Panik bei den Liberalen

In Deutschland bangt die FDP um ihren Wiedereinzug in die Parlamente – in acht Tagen in Niedersachsen, im September bei der Bundestagswahl.

German Chancellor Angela Merkel (R) and Economy Minister Philipp Roesler attend a cabinet meeting at the Chancellery in Berlin, October 24, 2012. REUTERS/Thomas Peter (GERMANY - Tags: POLITICS) (Bild: Thomas Peter / Reuters)

In Deutschland bangt die FDP um ihren Wiedereinzug in die Parlamente – in acht Tagen in Niedersachsen, im September bei der Bundestagswahl.

Am 20. Januar wählen die Niedersachsen ein neues Landesparlament – nicht weiter dramatisch, sollte man meinen. Niedersachsen ist unter den deutschen Bundesländern kein Schwergewicht wie Nordrhein-Westfalen, Bayern oder Baden-Württemberg.

Und doch schauen die politisch Interessierten gespannt nach Hannover, denn die Wahl dort gilt als Wegweiser für die Bundestagswahl im September. Die CDU könnte sich eigentlich beruhigt zurücklehnen. Sie steht in allen Umfragen so gut da wie lange nicht mehr. Kanzlerin Angela Merkel sonnt sich in der Gunst der Bundesbürger.

SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück bemüht sich derweil vergeblich, die Fettnäpfchen zu meiden, die ihm überall genüsslich in den Weg gestellt werden. Nur die FDP macht der Union Sorgen. Merkels Koalitionspartner befindet sich in Umfragen im freien Fall und würde derzeit sowohl in Niedersachsen als auch auf Bundesebene an der 5-Prozent-Hürde scheitern. Hatte die FDP bei der Bundestagswahl 2009 mit 14,6 Prozent ihr bisher bestes Wahlergebnis erzielt, liegt sie derzeit bei 4 Prozent. Die Liberalen zittern um ihre Pfründen, unter den Spitzenleuten ist im Kampf um den richtigen Weg ein Hauen und Stechen ausgebrochen.

Röslers Demontage

Gut zu beobachten war das am vergangenen Sonntag in Stuttgart. Dort, im Prunksaal des Staatstheaters, hält die FDP jedes Jahr am 6. Januar ihr Dreikönigstreffen ab. Die Partei nutzt die nachrichtenarme Zeit, um sich medienwirksam in Szene zu setzen. Das ist auch diesmal wieder gelungen, nur anders als sich das viele Liberale gewünscht hätten.

Inszeniert wurde die Demontage des Vorsitzenden Philipp Rösler, dem der drohende Absturz in die Bedeutungslosigkeit zur Last gelegt wird. Den «Dreikönigsmörder», wie Medien spotteten, gab Dirk Niebel, einst FDP-Generalsekretär unter Röslers Vorgänger Guido Westerwelle, heute Entwicklungshilfeminister im Kabinett von Angela Merkel.

Er sehe die FDP-Spitze falsch aufgestellt, klagte er. «Das ist, als wenn Jogi Löw den besten Aussenstürmer zum Torwart, den Torwart zum Libero und den Mittelstürmer zum Innenverteidiger machen würde», spottete er. Ein Trainer, der seine Mannschaft so aufstellt, ist nicht mehr lange im Amt. Und der Trainer der FDP ist Philipp Rösler, der Vorsitzende. Wenn es nach Niebel und seinen Getreuen geht, soll Rösler nach der Niedersachsenwahl an der FDP-Spitze abgelöst werden.

Röslers rasante Karriere 
war nicht vorgezeichnet.

Den Guten gab in Stuttgart Rainer Brüderle, Chef der FDP-Bundestagsfraktion. Kämpferisch zählte er die Erfolge der FDP in der derzeitigen Bundesregierung auf: Senkung der Rentenbeiträge, Abschaffung der Praxisgebühr, Installierung des Bundespräsidenten Joachim Gauck. «Wir haben die Union besser gemacht», lobte er seine Partei und riss seine Zuhörer zu Beifallsstürmen hin.

Brüderle bot sich als Nachfolger Röslers an, ohne diesen direkt anzugreifen. Ausgerechnet Brüderle wird so zum Hoffnungsträger der FDP, eine rheinländische Frohnatur, die bislang weniger mit politischen Inhalten punktete, sondern mit Einträgen ins «Guinness-Buch der Rekorde» – er versammelte Hunderte Weinköniginnen um sich – und mit seiner Trinkfestigkeit: Bei Harald Schmidt trat er unter dem Titel «Saufen mit Brüderle» auf, und eines seiner Bonmots ist: «Zum Mittagessen trinke ich gerne ein Glas Wein, zum Frühstück nicht.» Für den 67-Jährigen ist es die letzte Chance, in der FDP ganz nach oben zu kommen.

