Am 10. Juni wird im Wallis darüber abgestimmt, ob der Kanton dem Projekt «Sion 2026» einen Verpflichtungskredit von 100 Millionen Franken zur Verfügung stellen soll.
Kommt eine Ja-Mehrheit zustande, wird der Bund mit grösster Wahrscheinlichkeit eine Milliarde Franken dazulegen, damit in acht Jahren das olympische Feuer für Winterspiele in den Schweizer Bergen entzündet werden kann.
Zweifelhafte Promotoren
Mit einem höchst zwiespältigen Werbegag haben höchst zweifelhafte Promotoren dieses Projekts bereits im Februar auf dem Matterhorn ihr kleines Olympiafeuer entfacht. Per Helikopter haben sie sich zusammen mit einem Fass der Firma Midland Oil hoch fliegen lassen und von dort oben erklärt, wie gut und wie wichtig das Olympiaprojekt sei: «Ravivez la flamme!» (Entfacht die Flamme.) Es ist die Flamme der rücksichtslosen Profitmacherei.
Anschliessend sind sie von der Walliser Dienststelle für Umwelt wegen «unsachgemässer Verbrennung von Abfällen» gebüsst worden: 200 Franken plus 254 Franken Gerichtskosten.
Schauen wir uns die drei Promotoren an: Der harmloseste und naivste des Trios ist der ehemalige Skirennfahrer Pirmin Zurbriggen. Dann haben wir Staatsrat Christophe Darbellay, bekannt als Mann populistischer Schlagwortpolitik (etwa seine Forderung nach einem flächendeckenden Burkaverbot). Und schliesslich die Hauptfigur: der wegen Tätlichkeiten sanktionierte lokale Fussballkönig Christian Constantin.
Vielleicht entfachte das symbolische Matterhorn-Feuerchen da und dort zusätzliche Begeisterung. Zu hoffen ist aber, dass die Aktion auch Abscheu und Widerwillen verstärkt hat, weil sie zeigt, was für eine Piratenmentalität da am Werk ist.
Dazu passen die angeblichen Informationsveranstaltungen, die aber reine Indoktrinierungsanlässe ohne Gegenredner sind. Dazu passt, dass die Kostenziffer auf dem Walliser Abstimmungstalon nicht genannt wird. Und dazu passt, dass neueste Kostenschätzungen bewusst für die Zeit nach dem Abstimmungstermin zurückbehalten werden und das IOK (Internationale Olympische Komitee) den Host-City-Vertrag mit Sion erst nach dem 10. Juni auf den Tisch legen wird.
Alte und Frauen sind eher dagegen
Das Walliser Volk ist gespalten. Nicht überraschend die parteipolitische Verteilung: Das linke Lager spricht sich dagegen aus, das rechte Lager eher dafür. Und die Mitte tendiert in diesem Fall nach links. Das sich abzeichnende Nein kann als Emanzipationsakt verstanden werden, als Befreiung von der im Wallis bisher dominierenden Obrigkeitskultur. Nachdenklich könnte machen: Frauen zeigen sich gegenüber der Olympia-Kandidatur eindeutig zurückhaltender als Männer.
In der am 22. Mai publizierten Umfrage von «sotomo» verdeutlicht sich der Nein-Trend mit 58 zu 42 Prozent. Vielleicht mobilisiert diese Zwischenmeldung noch einige Olympia-Befürworter. Das Meinungsbild ist aber so weit fortgeschritten, dass es kaum noch gekehrt werden kann. Auch die Meinungen in der ganzen Eidgenossenschaft weisen eine ablehnende Mehrheit auf: 59 Nein und eher Nein versus 36 mit Ja und eher Ja.
Glauben die Befürworter von Sion 2026 wirklich, dass sie sich dem Gigantismus olympischer Spiele entziehen könnten?
An der Spitze des Unternehmens präsentieren sich vor den Walliser Hintermännern zwei prominente Politiker aus der, wie man im Wallis sagt, «Üsserschwiiz»: der Zürcher SVP-Nationalrat Jürg Stahl, Luftwaffenmajor, Nationalratspräsident 2016/17 und seit November 2017 Präsident von Swiss Olympic, und der Bieler Hans Stöckli, SP-Ständerat für den Kanton Bern. Der eine mit 130’000 Franken, der andere mit 90’000 Franken auf der Lohnliste des Unternehmens. Beide agieren mit ihrem Engagement gegen die Mehrheitsmeinung ihrer eigenen Parteien.
Die Argumente sind die üblichen: wirtschaftliche Impulse für den schwachen Kanton, 6000 zusätzliche Arbeitsplätze, die Marketingmöglichkeiten für Schweizer Tourismus, die Stärkung der gesamtschweizerischen Kohäsion, die Nachwuchsförderung im Spitzensport mit Zusatzwirkung auf den Breitensport.
Und ein ganz wichtiges Schlagwort: «Das Wallis auf der Weltbühne präsentieren!» Die Befürworter bemühen sich aber auch, die gegnerischen Vorbehalten zu übernehmen, indem sie Nachhaltigkeit und Naturschutz auf ihre Fahne schreiben.
Es fällt auf und ist verständlich, dass sich die Olympia-Befürworter vom bisherigen Olympia-Betrieb distanzieren. Darbellay verkündet laut, deswegen aber nicht glaubwürdiger: «Unsere Spiele werden etwas Neues sein! Man darf nicht immer mit der Vergangenheit vergleichen!» Das verführerische Argument stützt sich auf die 2014 vom IOC verkündete Reform-Agenda. Als ob man sich der Eigengesetzlichkeit dieses Gigantismus entziehen könnte.
