Die Risiken einer gegen den Gazastreifen gerichteten Militärintervention sind angesichts der sich verändernden politischen Landschaft im Nahen Osten enorm.
In Gaza haben militante Organisationen radikaler, teils islamistischer Palästinenser Fuss gefasst, die sich grösstenteils der Kontrolle durch die Hamas-Regierung entziehen. Diese ultraextremistischen Gruppen setzen die Hamas unter Druck, bei deren Mitgliedern inzwischen die Ansicht verbreitet ist, die herrschende Fraktion habe den militärischen Widerstand gegen Israel für den Komfort und die Privilegien des Quasi-Regierens in der hoffnungslos abgeschotteten und abgeriegelten Enklave palästinensischer Selbstbestimmung aufgegeben.
Offenbar verfügen diese dschihadistischen Gruppen über enge Verbindungen zu Gleichgesinnten auf der angrenzenden ägyptischen Sinai-Halbinsel. Deren Ideologie – so heisst es aus Israel – sei mit der Weltanschauung des Netzwerks al-Qaida verwandt. Richtig ist, diese Fraktionen des dschihadistischen Furors zeigen wenig Neigung, auf die Vermittler der ägyptischen Regierung zu hören, die bei Eskalationen der Gewalt im Gazastreifen immer wieder eine Waffenruhe ausgehandelt hatten.
Ein mögliches Vakuum
«Es gibt in Gaza mehr dschihadistische Gruppen, die sich nicht an die Spielregeln halten», sagt Michael Herzog, pensionierter Brigadegeneral und Ex-Stabschef des israelischen Verteidigungsministeriums. «Die Ägypter haben auf diese Fraktionen nicht den gleichen Einfluss, den sie bei der Hamas geltend machen können.»
Analysten in Israel warnen, es würden derartige Gruppierungen sein, die das Machtvakuum füllen könnten, mit dem zu rechnen sei, sollte Hamas bei einer nachhaltigen Militäroperation gestürzt werden. Möglicherweise könne Israel dann einem Feind gegenüber stehen, der schlimmer und unberechenbarer sei als die Hamas.
Auch Ägypten gibt Anlass zur Sorge. Vor der Anti-Mubarak-Revolution im Frühjahr 2011 konnte Israel auf die Unterstützung des nunmehr gestürzten Präsidenten setzen. Sein Nachfolger Mohammed Morsi hat zeitlich weit zurückreichende Beziehungen zur Muslimbruderschaft, der Mutterorganisation der Hamas. Das heisst, sollte es dazu kommen, wird er sich wohl vehement gegen eine israelische Invasion stellen. Sogar das israelisch-ägyptische Friedensabkommen von 1979 könnte dabei in Gefahr geraten. Ganz abgesehen davon, dass eine Gaza-Offensive solidarische Aktionen der Hisbollah im Libanon entfachen könnte.
Bei der Operation «Gegossenes Blei» – der 22 Tage andauernden Offensive, die am 27. Dezember 2008 begann – wurden im Gazastreifen 1400 Menschen, darunter über 300 Kinder, getötet und Tausende Wohnhäuser sowie Schulen bei intensiven Bombardements zerstört. Die Luftangriffe der Israelis sind nun zwar viel präziser, doch zivile Opfer werden bei einer grossen Operation wohl kaum zu vermeiden sein.
Wie reagiert Obama?
Die Operation «Gegossenes Blei» fand zwischen der Wahl Barack Obamas und seiner Amtseinführung statt. Die Reaktion der USA fiel dementsprechend begrenzt aus. Seither hat der US-Präsident zwar mehrfach gesagt, Israel habe das Recht, sich gegen Raketenangriffe aus Gaza zu verteidigen, nach seiner Wiederwahl wird er aber möglicherweise sehr viel schärfere Worte der Verurteilung wegen der zivilen Opfer finden, als es vor vier Jahren der Fall war.
Im Januar wird in Israel gewählt. Wohlwissend, dass die Sicherheit bei israelischen Wahlen stets einen hohen Stellenwert beansprucht, bemühen sich die meisten israelischen Politiker derzeit, die laufenden Angriffe zu befürworten.
Copyright: Guardian News & Media Ltd 2012; Übersetzung: Zilla Hofman