Eine Hälfte der Amerikaner jubelt – die andere trauert. Doch ist ein von der Tea Party geprägtes Gesellschaftmodell nicht mehrheitsfähig. Eine Analyse der Wahl.
Malia und Sasha müssen die Schule nicht wechseln. Ihr Vater behält seinen Job und bleibt in Washington. Barack Obama hat gewonnen, auch wenn beide Bewerber nach Stimmen fast gleichauf liegen. Die Freude des Obama-Anhangs über die Wiederwahl war verhaltener als der unbändige Jubel 2008. Damals wollte man glauben: Wenn Amerika diesen Riesenschritt geht und einen schwarzen Präsidenten wählt, dann ist ein Yes-we-can-Wandel machbar. Das Versprechen Freiheit und Gerechtigkeit für alle schien Wirklichkeit zu werden, ein Stück weit zumindest.
Dann aber holte die Realität die Hoffnung ein: Guantánamo, der Drohnen-Krieg, Samthandschuhe beim Umgang mit der Finanzindustrie. Obama zeigte sich als Mann des Zentrums, er setzte eine große Gesundheitsreform durch, sein Konjunkturprogramm bremste die große Rezession, mehr soziale Toleranz war angesagt.
Doch ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung zog nicht mit in Richtung modernes Amerika. Die zornigen weißen Männer mobilisierten mit viel Geld und Energie. Am 6. November 2012 wurde deutlich: Das Gesellschaftsmodell der von der Tea Party geprägten Republikanischen Partei ist nicht mehrheitsfähig. Mitt Romney wusste das wohl selbst, hatte sich der strenge Konservative doch zuletzt im Wahlkampf als «moderat» neu erfunden. Dass er trotz der schlechten Wirtschaftslage die Uhr nicht zurückstellen konnte, ist vielleicht noch bedeutender als Obamas Wahl vor vier Jahren.
Romney verlor die Frauen
Junge Amerikaner stimmten zu 60 Prozent für den bisherigen und künftigen Präsidenten. Sie haben keine Lust auf Kulturkampf und distanzieren sich von organisiertem Christentum und glauben offenbar nicht daran, dass Romneys Fünf-Punkte-Plan ihnen wirtschaftlich den Weg in die Zukunft ebnet. Fast 55 Prozent der Frauen wählten Obama. Republikanische Vorstellungen vom Berufsleben, Aussagen über die «legitime Vergewaltigung» und das unter Romney drohende Abtreibungsverbot hinterließen Wirkung.
Und natürlich prägte die ethnische Zugehörigkeit dieses Votum – 93 Prozent der Afro-Amerikaner stimmten für Obama, bei den Latinos waren es 71 Prozent. So neu ist das nicht. Demokratisch wählen Minderheiten seit Jahrzehnten. Demokraten sorgen sich um Gesetze gegen Diskriminierung; sie knüpfen ein soziales Netz, das den überproportional einkommensschwachen Afro-Amerikanern und Latinos hilft. Romney hingegen beschwerte sich über die 47 Prozent, die doch nur Schmarotzer seien, wie er bei einer verdeckt aufgezeichneten Ansprache vor Wahlspendern lästerte.
Zudem appellierte die republikanische Totalopposition an weiße Rassenvorurteile, etwa mit den bizarren Vorhaltungen, Obama habe keine Geburtsurkunde, sei gar kein richtiger Amerikaner und möglicherweise ein Muslim, definitiv aber kein Christ. Romneys Wahlstratege John Sununu meinte gar, Obama müsse lernen, «ein Amerikaner zu sein».
Der nach 2008 manchmal herbei geredete Post-Rassismus ist ausgeblieben. Bei einer Umfrage erklärten 83 Prozent der Republikaner und 58 Prozent der weißen Evangelikalen, Obama verstehe die Probleme Weißer nicht. Latinos waren nicht nur aus sozialen Gründen gut beraten, nicht für Romney zu stimmen, verfolgen die Republikaner doch eine höchst einwandererfeindliche Politik. Romney lehnte selbst eine Initiative ab, jungen Menschen Bleiberecht zu gewähren, die als Kinder ohne Papiere in die USA gebracht worden waren. Er forderte «Illegale» zur «Selbstabschiebung» auf, denen man das Leben so schwer machen müsse, dass sie von selbst gehen.
Die Weisse Mehrheit schrumpft
Schließlich spielte auch die Demographie gegen Romney. Und sie wird auch in Zukunft gegen die Republikaner spielen. Als Ronald Reagan 1980 gewann, stellten Weiße 89 Prozent der Wähler. In dieser Woche waren es nurmehr 72 Prozent. Wer Präsident der USA werden will, braucht keine weiße Mehrheit mehr.
Wirtschaft und Jobs seien Hauptanliegen der Wähler, hieß es. Aber Romney konnte seinen Ruf als elitärer Heuschreckenkapitalist nicht abschütteln. Amerikaner haben prinzipiell nichts gegen einen Politiker mit einem Privatvermögen von 200 Millionen Dollar. Man will aber das Gefühl haben, dass der sich auskennt mit den Sorgen des Normalbürgers. 2008 hatte ein beträchtlicher Teil der Wirtschaftselite Partei ergriffen für Obama. Die Herren in den teuren Anzügen wünschten sich einen kompetenten Manager. 2012 war die Elite gespalten und die Finanzindustrie unzufrieden. Es gab wohl Sorgen, der demokratische Präsident würde in der zweiten Amtsperiode auf gewerkschaftsnahe Mitglieder der demokratischen Koalition hören.
Und jetzt also, Obama II. Große Entscheidungen stehen bald an: Werden die auf George W. Bush zurückgehenden Steuererleichterungen gestoppt? Wie wird die Rentenversicherung «reformiert»? Nimmt Obama Klimaschutz endlich ernst? Nach dem Sieg 2008 schien das progressive Amerika «irgendwie» überzeugt, Obama werde schon in seinem Sinne handeln. Die Progressiven machten wenig Druck, stattdessen mobilisierten die Rechtspopulisten. Die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus blockierte. Geschieht das erneut, wird die zweite Amtsperiode nicht anders als die erste. Und die Republikaner werden sagen, Romney habe verloren, weil er nicht konservativ genug gewesen sei.
Artikelgeschichte
Dieser Text ist zuerst auf freitag.de erschienen.