Vergangenheit wird trotzdem bemüht und auf die angeblich belebende Wirkung der vor 16 Jahren durchgeführten Landesausstellung hingewiesen. Gab es die wirklich? Die Ausstellung schon, aber nicht die versprochene Wirkung. Belebt hat sie, wie zu erwarten, einige private Portemonnaies. Dass die Expo 02 die beanspruchte Zweckbestimmung erfüllt hat, ist eine reine Behauptung von direkt Interessierten. Nach Bundessubventionierungen und Realleistungen in der Höhe von 960 Millionen produzierte diese Landesausstellung schliesslich ein Defizit von 530 Millionen Franken.
Manche finden, man sollte Steuergelder für Schulskilager einsetzen, statt diese mit Budgetkürzungen zu gefährden.
Die ablehnende Seite kommt weniger wortgewaltig daher, führt die ökologische Belastung durch solche Spiele ins Feld und macht darauf aufmerksam, dass hier zum Profit weniger eine ganze Region in Mitleidenschaft gezogen würde. Gemäss der jüngsten Umfrage sind es vor allem die finanziellen Risiken und nicht die befürchteten Umweltbelastungen, die zu einem Nein bewegen.
Von der Schwyzer Kantonsregierung, die eine Stellungnahme für nötig hielt, werden als Ablehnungsargument die Opportunitätskosten angeführt, das heisst die negativen Auswirkungen auf andere Vorhaben, die wegen Olympia nicht realisiert werden können.
Fachleute betonen, dass ein Teil der genannten Ziele, zum Beispiel die Sportförderung durch Direktunterstützung statt über den Olympia-Umweg besser erreicht würde. Noch weiter geht das Argument, dass Steuergelder besser für Schulskilager eingesetzt wären, statt diese mit Budgetkürzungen zu gefährden.
Kurzes Fest – langer Kater
Zudem weisen die Fachleute darauf hin, dass nach einem kurzen Effekt wie bei der Expo 02 alles auf das ursprüngliche Wirtschaftsniveau zurückfällt. Wenn es also überhaupt ein Fest gibt, dann nach dem Motto: «Kurzes Fest – langer Kater».
Weitere Bedenken lauten: Im Jahr der Winterspiele werden die traditionellen Walliser Kurorte von einem solchen Mega-Event kaum profitieren. Der Rummel mit Menschen- und Verkehrsüberlastung dürfte eher dazu führen, dass diese Region gemieden wird. Zu Recht wird die Frage aufgeworfen, was mit den bei Sion geplanten 5000 neuen Betten geschehen wird, wenn Olympia vorbei ist?
Eine Abstimmung auf Bundesebene soll es nicht geben – sie wäre auch nicht zu gewinnen.
Die Milliarde aus der Bundeskasse soll nach dem Willen des Bundesrats ohne Volksabstimmung bewilligt, das heisst dem Referendum entzogen werden. Die vordergründige Rechtfertigung dieser Vorgehensweise: Eine allfällige Abstimmung könnte erst nach der offiziellen Anmeldefrist vom 11. Januar 2019 abgehalten werden. Der wahre Grund: eine solche Abstimmung wäre nicht zu gewinnen, wie man sich hüben wie drüben einig ist.
Nun hat aber die von der Bündner SP-Nationalrätin Silva Semadeni, Präsidentin von Pro Natura, angeführte Opposition in der Frühjahrssession einen wenig erwarteten Sieg errungen: mit 92 zu 87 Stimmen kam eine Motion zustande, die eine Abstimmung über das Olympia-Projekt fordert.
Semadeni hat sich bereits im vergangenen Jahr mit Erfolg gegen eine Bündner Kandidatur gewehrt. Eine 60 Prozent-Mehrheit sagte damals im Februar 2017 «Nein, danke!», Tourismusorte wie St. Moritz, Davos und Arosa inbegriffen. Es gibt auch einen Stolz, der in ein Nein mündet.
Vom Ständerat (dem Rat der Kantone) ist allerdings kaum ein Votum zu erwarten, das einem allfälligen Walliser Ja entgegenläuft. Auf der unteren Ebene der kantonalen Polizeidirektoren sieht es allerdings anders aus: Da will man keine Gratispolizisten zur Verfügung stellen, sondern 600 Franken pro Polizist und Tag verrechnen.
Sportliche Grossanlässe in Diktaturen
Wie mit der Olympia-Milliarde umgegangen werden soll, wird sich, sofern sich nach dem 10. Juni die Frage überhaupt noch stellt, in der Herbst- oder der Wintersession zeigen. Obsiegt im Wallis am 10. Juni die ablehnende Seite, ist das Projekt gestorben. Komitee-Präsident Stahl hat bereits das Wort «Mörder» in den Mund genommen. Sion/Sitten mag, wie die Befürworter sagen, die beste aller Kandidaturen gewesen sein, dem IOC bleiben jedoch zahlreiche andere Varianten. Im Gespräch sind Graz, Calgary, Cortina d’Ampezzo, Sapporo, Stockholm, Erzurum.
Philipp Loser hat im «Magazin» daran erinnert, dass sportliche Grossanlässe mittlerweile gehäuft in diktatorisch geführten Ländern stattfinden. Die Olympischen Winterspiele 2022 werden etwa in Peking ausgetragen.
Die Durchführung im türkischen Erzurum könnte Erdogan (wie Putin in Sotschi) die Möglichkeit geben, sich als politischer Sportzirkusdirektor aufzuspielen, sofern er dann nicht – wie so manches – der Vergangenheit angehört.