Philipp Rösler reagierte erstaunlich gelassen auf die Inszenierung seiner Gegner. Er mahnte die Partei zur Geschlossenheit, monierte den Stil der Auseinandersetzung und hielt ansonsten eine wolkige Rede über Freiheit, Staat und Individuum. Das verbale grobe Schwert ist seine Sache noch nie gewesen, er hält es, um im Bild zu bleiben, lieber mit dem feinen Florett. Ohnehin scheint es mitunter, als wundere sich Rösler noch immer über die Rolle, die er plötzlich in der Bundespolitik spielt. Mit grossen Augen schaute er im festlich geschmückten Stuttgarter Theater in die Runde, als könne er kaum glauben, dass er dort eine der Hauptrollen spielte.

Putschist gegen Westerwelle

Röslers rasante Karriere war nicht vorgezeichnet. Der studierte Mediziner hatte lange gezögert, seine Fachausbildung zum Augenarzt einem Ministeramt in der niedersächsischen Landesregierung zu opfern. Nur wenige Monate blieb er in Hannover, dann wurde er im Herbst 2009 Gesundheitsminister im schwarz-gelben Kabinett von Angela Merkel. Anfang 2011 schliesslich gehörte Rösler zu den Putschisten gegen Guido Westerwelle, unter dessen Führung der rasante Niedergang der FDP ja schon begonnen hatte. Er löste diesen im Mai desselben Jahres an der FDP-Spitze ab, wurde Wirtschaftsminister und Vizekanzler.

Schnell lernte er die Kehrseite des Ruhms kennen: Der 1973 in Vietnam geborene und von deutschen Pflege-eltern adoptierte Rösler sieht sich als Person des öffentlichen Lebens häufig rassistischen Anwürfen ausgesetzt, gegen die ihn auch sogenannte Parteifreunde nur unzureichend verteidigen: Wolfgang Kubicki, Vorsitzender der FDP in Schleswig-Holstein, lächelte nur, als Stefan Raab in seiner Sendung witzelte, Rösler würden angesichts der Umfragewerte «die Stäbchen aus der Hand» fallen.

Rösler hat aber auch selber zu seiner Demontage beigetragen. Seine politische Unerfahrenheit zeigte sich besonders deutlich bei der Suche nach einem Nachfolger für den unter Korruptionsverdacht geratenen Bundespräsidenten Christian Wulff. Rösler und die FDP setzten Joachim Gauck durch. Doch statt den Coup still zu geniessen, machte sich Rösler in Talkshows über die Kanzlerin lustig. Seine Frau habe ihm vor dem Aufbruch ins Kanzleramt gesagt, er solle nicht mit einem Konsenskandidaten zurückkommen, «der Mitglied der CDU ist, mal bei der SPD gesprochen hat, artig den Müll trennt und mal ein Buch über Freiheit gelesen hat», spottete Rösler bei Markus Lanz. Die Kanzlerin war wenig erbaut über den Plauderer. Schon das Foto direkt nach der Kür Gaucks dürfte Merkel kaum gefallen haben: Sie selbst mit verkniffenem Mund neben Gauck, im Hintergrund Rösler, der sich ein vergnügtes Lächeln nur schwer verkneifen kann.

Sperrige Merkel

Merkel vergisst nicht, das muss Rösler jetzt leidvoll erfahren. Leihstimmen in Niedersachsen erteilt die CDU-Vorsitzende eine klare Abfuhr und versperrt Rösler so einen Ausweg aus der Misere, den die FDP schon öfter genommen hat. Leihstimmen sind eine Besonderheit im deutschen Wahlsystem: Ein grosse Partei, die über ihre Direktkandidaten bereits ihren Anteil an Parlamentssitzen erreicht, kann ihre Wähler dazu aufrufen, die Zweitstimme dem Koalitionspartner zu geben. Ironie der Geschichte: Röslers Karriere entscheidet sich dort, wo sie begonnen hat: in Niedersachsen. Verfehlt die FDP den Einzug ins Landesparlament oder schafft sie es nur knapp, muss Rösler gehen. Ob er dann Bundesminister bleiben kann, ist fraglich. Röslers politische Zukunft ist so ungewiss wie die der FDP. Fakt ist, dass der Liberalismus in seiner konservativen Ausprägung längst in der CDU eine neue Heimat gefunden hat, in seiner ökologisch-menschenrechtlich orientierten Form bei den Grünen.

Die FDP müsste sich neu erfinden, um weiter eine Existenzberechtigung im Parteienspektrum Deutschlands zu behalten. Mit dem gegenwärtigen Personal scheint das unwahrscheinlich. Offenbar hält auch die Kanzlerin nicht mehr viel von ihren Partnern. Auf dem Bundesparteitag der CDU Anfang Dezember in Hannover spottete Merkel: «Vielleicht hat Gott die FDP nur geschaffen, um uns zu prüfen

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11.01.13

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