumm», kommentierte die Journalistin Amra Kardovic den Sieg des amtierenden bosniakischen Präsidiumsmitglieds Bakir Izetbegovic. Ihr wäre es lieber gewesen Fahrudin Radoncic, Vorsitzender der Partei für eine bessere Zukunft (SBB) hätte die Wahlen gewonnen, doch er unterlag eindeutig.

Der kroatische Sitz für das Präsidium geht an den Chef der ethnonationalistischen HDZ, Dragan Covic. Beim Rennen um den serbischen Sitz liegt derzeit Mladen Ivanic (PDP) vorne, knapp dahinter die Kandidatin des Bundes der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD) Zeljka Cvijanovic. Ausgezählt sind bisher etwas über 90 Prozent der Stimmen.



A Serb man walks past election posters in Bijeljina October 9, 2014. Bosnia's 3.3 million voters will choose a new political elite across six layers of government on Sunday in an election that, had it happened a few months ago, might have been a catalyst

Die Wahlen laufen immer gleich ab, und enden immer gleich: Bosnien verharrt im Stillstand. (Bild: DADO RUVIC)

Der Wahlkampf verlief nach einem einstudierten Drehbuch. In der Wahlwoche wurden Strassen fertig gestellt, was die Kandidaten der jeweiligen Regierungsparteien für sich verbuchten. Durch die Dörfer und Städte fuhren Autos mit Megaphonen und machten Wahlversprechen, die niemand halten kann oder will.

13 von 693 Wahlversprechen erfüllt

Die Nichtregierungsorganisation «Zasto ne» (Deutsch: Warum nicht) kam in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass von 693 Wahlversprechen auf gesamtstaatlicher Ebene nur 13 tatsächlich umgesetzt wurden. Auf den Wahlplakaten finden sich dieselben Gesichter, auch wenn diese nun teilweise für neugegründete Parteien antreten. Am Wahlabend betonten die Gewinner alles sei regulär abgelaufen, während die Verlierer Unregelmässigkeiten bei den Wahlen meldeten.

Die Wahlbeteiligung lag bei rund 54 Prozent. Wie das Webportal Klix.ba berichtete, wurden viele ungültige Stimmen abgegeben, unter anderem für Sherlock Holmes, mit der Begründung er sei als einziger in der Lage die Kriminalität im Land zu bekämpfen.




 

Das Staatsoberhaupt in Bosnien-Herzegowina besteht aus einem dreiköpfigen Präsidium, dem jeweils ein Bosniake, eine Kroate und ein Serbe angehört. Die Sitze gehen meist an ethnonationalistische Kandidaten der jeweiligen Gruppe.

Laut dem Philosophen Immanuel Kant (1724–1804) sollte ein Staat so verfasst sein, dass selbst eine Gesellschaft von Teufeln friedlich in ihm zusammen leben kann. So wie der bosnisch-herzegowinische Staat verfasst ist, könnte selbst eine Gesellschaft von Engeln nicht friedlich miteinander leben.

Members of the Election Commission wait for voters at a polling booth in Potocari, near Srebrenica October 12, 2014. Bosnians vote for national, regional and local representatives on Sunday in elections dominated by still-unresolved issues of identity and

Bosnien hat eines der kompliziersten politischen Systeme, da ist der Job der örtlichen Wahlkommission in Potocari bei Srebrenica gerade erholend dagegen. (Bild: DADO RUVIC)

Bosnien und Herzegowina hat eines der kompliziertesten politischen Systeme der Welt und leistet sich 14 Parlamente und 180 Ministerien. Der Staat ist geteilt in zwei Entitäten, der Bosniakisch-Kroatischen Föderation und der Republika Srpska. Die Föderation wiederum ist geteilt in 10 Kantone.

Hinzu kommt der Distrikt Brčko, der keinem der beiden Entitäten angehört. Dabei hat das Land gerade mal 3,8 Millionen Einwohner.

