Ohne die bilateralen Verträge läuft in der Region Basel nichts

Wenn Politiker und Unternehmer über die bilateralen Verträge sprechen, bleibt die SVP aussen vor. Eine neue Allianz zeichnet sich in der Europa-Frage ab.

Die bilateralen Verträge gelten unter Wirtschaftsvertretern als unersetzlich. Nur dank ihnen gehe es der Schweiz heute wirtschaftlich gut.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Wenn Politiker und Unternehmer über die Bilateralen Verträge sprechen, bleibt die SVP aussen vor. Eine neue Allianz zeichnet sich in der Europa-Frage ab.

Aus den Lautsprechern ertönen Meldungen des Flughafen-Personals, auf den Plastikstühlen sitzen Männer in Anzügen und Frauen in Ausgehkleidern, mit Namensschildern ausgestattet. Gleich daneben laufen mit Gepäck beladene Fluggäste vorbei. Der EuroAirport Basel-Mulhouse-Freiburg ist an diesem Dienstagabend nicht bloss Durchgangsort für Reisende, er ist Schauplatz für ein Stelldichein der lokalen Elite.

Der Ort ist Programm: Politiker, Unternehmer und Medien-Vertreter sprechen am trinationalen Flughafen über die bilateralen Verträge mit der EU. Die Organisatoren mussten die Veranstaltung aus Platzgründen kurzfristig in eine Seitenhalle verlegen – man sei von Anmeldungen überrannt worden, so Regula Ruetz, Direktorin von metrobasel.

SVP ist nur in Floskeln präsent

Eineinhalb Jahre nach der Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative bewegt das zerrüttete Verhältnis zur EU noch immer. Und die Gäste – von SP-Politikern bis Novartis-Sprecher – sind sich einig: Ohne die bilateralen Verträge läuft in der Region nichts.

Die SVP ist hier am EuroAirport nur in Floskeln präsent («wir müssen die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen»). Es ist eine neue Allianz, die sich hier zeigt und die Alarm schlägt, lange bevor eine mögliche zweite Abstimmung über das Thema Bilaterale ansteht.

«Was wäre unsere Region ohne die bilateralen Verträge?», fragte metrobasel denn auch die Gäste. Unter ihnen der Leiter der Direktion für europäische Angelegenheiten im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), Henri Gétaz.

Schweiz leistet den grössten Beitrag zur Freizügigkeit

Gétaz sieht besorgte Gesichter vor sich, als er sein Referat mit der Wichtigkeit der Bilateralen beginnt. Die Zuhörer sind sich der Sonderstellung der Region gewahr. 65’000 Grenzgänger, die jeden Tag in den Kantonen Basel-Stadt und Baselland arbeiten, 298’000 Grenzgänger sind es schweizweit – ein Höchststand, wie das Bundesamt für Statistik unlängst bekannt gab.

«Knapp 300’000 Personen – das ist ungefähr ein Viertel sämtlicher Grenzgänger europaweit, also Leute, die in einem Land wohnen und in einem anderen Land arbeiten», so Gétaz. Bei den Personen, die aus der EU in ein anderes Land emigrierten, sei die Schweiz ebenfalls Spitzenreiter. Damit leiste die Schweiz «den grössten Beitrag zur Freizügigkeit in Europa», sagt Gétaz.

Bilaterale haben die Schweiz gerettet

Neben der Personenfreizügigkeit sei der freie Handel von immenser Bedeutung für die Schweizer Wirtschaft. Allein das Volumen des Handels mit dem Bundesland Baden-Württemberg sei gleich hoch wie das Handelsvolumen mit den USA. «Und mit Voralberg und seinen knapp 380’000 Einwohnern betreiben wir fast so viel Handel wie mit Brasilien, das 200 Millionen Einwohner hat», so Gétaz weiter.

Die Bilateralen I, die die Schweiz 1999 mit der EU unterzeichnete, baute die technischen Handelshemmnisse ab. Laut Gétaz habe die Exportwirtschaft davon in Höhe von mehreren Hundert Millionen Franken profitiert.

Die bilateralen Verträge hätten die Schweizer Wirtschaft regelrecht gerettet. «Wir alle, die wir die Neunzigerjahre erlebt haben, wissen, dass es vor den Bilateralen I um die Schweiz und ihre Wirtschaft nicht gut stand.» Erst mit den Bilateralen I habe die Schweiz allmählich ihre Nachbarländer überflügelt.

Wenig Konkretes eineinhalb Jahre danach

Nun kommt Gétaz auf den Unfall vom 9. Februar 2014 zu sprechen. Bekanntlich nahm die Stimmbevölkerung an diesem Tag die Masseneinwanderungs-Initiative an. «Eine Rückkehr zur goldenen Vergangenheit ist seit diesem Datum nicht mehr möglich», erklärt Gétaz.

Ein Zurückdrehen des Rades, wie dies etwa die Rasa-Initiative fordert («Raus aus der Sackgasse»), sei nicht möglich, betont Gétaz. In vagen Äusserungen fordert er hingegen, neue Wege zu gehen, den Volkswillen umzusetzen und «eine Art Dämpfer» für die Zuwanderung zu finden. Wie dies konkret aussehen könnte, bleibt im Unklaren.

Stattdessen unterstreicht Gétaz eindringlich die Bedeutung der Bilateralen. Die Zuhörer muss er indes nicht von dieser Meinung überzeugen. Seine Argumente wirken vielmehr wie eine Bestätigung, eine Argumentationsanleitung für die Politiker und Wirtschaftsvertreter im Raum.

Neue Allianz aus Linken und Unternehmern

Ein Podiumsteilnehmer sagt nach Gétaz’ Votum, hier sei man sich grösstenteils einig, deshalb müsse man solche Veranstaltungen viel eher in Huttwil als in Basel durchführen, dort gelte es echte Überzeugungsarbeit zu leisten.

Ein Unternehmer aus dem Fricktal bestätigt diese Aussage. Er müsse den SVP-Politikern in seiner Umgebung zuerst erklären, welche Herausforderungen die Masseneinwanderungs-Initiative für die Wirtschaft darstelle. Diese würden dann verwundert antworten: «So ist das also.»

Die Allianz aus Politikern, die für eine offene Schweiz einstehen, und Unternehmern, die die Zukunft des Wirtschaftsstandorts in Gefahr sehen, findet später beim Apéro zusammen. Bezeichnenderweise ist kein SVP-Politiker an diesem Abend am EuroAirport anwesend. Es ist eine Konstellation, die in Zukunft öfter zusammenfinden könnte.

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