Bosnien und Herzegowina hat eines der kompliziertesten politischen Systeme der Welt mit 14 Parlamenten und 180 Ministerien.

Vor 19 Jahren wurde der Friedensvertrag von Dayton geschlossen, der die Macht der Kriegsparteien nicht antastete, sondern im neuen Staat manifestierte. Dieses System wurde einst geschaffen, um den Krieg zu beenden und lähmt Bosnien-Herzegowina nun, weil es ein intransparentes System schuf, dass zu Korruption, Vetternwirtschaft und nationalistischem Populismus einlädt. Der Krieg wurde von den Schlachtfeldern in die politische Arena verlagert.

Ressentiments gegen die jeweils anderen ethnischen Gruppen zu mobilisieren, ist noch immer die sicherste Variante, Wählerstimmen zu bekommen. Das viele bosnische Kroaten und Serben den Staat bis heute nicht anerkennen und sich am liebsten unabhängig erklären oder gleich Kroatien oder Serbien anschliessen wollen, macht die Situation nicht einfacher.



Men stand at a bus station in front of a defaced election poster in Sarajevo, October 10, 2014. Bosnians will vote on Sunday for a parliamentary and presidential election that could break the reform deadlock in the ethnically divided country or deepen div

Bakir Izetbegovic, einer der Sieger – gleich daneben die Verlierer: 72 Prozent der Jugend in Bosnien ist arbeitslos. (Bild: DADO RUVIC)

Posten in der Politik werden nach ethnischem Proporz vergeben. Der Roma Dervo Sejdić und der Jude Jakob Finci klagten bereits 2009 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, weil ihr passives Wahlrecht eingeschränkt wird, da die wichtigsten Posten nur an Bosniaken, Kroaten oder Serben verteilt werden. Die beiden bekamen zwar Recht, passiert ist seitdem jedoch nichts.

Fortschrittsbericht ist ein Euphemismus, für das was die Europäische Union regelmässig über den Balkanstaat berichtet. Laut diesem werden 64 Prozent der Budgets für den Staatsapparat ausgegeben und die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 72 Prozent. Junge Menschen die einen Job suchen, müssen Kontakte haben, jemanden bezahlen oder sich einer Partei anschliessen. Im Land erzählt man sich den Witz:

«Warum heiraten bosnische Beamte nicht untereinander? Weil alle miteinander verwandt sind.»

Letzte Hoffnung zerstört

Nach funktionierenden und konkurrenzfähigen Unternehmen muss man mit der Lupe suchen. Während die Löhne seit Jahren stagnieren, steigen die Preise. Im Mai kam es zu einer Flutkatastrophe von der jeder vierte Bosnier direkt betroffen war, was die soziale Situation für viele noch unerträglicher werden liess.

Während der Überschwemmungen halfen sich die Menschen gegenseitig, unabhängig von deren ethnischer Zugehörigkeit. Einige hatten die Hoffnung die Fluten würden nicht nur zerstörte Häuser, sondern auch ein neues bosnisches Nationalgefühl basierend auf Solidarität statt ethnischer Zugehörigkeit schaffen. Die Wahlergebnisse zerstören diese Hoffnungen endgültig.

Bis eine neue Regierung die Arbeit aufnimmt, könnte es dauern. Der amtierende Ministerpräsident Vjekoslav Bevanda wurde erst eineinhalb Jahre nach den vergangenen Wahlen vereidigt.

Was die Menschen vor Ort über das aufgeblähte politische System eigentlich denken, erklärt ein Witz:

Eine junge Auslandsjournalistin stellt sich vor das Parlament in Sarajevo. Sie hat einen Interviewtermin, ist sich aber nicht sicher mit wem. Sie erhebt etwas die Stimme und fragt: «Entschuldigen Sie, Herr Präsident?» Zehn Männer drehen sich um und fragen: «Meinen Sie mich?»

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